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Aus für Berliner SorgentelefonNicht mal eine Nummer wert

Marie Gönnenwein
Kommentar von Marie Gönnenwein

Trotz steigender psychischer Probleme bei Kindern und Jugendlichen wird die Berliner Nummer gegen Kummer nicht mehr finanziert – ein fatales Signal.

Niedrigschwellige Angebote wie Hilfetelefone machen es Jugendlichen leichter, sich bei Problemen Hilfe zu holen Foto: Christoph Reichwein/dpa

W o ruft man eigentlich an, wenn man sich Sorgen macht, dass Kinder und Jugendliche bald kein Sorgentelefon mehr haben? Vermutlich nicht beim schwarz-roten Berliner Senat. Schließlich hat der die Finanzierung des Berliner Standorts der Nummer gegen Kummer kurzfristig gestrichen. Sogar das Bundesfamilienministerium protestiert. Das Diakonische Werk als Träger versucht nun, anderweitig Mittel einzuwerben.

Aber wenn – wie zu erwarten – auch im kommenden Doppelhaushalt keine Förderung mehr steht, sieht es schlecht aus für das Hilfetelefon. Und damit auch für die dort anrufenden jungen Berliner*innen.

Bislang hatte das Land Berlin mit 100.000 Euro pro Jahr dazu beigetragen, dass Ehrenamtliche am Hörer die rund 10.000 Anrufe entgegennehmen können. Im Vergleich zu den Kosten für eine Berliner Olympia-Bewerbung oder die Ausrichtung von Spielen der American-Football-Liga NFL ist das Wechselgeld.

Anlaufstelle in kritischen Lebensumständen

Ein Hilfetelefon, das ist Wertschätzung, manchmal erste Anlaufstelle in kritischen Lebensumständen oder das einzige anonyme Gegenüber für schambehaftete Themen. Und es ist Prävention: ökonomisch wie moralisch sinnvoll.

Untersuchungen wie die sogenannten COPSY-Studien stellen unter Kindern und Jugendlichen alarmierend viele Betroffene von psychischen Problemen fest. Die Zahlen sind seit der Corona-Pandemie enorm gestiegen. Junge Menschen erlebten damals die prägendsten Jahre ihres Lebens isoliert, fremdbestimmt und vernachlässigt.

Mehr als 20 Prozent berichten nun von psychischen Auffälligkeiten, ebenso viele über Angstsymptome. Beinahe drei Viertel der befragten jungen Menschen gab an, sich aufgrund der aktuellen Kriege und Terrorismus zu sorgen. Hinzu kommen Ängste mit Blick auf die wirtschaftliche Unsicherheit und die Klimakrise.

All diese krisenbezogenen Ängste und Sorgen erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen. Der Kinderschutzbund sieht wegen maroder Schulen, überarbeiteter Er­zie­he­r*in­nen und unterbesetzter Jugendämter gar die „Kindheit in der Krise“.

Protest gegen Kürzung des Senats

Angesichts dieser Zahlen und Risiken die Förderung für ein Sorgentelefon einzustellen, ist weder klug noch respektvoll den jungen Menschen (und zukünftigen Wähler*innen) gegenüber. Dabei sind diese ohnehin schon besonders betroffen von der Kürzungspolitik des Senats. Nicht zuletzt im Bereich der Sozial-, Bildungs- und Jugendhilfe wird massiv gespart.

Projekte für junge Menschen und ihre seelische Gesundheit sind Investitionen in die Zukunft. Immer wieder werden neue, absurd hohe Gesamtkosten für Behandlungen und Produktivitätseinbußen durch psychische Erkrankungen veröffentlicht. Genau hier 100.000 Euro zu kürzen, ist richtiggehend frech.

Mehr noch: In einer Zeit, in der Menschen wie Elon Musk die Empathie als größte Schwäche unserer Zivilisation bezeichnen, ist es nachgerade unverzichtbar, dass es Orte gibt, an denen Kindern und Jugendlichen zugehört wird. Zum Beispiel am Telefon.

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Marie Gönnenwein
Masterstudentin am Journalistischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
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