Aufflammende Kämpfe im Kongo: Rückkehr der Kriegsstimmung

Luftangriffe, Zehntausende auf der Flucht: Im Kongo wächst Angst vor einem neuen Krieg. Viele Kongolesen sehen Ruanda hinter der neuen Stärke der M23-Rebellen.

Geflohene Bewohner des Dorfes Kirumba bei der Essensausgabe in der Schule von Kanyarucina, Freitag Foto: reuters

KAMPALA taz | Deja-Vu in der Demokratischen Republik Kongo: Wieder ist in der Provinzhauptstadt Goma das ferne Dröhnen der Feuergefechte zu hören; wieder fliehen Zehntausende Kongolesen aus ihren Dörfern nördlich der Millionenstadt; wieder nehmen die Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März) strategische Stellungen in dem hügeligen Gebiet ein; wieder herrscht hitzige Stimmung in Teilen der ostkongolesischen Bevölkerung gegen die M23 und damit auch gegen die Tutsi-Minderheit im Land sowie gegen das Nachbarland Ruanda.

Es ist fast auf den Tag genau zehn Jahre her, dass die M23-Tutsi-Rebellen unter dem aus der Armee desertierten General Sultani Makenga genau denselben Landstrich im Ostkongo entlang der Grenze zu Uganda und Ruanda eroberte, später sogar die Millionenstadt Goma. Ein Jahr später wurden sie besiegt und ihre Kämpfer verzogen sich nach Uganda – aber seit einem halben Jahr sind sie wieder da, und aus Makengas versprengtem Häufchen von Kriegsveteranen ist erneut eine Bürgerkriegstruppe geworden, die Kongos Armee in Bedrängnis bringt.

Am Donnerstag vergangene Woche gelang es den M23-Rebellen sogar, die wichtigste Militärbasis der kongolesischen Armee in der Provinz Nord-Kivu einzunehmen: Rumangabo, 40 Kilometer nördlich von Goma, direkt neben dem Hauptquartier des Virunga-Nationalparks mit seinen Berggorillas. Nach heftigen Feuergefechten konnte die Armee die Einrichtung zurückerobern. Laut Armeesprecher Ndjike Kaiko sind auch die zu Beginn der Woche von der M23 eroberten Orte Chanzu und Runyoni weiter nördlich nahe der ugandischen Grenze inzwischen wieder unter Armeekontrolle.

Die Kehrtwende kam, nachdem UN-Blauhelme auf Seiten der Armee intervenierten. UN-Hubschrauber bombardieren seit Tagen M23-Stellungen in den dicht bewaldeten Bergen im Dreiländereck von Kongo, Ruanda und Uganda. Auch am Samstag warfen kongolesische und UN-Hubschrauber erneut Bomben ab. Die Chefin der UN-Mission im Kongo (Monusco), Bintou Keita, beschuldigte die M23, am Dienstag ein UN-Lager nördlich von Goma angegriffen zu haben. Sie hätten nach dem Angriff auf kongolesische Armeestellungen „vorsätzlich die Monusco-Friedenstruppen in der Region angegriffen, die gemäß ihrem Mandat reagiert haben.“

Die M23 beschuldigt nun umgekehrt die UN-Blauhelme, nicht nur mit Kongos Armee zusammenzuarbeiten, sondern auch mit deren mutmaßlichen Alliierten: den ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), in welcher sich noch immer einige ruandische Völkermörder tummeln und die international als Terrorgruppe geächtet ist. Die ruandischen Völkermordtäter hatten sich nach dem Genozid 1994 an den ruandischen Tutsi nach Kongo zurückgezogen, während in Ruanda Tutsi-Rebellen die Macht ergriffen, und im Kongo 2000 die FDLR gegründet.

Heftige Kämpfe nördlich von Goma

In den vergangenen Tagen verlagerten sich die Kämpfe in Richtung Goma. Im Dorf Kibumba rund 20 Kilometer nördlich der Millionenstadt wurde heftig gekämpft. Die Einschläge der schweren Geschütze waren in Goma zu hören. Kibumba liegt außerdem nur einen Steinwurf von Ruandas Grenze entfernt. Aus Ruanda habe die M23 Hilfe bekommen, heißt es in Goma nun. Viele fragten sich, wie es den zuvor nur rund 100 M23-Kämpfern gelingen konnte, gleich zwei Frontlinien zu halten. Augenzeugen berichten, die Rebellengruppe habe mittlerweile mehrere Hundert Kämpfer.

Rumangabo, Rugari, Kibumba, Kibati – lauter kleine Dörfer entlang der Überlandstraße, die von Goma aus nördlich durch den Virunga-Park bis nach Rutshuru führt, sind nun wieder verwaist. Die Einwohner haben ihre Habseligkeiten zusammengerafft und sind geflohen.

Bis zu 72.000 neue Vertriebene in nur einer Woche meldet das UN-Koordinierungsbüro OCHA – in ganz Nord-Kivu gibt es bereits über 1,8 Millionen Binnenflüchtlinge. 7000 Kongolesen seien ins Nachbarland Uganda geflohen, so das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die übrigen suchen am Rand der Millionenstadt Goma in selbstgebauten Zeltunterkünften Schutz. Landesweit sind in Kongo fast sechs Millionen Menschen vertrieben, so viele wie in keinem anderen Land Afrikas.

Wie bereits beim Krieg zwischen Regierung und M23 im Jahr 2012 sind in Gomas nördlichen Vororten Munigi, Kanyaruchina und Kibati gewaltige Zeltstädte entstanden. Zahlreiche NGOs versuchen, die erschöpften Menschen notdürftig zu versorgen.

Und wie bereits 2012 ist auch der Propagandakrieg im vollen Gange, wie bereits 2012. Die M23 erklärt in einer Pressemitteilung, Kongos Armee habe die ruandische Hutu-Miliz FDLR angeheuert. Kongos Armee wiederum sagt, dass Ruanda den Tutsi-Rebellen der M23 zu Hilfe gekommen ist.

Es zirkulieren Fotos von zwei Kriegsgefangenen der kongolesischen Armee in ruandischer Uniform und mit ruandischen ID-Karten, eine davon von Ruandas Armee. Ruandas Regierung verneint dies vehement. Ruandas Armee erklärt, mehrere Geschosse seien in Ruanda eingeschlagen und die FDLR habe entlang der Grenze die beiden Soldaten gekidnappt. „Wir fordern alle Behörden in der DR Kongo auf, die mit diesen völkermörderischen bewaffneten Gruppe zusammen arbeiten, deren Befreiung zu erwirken“, so die Presseerklärung.

Mit Macheten gegen den Tutsi-Feind

Die Vermutung, Ruanda helfe der M23, ist für viele Menschen in Goma Gewissheit und lässt die Gemüter hochkochen. Die Bürgerrechtsbewegung „Lucha“ startete eine Spendenaktion für Kongos Armee: Geld, Seife, Bohnen für die Soldaten wurde auf dem Markt von Goma gesammelt. Aba von Ang, Vize-Polizeichef der Provinz Nord-Kivu, rief während einer Parade die Bevölkerung auf, sich zu bewaffnen und bei der Landesverteidigung zu helfen. Videos zirkulieren, in welchen junge Männer mit Macheten durch Goma marschieren, um die „Feinde“ zu eliminieren – die kongolesischen Tutsi. Im Stadtteil Munigi, wo die traditionelle Tutsi-Königsfamilie ihren Sitz hat, wurden Häuser angezündet.

„Wir alle wissen, wie diese Art von Aufruf in Gewalt ausarten kann“, erklärt die M23, da „ethnische Hassreden und Fremdenfeindlichkeit eine schreckliche Vergangenheit haben.“ Gegründet wurde die M23 von kongolesischen Tutsi, die sich seit ihrer Kindheit in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher fühlen, ein Großteil ihrer Familien lebt seit den 1990er Jahren in den Nachbarländern als Flüchtlinge. Die M23 ging 2012 aus der Rebellenorganisation CNDP (Nationalkongress zur Volksverteidigung) hervor, die ehemalige pro-ruandische Rebellen vereinte. Am 23. März 2009 hatte Kongos Regierung mit dem CNDP eine Friedensvereinbarung getroffen, die nicht umgesetzt wurde. Die 2009 in die Armee eingetretenen Tutsi-Rebellen gründeten daraufhin 2012 die M23 als neue Rebellenarmee.

Der neue Krieg hat binnen weniger Tagen sämtliche Annährungsversuche zwischen den einst verfeindeten Nachbarn Kongo und Ruanda wieder rückgängig gemacht. Kongos Regierung hat der ruandischen Fluggesellschaft RwandAir die Landeerlaubnis entzogen, Ruandas Botschafter wurde einbestellt. Politiker in Kinshasa drohen auf Twitter, sie würden die kürzlich eingegangen Vereinbarungen mit Ruanda im Gold- und Mineralienhandel aufkündigen, wenn Ruanda die Hilfe für die Tutsi-Rebellen nicht sofort einstelle. Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya erklärte nach einem Treffen des Verteidigungsrates in Kinshas die M23 zur Terrororganisation und verbannte sie von den Friedensgesprächen, die Kongos Regierung mit kongolesischen Milizen in Kenia führt.

Greifen Uganda und Ruanda gemeinsam ein?

Damit steht der Versuch der ostafrikanischen Region, Kongo auf diplomatischem Weg zu befrieden, vor dem Aus. Erst im April war die Demokratische Republik Kongo der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) beigetreten – ein historischer Erfolg von Präsident Félix Tshisekedi und seiner Politik der Annäherung an die Nachbarn. Bald sollen Waren vom Atlantik bis zum Indischen Ozean zollfrei umgeschlagen werden, so die Idee. Doch ohne Friede im Ostkongo gehen diese Visionen nicht auf. Und nun wird nicht in Kenia verhandelt, sondern in Kongo gekämpft.

Auch Kongos östliche Nachbarn, allen voran Uganda, drohen nun, militärisch zu intervenieren. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gilt als Pate der EAC-Erweiterung um Kongo. Sein Sohn Muhoozi Kaineruugaba, zugleich Ugandas Heereschef, war es gelungen, den heftigen Streit zwischen Uganda und Ruanda zu schlichten, der in den vergangenen drei Jahren die EAC lahmgelegt hat. Seit November 2021 kämpft Ugandas Armee in Kooperation mit Kongos Armee im Kongo gegen die islamistischen ugandischen Rebellen der ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte). Jetzt spielen die EAC-Staatschefs mit der Überlegung, eine gemeinsame regionale Truppe für den Kongo aufzustellen.

Am Freitag überquerten 30 ruandische Armeelastwagen voller Soldaten und Gerät die Grenze nach Uganda und fuhren auf der Überlandstraße gen Hauptstadt Kampala. Da hielten viele in Uganda den Atem an. General Kainerugaba hatte auf Twitter zuvor von einer ugandisch-ruandischen Eingreiftruppe geschwärmt, die im Kongo für Ruhe sorgen könne. Dafür erwarte er das OK von Kongos Präsident Tshisekedi. Gleichzeitig solidarisierte er sich mit den M23 und Ruanda und drohte der FDLR mit Krieg, wenn sie nicht sofort die Waffen niederlege.

Die ruandischen Armeelastwagen sind auf dem Weg in die ugandische Stadt Jinja am Nil für eine EAC-Militärübung. Analysten vermuten, dies könne einen Vorbereitung auf eine Kongo-Intervention sein. Für Kongos Präsident, der 2023 wiedergewählt werden möchte und sich mit einer wachsenden anti-ruandischen Stimmung im Volk konfrontiert sieht, wird das ganz brenzlig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.