Aufhebung der Homeofficepflicht: Präsenzkultur ist veraltet
CDU und SPD schauen wieder mal nicht weiter als vier Wochen voraus. Dabei geht es jetzt um die Arbeitswelt nach der Pandemie.
D as ganze Elend des schwarz-roten Regierens in der Coronakrise offenbart sich in der neu entbrannten Diskussion ums Homeoffice. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) möchte aufgrund der niedrigen Inzidenz die Homeofficepflicht schon vor Ende Juni aufheben, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist dagegen. Für ein vorsichtiges Vorgehen spricht sicher mehr als für den Ich-glaub-alles-ist-vorbei-Ansatz. Beschäftigte fühlen sich zudem sicherer, wenn sie zumindest einmal geimpft ins Büro zurückkehren, und viele werden dazu erst im Juni Gelegenheit haben.
Doch das ist nicht der eigentliche Punkt. Erschreckend ist, dass die beiden Regierungsparteien wieder einmal nur auf Sicht fahren, also nicht mehr als vier bis fünf Wochen vorausschauen. Denn tatsächlich geht es beim Homeoffice nun darum, wie die positiven Erfahrungen aus dem Lockdown, der Modernisierungs- und Digitalisierungsschub, in das Post-Corona-Arbeitsleben mitgenommen werden können. Denn ohne Zweifel ist auch den meisten Arbeitgeber*innen klar geworden, dass die so lang gehegte deutsche Präsenzkultur aus der Zeit gefallen ist.
Unternehmen, die ihren Arbeitnehmer*innen schon länger mobiles Arbeiten möglichen, etwa die Telekom, arbeiten mit Hybridmodellen. Für Prozesse, bei denen Austausch, Kreativität und Gruppendynamik gefragt sind, trifft man sich im Büro. Der Arbeitsplatz wird mehr als bisher zur Begegnungsstätte. Er ist kein Ort mehr, wo man sich an seinem Platz häuslich einrichtet. Für Arbeiten, die man allein erledigt, ist keine Anwesenheit im Büro nötig (aber möglich). Schreibtische werden je nach Bedarf gebucht.
Die Wirtschaft hat die Vorteile längst erkannt: enorme Einsparpotenziale. Wenn nicht mehr jeden Tag alle Beschäftigten ins Büro kommen müssen, können teure Büroflächen stark verkleinert werden. Auch die Anzahl der kostenintensiven und familienunfreundlichen Dienstreisen kann mit Videokonferenzen reduziert werden. Zusätzlicher Effekt: zufriedenere Arbeitnehmer*innen, wie Befragungen zeigen.
Die Grünen gehen mit ihrem Vorschlag immerhin in die richtige Richtung. Sie haben erkannt, dass es um Modernisierung geht und es ein Zurück zur Präsenzpflicht nicht geben kann. Doch daraus gleich ein Recht auf Homeoffice abzuleiten wirkt nicht durchdacht. Überzeugender wäre, wenn der öffentliche Dienst Vorreiter für eine neue Arbeitswelt würde. Und ein paar steuerliche Anreize können sicher auch nicht schaden. Alles andere wird sich von allein in die richtige Richtung entwickeln, weil die Vorteile überwiegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja