Mode und die Coronakrise: Ansteckende Trends
Corona hat einen eigenartigen Combatstil aus subtilen und derben Elementen hervorgebracht. Doch was kommt nach der Krise? Eine ganz andere Branche?
Streetwear sei tot, verkündete ausgerechnet der Papst der Streetwear Virgil Abloh Ende letzten Jahres. Er, der mit Designern wie Demna Gvasalia und Gosha Rubchinskiy die ganzen 2010er Jahre prägte und Streetwear ins Zentrum der High Fashion brachte, die von Luxus- und Traditionshäusern wie Louis Vuitton oder Balenciaga als Kreativdirektoren eingesetzt wurden und Traditionshäuser dazu brachten, mit Sportartikelherstellern zu kooperieren.
Ein Trend, der in der Branche als Demokratisierung verkauft wurde – von Rich-Kids-Fashionistas, die sich um die aufgerufenen Preise nicht scheren mussten. Man erinnere sich nur an das DHL-T-Shirt von Vetements für 245 Euro, das mittlerweile auf Ebay für 500 Euro angeboten wird.
Mit Demokratisierung hatte das wenig zu tun, obzwar die neuen kreativen Köpfe immerhin die Modewelt diverser machten, Abloh nicht einmal eine Designausbildung mitbrachte und die Koordinaten insgesamt ordentlich durcheinandergewirbelt wurden. In diesem Sinne dürfte Demna Gvasalia das überteuerte Vetement-T-Shirt eher als ein Spiel mit dem System Mode verstanden haben. Wie auch immer, das alles sollte also vorbei sein. Gvasalia verließ 2019 Vetements, und Abloh verkündete das Ende der Streetwear.
Stattdessen unkte man, Eleganz und Sex würden in den kommenden Jahren die Mode wieder bestimmen – Hosenanzüge, Bleistiftröcke, Kostüme, Kleider, Dekolletébetontes und so was. Doch dann kam Corona. Und wer konnte, schlüpfte in beigefarbene (Homeoffice-)Loungewear und nihilistische Jumpsuits, um ganz ohne Not wie Winston Churchill in seinem Sirenenanzug auszusehen, der einst für den schnellen Unterschlupf im Luftschutzbunker konzipiert wurde.
Überall Chunky Boots
Nicht ganz so subtil erinnert ein anderer ultimativer Herbsttrend an Krieg: die Chunky Boots. Chunky Boots sind Boots im Chelsea-Stil mit klobigsten Laufsohlen, die bis zur Wadenmitte reichen. Die Kombination aus klobiger Sohle und der für Chelseaboots ungewöhnlichen Schafthöhe lässt sie sehr brutalistisch wirken. Bereits letzten Herbst wurde das Ur-Modell von Bottega Veneta präsentiert, einem Label, das wie davor Celine und Balenciaga einen Renaissance-Hype erlebt. Doch erst in diesem Herbst nun sind die Chunky Boots überall zu sehen, von Acne bis Zara.
Wird diese Mischung aus Indoor-Nihilismus und Outdoor-Combat-Look vielleicht irgendwann in der Modegeschichte als Corona-style erinnert werden? Könnte sein. Fest steht: Mode reagierte schon immer schnell auf Krisen, nicht bloß was ihre Materialien angeht. Nach der Großen Depression 1929 wurden die Röcke länger und die Taillen enger, und nach dem Zweiten Weltkrieg gab Dior mit seinem New Look der gesellschaftlichen Restauration eine entsprechende Silhouette.
Doch wie wird ein New Look nach Corona aussehen? Kommt dann die neue Eleganz – eben nur zeitverzögert und womöglich gepaart mit viel Glamour? Virgil Abloh, der als der vielleicht wichtigste Designer der Zeit gilt, hat in einem Gespräch im Rahmen der „Vogue Global Conversations“ etwas ganz anderes prophezeit. Die immer neuen Produkt-Hypes und Warenspektakel der Streetwear passten nicht mehr zu dem neuen Zeitgeist. Das deutete sich bereits im Trend zu mehr Nachhaltigkeit an.
Die Modebranche müsse sich, so Abloh, insgesamt neu ausrichten und erst den Verbraucher*innen zuhören, um dann zu reagieren, anstatt wie zuvor von oben auf die Kund*innen herabzureden. Die Leute würden sich vermehrt Unternehmen zuwenden, die ein Anliegen haben. Abloh sprach gar von „service industry“ – und alle wurden hellhörig. Tatsächlich haben ja die Modehäuser zu Beginn der Pandemie schnell reagiert. Balenciaga, Saint Laurent, Gucci und Prada stellten Schutzmasken für Spitäler her.
Geht das zusammen?
Ist diese Erfahrung aus der Coronazeit eine, die einen nachhaltigen Effekt auf Mode haben wird? Die Vogue sah kürzlich bereits die Ära des „sozialverträglichen Kleidens“ angebrochen und meinte eben gerade nicht nur nachhaltiges Produzieren. Sozialverträglichkeit in einer Branche, die sich aus der permanenten Behauptung von Individualität konstituiert? Ob das wirklich zusammengehen wird?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt