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Aufnahme von geretteten FlüchtlingenKoalition der Willigen

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Seehofers Notfallplan zeugt von Erkenntnisgewinn. Er hat verstanden, dass die EU zwei Geschwindigkeiten bei der Aufnahme von Flüchtlingen braucht.

Gerettete Menschen auf der „Eleonore“, dem Schiff der Hilfsorganisation Mission Lifeline Foto: Johannes Filous/dpa

N och steht „XXX“ in dem Papier, das regeln soll, welche EU-Staaten künftig vor Libyen gerettete Flüchtlinge aufnehmen. Deutschland hat bislang zugesagt, ein Viertel dieser Menschen für ein mögliches Asylverfahren ins Land zu lassen. Beim EU-Innenministertreffen am Dienstag sollen weitere Staaten der Übereinkunft beitreten – wenn sie wollen.

Manche sehen die Initiative von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deshalb als Rückschritt – als Abkehr von Einstimmigkeit und Verbindlichkeit in der EU. Tatsächlich kann man froh sein, dass überhaupt wieder Bewegung in die Frage der Flüchtlingsverteilung gekommen ist, auch wenn Seehofers Plan nur für einen sehr kleinen Teil der Ankommenden gelten soll.

Einigen ist selbst das schon zu viel, etwa dem Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus. Der geht Seehofer für seine Asyl-Initiative fast so an, wie Seehofer selbst es bis zum vergangenen Jahr mit Angela Merkel getan hatte. Leute wie Brinkhaus haben ganz offensichtlich nicht begriffen, wie wichtig dieser – ja überaus zaghafte – Schritt in Richtung europäischer Lastenteilung ist.

Die EU hat von Italien in diesen Monaten noch einmal Aufschub bekommen. Der überraschende Ausgang der Regierungskrise im Sommer hat die Möglichkeit geschaffen, mit den Außengrenzenstaaten endlich ein System gerechten Ausgleichs zu schaffen. Gelingt dies nicht, hat Matteo Salvini beste Chancen, bei der nächsten Wahl endgültig die Macht zu übernehmen. Und eine Neuwahl könnte schon bald anstehen: Die Koalition in Rom ist ausgesprochen fragil.

Der Rest kann dem guten Beispiel folgen

Jahrelang hat die EU keine Reform ihrer Dublin-Regelung zuwege gebracht – auch wegen Deutschlands Blockadehaltung. Seehofers Malta-Plan ist nun auf sechs Monate befristet. In dieser Zeit muss die EU einen umfassenden Solidaritätsmechanismus etablieren. Die Bedingungen dafür sind – durch das Ausscheiden von FPÖ und Lega aus Regierungsämtern – besser geworden. Wirklich gut sind sie nicht – Staaten wie Ungarn und Polen werden nicht mitziehen.

Seehofers Plan hat daraus wenigstens Konsequenzen gezogen. Die Staaten, die mitmachen wollen, können das tun. Der Rest bleibt draußen – kann aber den guten Beispielen folgen und nachziehen. Nach diesem Prinzip der zwei Geschwindigkeiten könnte eine Vorstufe für eine neue Dublin-Regelung eine Chance haben. Das Signal, das die „Koalition der Willigen“ an Italien, Malta, Griechenland, Zypern und Spanien senden muss, lautet: Wir lassen euch mit den Flüchtlingen nicht wieder allein. Gelingt das nicht, wird die sich schon abzeichnende nächste Flüchtlingskrise unter Garantie auch zur Krise der EU selbst.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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14 Kommentare

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  • Wenn nicht bald eine "Flüchtlingssteuer" für Beamte Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten...kommt, weis ich auch nicht mehr weiter.

  • Koalition der Willigen? Was ist mit den Lügen und dem Asylaushöhlungs- und Abschieberegime wie Lager aka "Ankerzentren", Drittstaatenregelung, "Sicheres Herkunftsland" usw.??? Was ist mit Abschiebungen in den Tod? Was ist mit Fällen wie dem da:



    www.rundschau-onli...-gelassen-31545004

  • Alles nur Augenwischerei. Seehofer macht auf Humanist, gleichzeitig warnte er gestern vor einer Wiederholung von 2015. Die EU-Grenzstaaten sollen 'unterstützt' werden bei der Flüchtlingsproblematik. Was das in der Realität bedeutet, sagt Seehofer nicht. Die Berlin genehme konservative Regierung in Athen setzt auf Polizeigewalt in den überfüllten Camps. Gnädig lässt man 550 Flüchtlinge aufs Festland bringen - auf Lesbos leben 15 000 Flüchtligne in einem Lager, dass für 3000 ausgelegt ist. Der nächste Schritt ist absehbar: illegale push-back-Aktionen der griechischen Küstenwache vor der Küste der Ostägäis. Das praktizierte schon einmal die konservative Regierung vor Tsipras. Boote werden illegal mit Gewalr zur Rückkehr in die Türkei gezwungen. So sieht das dann in Wirklichkeit aus. Faktisch setzt die EU wohl darauf, dass Erdoghans Plan gelingt, mittels Einmarsch in die Kurdengebiete Syriens, arabische Flüchtlinge aus Syrien dort anzusiedeln. Ähnlich verfuhr einst Sadam Hussein in den Kurdengebieten Iraks. Aber Erdoghan ist ein ehrenwerter Mann.....

