Aufklärung von Polizei-Gewalt: Ermittlungen gegen sich selbst
Das Dezernat Interne Ermittlungen der Polizei ermittelt in 49 Fällen wegen Polizeigewalt beim G20-Gipfel. Betroffene können sich melden – nur macht das keiner
Rund 50 Polizeibeamt*innen sind hier für die Ermittlungen gegen ihre eigenen Kolleg*innen zuständig. 49 Fälle liegen ihnen aktuell vor, die mit den G20-Protesten zu tun haben. In 41 Fällen lautet der Vorwurf Körperverletzung im Amt, in den anderen Nötigung, sexuelle Belästigung, Beleidigung und Verletzung des Dienstgeheimnisses. Neben den zahlreichen Videos im Internet, die gewalttätige Übergriffe von Polizist*innen auf Demonstrant*innen dokumentieren, arbeitet das Dezernat mit dem polizeieigenen Video- und Funkmaterial und mit Hinweisen aus der Bevölkerung. Theoretisch kann und soll vor allem jede*r, der Polizeigewalt erlebt hat, hierherkommen und Anzeige erstatten. Aber niemand macht das.
Es kommt fast nie vor, dass sich die Opfer von Polizeigewalt an die Behörde wenden, bestätigte eine Sprecherin der Innenbehörde. In 40 Prozent der angezeigten Fälle ist die Identität des Opfers unbekannt. In den restlichen 60 Prozent hat nicht das Opfer Anzeige erstattet, sondern ein*e Beobachter*in. Selbst linke Anwält*innen raten Betroffenen von Polizeigewalt von einer Anzeige gegen die Polizei ab. In den allerwenigsten Fällen werden die Polizist*innen am Ende belangt, in fast jedem Fall kassiert das Opfer eine Gegenanzeige.
Deutschland steht im internationalen Vergleich in Sachen Verfolgung von Polizeigewalt schlecht da. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen kritisierte Deutschland 2013 für die mangelhafte Aufklärung von Polizeiverbrechen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert schon seit Jahren, dass unabhängige Ermittlungsstellen polizeiinterne ersetzen.
Anfang der 1990er-Jahre machte die Hamburger Polizei Schlagzeilen mit einer Reihe von Skandalen.
Scheinhinrichtungen: Polizist*innen der Polizeiwache 11 hatten Schwarze am Freihafen zum Schein hingerichtet.
Misshandlungen: Auf der gleichen Wache hatten Polizist*innen schwarze Männer in einer Zelle mit Insektenspray malträtiert.
Gegen 80 Polizist*innen wurde ermittelt. 27 wurden suspendiert.
Der damalige Innensenator Werner Hackmann (SPD) trat daraufhin 1994 zurück.
In Hamburg gab es etwas vergleichbares schon mal. Nach den Anfang der 1990er-Jahre als „Hamburger Polizeiskandal“ bekannt gewordenen Vorwürfen über systematische Polizeigewalt richtete der rot-grüne Senat eine spezielle Kommission aus unabhängigen Expert*innen wie Rechtsanwält*innen, Soziolog*innen und Kriminolog*innen ein. Sie sollte interne Fehlentwicklungen aufdecken und der Politik darüber Bericht erstatten. Das war bundesweit ein Novum.
Als jedoch der Rechtspopulist Ronald Schill 2001 zweiter Bürgermeister und Innensenator wurde, war die Abschaffung dieser Kommission eine seiner ersten Amtshandlungen: Von einem „Misstrauensinstrument gegenüber der Polizei“ sprach Schill damals. Seitdem sind es wieder nur Polizist*innen, die gegen Kolleg*innen ermitteln sollen. Die Innenbehörde will die Unabhängigkeit des Dezernats für Interne Ermittlungenunterstreichen. Deshalb hat sie es in eigene Räume verlegt. Auch die Beamt*innen des Dezernats betonen, dass sie nicht dem Polizeipräsidenten, sondern der Innenbehörde unterstellt sind. Allerdings sitzt die Innenbehörde im selben Gebäudekomplex. Von den Fenstern des Dezernats kann man hinüberschauen. Auch die Beamt*innen im Flur des Dezernats sagen: „Wir sind in erster Linie Kriminalpolizisten.“
Im Norden ist bisher erst Bremen dabei, das Problem anzugehen. Der rot-grüne Senat einigte sich in seinem Koalitionsvertrag 2015 darauf, dass das Dezernat für Interne Ermittlungen künftig nicht mehr der Innenbehörde, sondern dem Justizsenator unterstellt werden soll. „Die Ermittler im Justizressort unterzubringen, ist die einzige Möglichkeit sicherzustellen, dass gewisse Verbindungen und Korpsgeist unterbunden werden“, begründete der Senat. Niedersachsen und Schleswig-Holstein sehen wie Hamburg keine Probleme.
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