Ausbeutung von Arbeitsmigrant:innen: Deutschlands Schattenwelt
Die Existenznot treibt Menschen aus Osteuropa in den Westen. Statt des erhofften besseren Lebens treffen sie auf Ausbeutung und Entrechtung.
B ei mir die Straße runter in Hamburg, wo ich vor einigen Jahren wohnte, gab es dieses bulgarische Café. Stolperte ich an Wochenenden mal erst bei Sonnenaufgang nach Hause, konnte ich beobachten, wie ein dunkler VW-Bus vorfuhr und einige müde Männer verschluckte. Diese Männer warteten darauf, dass sie irgendwer abholte, der sie irgendwohin brachte, damit sie irgendetwas arbeiten konnten, nur um später wieder vor diesem bulgarischen Café ausgespuckt zu werden.
Dieser Straßenabschnitt wurde der „Arbeiterstrich“ genannt. Ein System von Ausbeutung, von zutiefst unsicherer, illegaler Beschäftigung. Die Arbeiter kamen aus Bulgarien, aus Rumänien und Moldau. Männer, die meist EU-Pässe besaßen und die eigentlich offiziell in der Europäischen Union hätten arbeiten können. Dennoch landeten sie in der Schattenwelt Deutschlands, wo sie ohne soziale Absicherung jeden Morgen gehandelt wurden wie Ware.
In den ersten Pandemiejahren wurde für kurze Zeit ein Lichtstrahl auf eine andere, vom System her aber ähnliche Schattenwelt geworfen. Deutsche Betriebe luden damals Menschen aus Moldau und Rumänien zu sich ein, damit diese bei der Spargelernte schuften durften. Während hier bei uns zu dieser Zeit schärfste Coronabeschränkungen galten, wurde bei den Arbeiter:innen aus Osteuropa ein Auge zugedrückt. Wie Vieh wurden sie in Unterkünften zusammengepfercht, raus ging es nur für die Arbeit. Anders als beim Arbeiterstrich musste die Arbeitskraft nicht jeden Morgen mühselig rangeschafft werden. Das Arbeitstier hielt man sich um die Ecke. Wie praktisch.
Die Existenznot treibt Menschen aus Osteuropa in den Westen. Sie ziehen los auf der Suche nach einem besseren Leben. Sie wollen nicht viel: nur Arbeit und wie Menschen behandelt werden. Ist das zu viel verlangt?
Warum ist Vitali Novacov gestorben?
Auch Vitali Novacov ist diesem Versprechen gefolgt. Ein 45-jähriger Mann mit bulgarischem Pass, geboren in Moldau. Nach einem Polizeieinsatz in Brandenburg ist Novacov am 12. April auf der Intensivstation eines Neuköllner Klinikums in Berlin gestorben. Allein. Meine Kolleg:innen und ich haben diesen Fall recherchiert. Denn es gibt viele Fragen, Ungereimtheiten. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht aufgeklärt. War es Polizeigewalt? War er in psychischer Not? Und wenn ja, wurde mit dieser richtig umgegangen?
Für viele war Vitali Novacovs Tod nur ein kurzer Bericht, eine Randnotiz. In Novacovs Heimatort hingegen ist seitdem die Welt stehen geblieben.
In Moldau, wo ich herkomme, wo auch Vitali Novacov geboren wurde, verwaisen ganze Dörfer. Kinder wachsen ohne Eltern auf; sie sind für sie nur noch Gesichter auf Smartphonebildschirmen, denen sie zuwinken alle paar Tage. Fast eine Million Menschen haben Moldau auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen bisher verlassen, und das bei einer Gesamtbevölkerung von rund 3,5 Millionen Menschen.
Ausgenutzt, bis nichts mehr übrig ist
Viele Sommer lang habe ich die Sätze gehört: Lass uns rüber zu Artjom gehen, er ist zurück aus Schweden. Oder: Komm, Ljoscha ist wieder da, aus Deutschland. Ein Pulk von Freunden scharrte sich dann um die Artjoms und Ljoschas, die auf einer Bank vor ihren Häusern saßen. Und dann erzählten sie: Wie die Arbeit gelaufen war, wie viel Geld sie nach Hause gebracht hatten – und wann es wieder zurück ging. Ich glaube, sie sahen immer müde aus. Und sicher weiß ich, dass es immer Alkohol gab, gegen die Erschöpfung.
Arbeitsmigrant:innen sind so gut wie rechtlos. Sie werden ausgenutzt, bis von ihnen nichts mehr übrig ist.
Vielleicht wollte Vitali Novacov diesem Schicksal entfliehen. Er wollte legal in Deutschland arbeiten, das erzählte uns ein Freund und auch die Familie. Für ihn hat sich das Versprechen auf ein besseres Leben nie eingelöst. Zurück nach Hause kam er in einem Sarg.
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