  • Nunden, noch im Sommer hieß es, dass einer solchen "Koalition der Willigen" mindestens die Hälfte aller Mitgliedländer angehören müssten um eine entsprechende Akzeptanz zu finden. Diese Zahl wurde dann sehr schnell auf ein Duzend abgeschmolzen.

    Und wo stehen wir jetzt? Deutschland geht erneut einen Alleingang. Das Ganze erinnert an 2015 wo Frau Merkel mit gutem Vorbild voran gehen wollte und ihr dann keiner gefolgt ist.

    Das bringt doch nix. Jetzt gibt es noch nicht einmal einen entsprechenden finanziellen Ausgleich. Die Forderung Griechenlands nach einer Umverteilung werden ganz schnell lauter werden und es gibt keine Argumente, sich dem zu wiedersetzen.

  • Dieses Prinzip funktioniert nur so lange, solange nicht wieder eine sehr große Anzahl an Flüchtlingen Europa erreicht. Dann kippt die Stimmung in den betreffenden Ländern wieder.

  • Eine Koalition der Gesetzestreuen wäre mir lieber. Da wird wieder mir "Willigen" moralisiert und als Ergebnis kostet es nur dem Bürger Teile seiner Sozialleistungen! Nur dem Bürger, nicht den verantwortlichen Politikern!

    • @Gerdi Franke:

      Sicherlich muss das irgendwer bezahlen. Aktuell tun das Menschen, die aus Kriesen fliehen, mit ihrem Leben und die Staaten am Mittelmeer. Ich habe übrigens nicht den Eindruck, dass Geflüchtete irgendwem in Deutschland die Butter vom Brot wegnehmen.

      • RS
        Ria Sauter
        @Alex3141:

        Die Butter vom Brot nehmen sie nicht weg, das stimmt.



        Wer aber erwirtschaftet ihrer Meinung nach die Sozialausgaben? Wer sorgt dafür, dass die Flüchtlinge eine ordentlich krankenversichert sind? Wer zahlt dann eben diese Beiträge? Wer zahlt die Unterbringungskosten?



        Kleiner Tipp:



        Die Beamten, Politiker, Besserverdienenden etc sind es nicht.

        Da herrscht eine große Ungerechtigkeit und das macht die Menschen sauer auf das System.



        Blöderweise richtet sich der Zorn und die Aggression dann gegen diejenigen, die nichts dafür können, die Flüchtlinge.

    • @Gerdi Franke:

      Dann müssten Sie ebenso für eine Vermögenssteuer, eine nachhaltig wirkende Einkommens- und Erbschaftssteuer für Superreiche sein, höhere Löhne und eine Ausweitung des öff Sektors. Prima! Ich packe noch die Enteignung der 50 größten deutschen Vermögen obenauf. :-)

      • @Gerhard Krause:

        "Müsste" er nicht. Man kann auch andere Lösungsansätze als gerechter, wirkungsvoller oder effizienter betrachten bzw. die Ihren einfach (teilweise) ablehnen. Diese Pluralität der Menschen und Meinungen macht unsere Demokratie ja gerade aus.

    • @Gerdi Franke:

      Gesetzestreu wird die Koalition ja schon sein, sie versucht ja, das bestehende Recht auf Asyl sicherzustellen. Ein Recht, das jede*r von uns auch gern in Anspruch nehmen möchte, wenn er/sie einmal in die Notwendigkeit kommt, das zu müssen.

      • 0G
        06137 (Profil gelöscht)
        @nuocmam:

        Anerkennungsquote 33%. Es geht also nicht nur um "Recht auf Asyl". Dann wäre es ja einfach.

      • RS
        Ria Sauter
        @nuocmam:

        Wenn dem so wäre, wäre alles ordnungsgemäß.



        So ist es Abe rnicht, wie die Zahl derer anzeigt, die keinen Asylanspruch haben, aber trotzdem hier bleiben.



        Irgendeiner muss die Kosten übernehmen und dies ist, wie Gerdi Franke schreibt, der Bürger.



        Wo bleibt die Sondersteuer für Großverdiener in einer solchen Situation?

        • @Ria Sauter:

          Wäre es wirklich gerecht, Großverdiener in so einer Situation zur Kasse bitten? Die können ja auch nichts dafür. Zudem zahlen sie bereits größere Summen an Steuern als die Geringverdiener. Wenn eine Gesellschaft etwas möchte, sich z.B. für Solidarität mit Flüchtlingen entscheidet, muss das auch die Gesellschaft - alle Bürgerinnen und Bürger - finanzieren.

          Die Schere zwischen Arm und Reich ist ein separates (deutlich größeres) Thema. So sollte man es auch lösen. Statt über Finanzieurng der Flüchtlige sollte man über die Integration sprechen, damit die Finanzierung ein immer kleineres Thema wird. Wenn wir alles am Beispiel der Flüchtlingsthematik abarbeiten, bespielen wir das Framing der AfD.