Außenminister leger gekleidet: #Maasanzug
Im Freizeitlook trat der Außenminister vor die Presse – und erntete Häme und Spott. Zu Unrecht: Endlich hat mal einer die Uniform abgelegt.
Dass Männer ihre Frauen betrügen, liegt an ihren Anzügen. Genau genommen liegt es an der Französischen Revolution. Denn seitdem ist sie dahin, die modische Gleichheit der Geschlechter. Der Mann kleidet sich fortan zweckmäßig, vorbei ist das aristokratische Spiel mit Travestie, Schönheit und dem erotisch Reizvollen. Leistung statt Lust ist die neue Maxime.
Und nicht nur zweckmäßig soll sie sein, die Kleidung der Männer, sondern auch uniform statt individuell. Denn im Sinne der Gleichheit und Brüderlichkeit wurden sie in Anzüge gesteckt. Am Ende entpuppte sich die „Große französische Revolution“ als „große männliche Entsagung“, als Verlustgeschäft für den Mann, das freilich zu allerlei Sublimierung führen musste: Während sein Körper der nüchternen Askese anheimfiel, konzentrierte sich die Erotik nur noch auf sein Geschlecht, und weil er sich selbst nicht mehr schmücken durfte, aber freilich auch begehrt werden möchte, präsentiert er fortan den Reiz seiner Begleiterin umso ausgiebiger.
Diese Geschichte erzählt uns der britische Psychoanalytiker John Carl Flügel über die Psychologie von Kleidung, man kann sie schreiend komisch, schrecklich reduktionistisch und ärgerlich männlich finden, aber vielleicht wäre am Ende eine Rückkehr des Pfaus gar eine gute Medizin gegen die aggressive Geschlechterpolariät.
Dass Kleidung jedenfalls eine psychologische Symbolkraft hat, bewiesen Häme und Spott, die Heiko Maas entgegenschlugen, als er vergangenes Wochenende im Freizeitlook vor die Presse trat. Er hatte die Uniform abgelegt, die Souveränität symbolisieren soll, jene Uniform, die den Politiker zum überindividuellen Diener abstrahiert, zum Repräsentanten des Willens der Allgemeinheit.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die Aufmerksamkeit wurde ihm zuteil, weil hier einer „ich“ gesagt hatte. Und nein, Maas’ Sneaker sind nicht die Sneaker eines Joschka Fischer. Fischer sagte „ich“, um „ich“ zu bleiben, um seine Identität gegen die Konformität im Politikbetrieb zu verteidigen.
Maas sagte „ich“ und symbolisierte damit etwas Anderes: die Krise der Repräsentation. Brüderlichkeit, Gleichheit, Männlichkeit, das alles findet nicht mehr nur einen Ausdruck in einer einzigen repräsentativen Form. Der Aufschrei galt nicht Maas, sondern der Komplexität und der Krise, die er zum Ausdruck brachte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten