piwik no script img

Aufnahme von FlüchtlingskindernGroko für „Koalition der Willigen“

Union und SPD wollen minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen – wenn andere EU-Länder mitmachen. Die Details sind noch vage.

Ein Mädchen steht am Zaun eines provisorischen Zeltlagers in der Nähe des Camps Moria auf Lesbos Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

BERLIN taz | Ein vorsichtiges Ja, ein großes Aber – so lässt sich die Einigung von Union und SPD zur Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge zusammenfassen, den sie am frühen Montagmorgen im Koalitionsausschuss gefasst haben. Die Regierungsparteien wollen einen „angemessenen Anteil“ von rund 1.000 bis 1.500 Kindern nach Deutschland holen, die derzeit in den völlig überfüllten Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln hausen. Soweit das „Ja“.

Das erste „Aber“ beginnt bereits damit, dass die Aufnahme unter einem entscheidenden Vorbehalt steht: Nur wenn auch andere EU-Staaten zur Aufnahme bereit sind, will Deutschland helfen. Von einer „Koalition der Willigen“ sprechen die Regierungsparteien. Im Einigungspapier schreiben sie: „In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen.“

Bereits seit Monaten diskutieren die EU-Länder, ob Kinder aus den massiv überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln geholt werden sollen, um den humanitären Notstand in den Lagern zu mindern. Bislang kamen sie dabei aber zu keiner Einigung. Spätestens seit die Türkei in den vergangenen Wochen begonnen hat, syrische Flüchtlinge an die EU-Außengrenze zu bringen, hat sich die Situation nochmals verschärft. Laut Unicef etwa leben 40.000 geflüchtete Kinder in Griechenland. Im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos hausen etwa 19.000 Menschen im Dreck. Traumatisierte Kinder spielen im Schlamm und frieren in unbeheizten Zelten.

EU-Staaten wollen sich beteiligen

„Es geht hier um die Schwächsten, die sich zum Teil seit Monaten in einer prekären Lage befinden“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nach der Einigung. Doch wie viele Staaten mitmachen, blieb – „Aber“ Nummer zwei – vorerst unklar. Dass alle 27 EU-Länder mitziehen, gilt als sehr unwahrscheinlich.

Aussichtsreicher erscheint da, dass sich einzelne Mitgliedsländer dem Berliner Vorstoß anschließen. So hätten laut Innenministerium bereits erste Länder ihre Bereitschaft erklärt. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von positiven Signalen unter anderem aus Finnland, Luxemburg und Portugal. Auch Frankreich dürfte sich laut CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer beteiligen.

Was mit den Angehörigen?

Doch selbst wenn diese „Koalition der Willigen“ rasch zustande kommen sollte, bleiben einige Punkte offen. 1.000 bis 1.500 Minderjährige sollen EU-weit verteilt werden. Was wäre da der „angemessene Anteil“ Deutschlands? Das Innenministerium wollte keine Zahl nennen, teilte nur mit, dass es im Fall der Fälle rasch gehen solle. Dies sei „keine Frage von Monaten, sondern eher von Wochen“, sagte ein Ministeriumssprecher am Montag.

Eine weiteres Fragezeichen: Um welche Flüchtlingskinder geht es genau? „Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen“, schreiben die Koalitionäre. Was das in der Praxis bedeutet, blieb am Montag offen. Was, beispielsweise mit einem unbegleiteten 15-jährigen Flüchtlingskind, oder was mit möglichen Angehörigen schwer kranker Flüchtlingskinder passiert. Müssen diese dann im Lager auf Lesbos bleiben?

In der Einigung bestätigt

Auch wenn Details noch offen sind, lobten Hilfsorganisationen den Beschluss. World Vision teilte etwa mit, die Hilfe für unbegleitete Minderjährige sei ein Schritt in die richtige Richtung. Ähnlich klang Petra Bendel vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: „Gerade kranke und unbegleitete Kinder brauchen Schutz.“ Viele Bundesländer und Kommunen seien bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Griechenland dürfe nicht allein gelassen werden.

Derweil haben die Seenotretter von Mission Lifeline am Montag eine eigene Evakuierungsmission gestartet. Mit Hilfe von Spenden wollen sie ein Flugzeug chartern, um geflüchtete Mütter mit ihren Kindern von Lesbos nach Berlin zu bringen. „Wir können nicht länger zusehen, wie Menschen in Europa behandelt werden“, erklärte Axel Steier von Lifeline. Die Groko-Einigung sehen sie als Rückenwind: „Der Druck, den wir ausgeübt haben, zeigte endlich Wirkung“, schrieben sie auf Twitter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Dies sei „keine Frage von Monaten, sondern eher von Wochen“, sagte ein Ministeriumssprecher am Montag.(...) Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind,..."

    So reden Werte und Humanismus, Völker- und Menschenrechte, Genfer Flüchtlingskonvention, Asylrecht und Grundgesetz verachtende Wohlstandfaschisten. Die erinnerungspolitische Wende um 180 Grad ist eingeläutet!

  • Wenn die Mitglieder der Groko auch nur den geringsten deutsch-historischen Anstand hätten, würden Sie sich nicht mit nachtfüllenden Scheindiskussionen aufhalten, sondern den in Not befindlichen Flüchtlingen sofort helfen.



    Wie pervers und zynisch die Formulierung, „Es handelt sich dabei um Kinder, die entweder wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder aber unbegleitet und jünger als 14 Jahre alt sind, die meisten davon Mädchen“, und dann auf Eine Koalition von Willigen zu warten.



    Den Mitgliedern der SPD und CDU/CSU fehlt jeder Bezug zur Realität. Die Erinnerung an den letzte Krieg unseres Landes und die damit verbundenen Umstände ist wohl schon vergessen.



    Diese Politiker treten die Menschenrechte und unser Grundgesetz mit Füssen.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Habe hier einen Vorschlag gemacht:

    taz.de/Rechte-Soli...bb_message_3927298

  • Wow! Mindestens eine Millon schutzbedürftige Flüchtlinge drängen in die EU und nun wird eine große europäische Diskussion darüber angezettelt, 1500 Kinder herein zu lassen. Mit umfangreichen innereuropäschen Beratungen und unsicherem Ausgang. Vor allen anderen müssen unsere Grenzen "geschützt" werden, mit Millionen € für Frontex und andere "Grenzschützer", als ob es sich um einen militärischen Angriff handelt!

    Wie humanist das denn? Menschenrechte, Flüchtlingskonvention... Egal, wir müssen ja die AfD, Le Pen, Salvini, Schweden"demokraten" usw. "bekämpfen", indem wir das machen, was sie fordern. Wie feige ist das?

    (Freue mich schon auf die Antworten der 50% der AfD-nahen KommentatorInnen in diesem Forum, um sie wieder auseinander nehmen zu können ;) )

  • Macht verdammt noch mal einen Anfang. Hier stehen die Unterkünfte leer. Die Leute, die sich 2016 ehrenamtlich in die Bresche geworfen haben, um das Versagen der Behörden zu kompensieren, stehen auch jetzt wieder bereit und fragen sich - übrigens seit fast einem Jahr - wann sich mal jemand überlegt, wie man mit der nächsten Katastrophe umzugehen gedenkt. Denn dass sie kommt, war schon klar, bevor der Kriegsverbrecher und Erpresser Erdogan die Grenze aufgemacht hat.

    Wir haben das damals ganz gut hinbekommen. Aber unsere Verwaltung scheint sich nicht vorzudrängen bei der Frage, ob man jetzt wieder Flüchtlinge aufnehmen will oder kann. Es ist höchste Zeit.

    Und es ist höchste Zeit, dass die Kanzlerin und der Aussenminister dem Autokraten vom Bosporus klar machen, dass der deutsche Steuerzahler nicht gewillt ist, seine kriegerischen Ambitionen in Syrien und Libyen auch noch mit dem Etikett der humanitären Hilfe zu finanzieren. Also laßt die Menschen zu uns kommen, sie sind in Not!

    • @eWolf:

      Danke, besser hätte ich es auch nicht sagen können! Wo sind wir hin gekommen, dass wir uns von den 25% Faschisten, die es schon immer gab, so vorführen lassen?

  • Der Begriff "Koalition der Willigen" ist für mich extrem negativ besetzt, damit wurde 2003 die Allianz von USA / GB bezeichnet, die den IRAK überfallen haben, ohne UN-Mandat. Kanzler Schröder/SPD hatte u.a. mit dem Argument den Wahlkampf gewonnen, daß sich D. nicht der Koalition der Willigen anschließt. Fr.Merkel soll sich übrigens bei den USA dafür entschuldigt haben.