Aufbruch oder Untergang: Propaganda, Palästina, Parteien
In diesen hektischen Zeiten mag es fromm klingen, slow journalism zu fordern. Doch was will man dem Hunderennen um Klicks sonst entgegensetzen?
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Deutsche Außenpolitik zu Gast bei Nichtfreunden.
Und was wird besser in dieser?
Schneller lernen.
Seit den Massakern der Hamas an Israelis sind antisemitische Vorfälle in Deutschland enorm gestiegen. Was kann man dem entgegensetzen?
Im irischen Radio RTE verglich eine Kommentatorin: Jahrzehnte des Bürgerkriegs, eine Terrororganisation als informelle Regierung, eine hart militärische Besatzungsmacht, jeder Schuss und jede Bombe mit selbst gemachter Moral zugelogen. Was im irischen Fall endlich wirklich half, war der Widerstand vor allem der Frauen, der Zivilgesellschaft gegen den Terror wie die Besatzung. Dieser Vergleich mag kaum schnell genug aus der Tür hinken können, als er von ein paar Moralschleudern in Grund und Boden ge-X-t wird. Sei’s drum. In Nordirland dauerte es vom Osteraufstand 1922 bis zum unvollständigen Friedensschluss 1998.
Es ist der falsche Zeitpunkt und Affekt, wie etwa CDU-Chef Merz, seine Minderwertigkeitskomplexe gegen dunkelhaarige junge Männer auszuagieren. Soll er sich einen Vollbart wachsen lassen. Wer nicht auf die Engel setzt, betreibt das Geschäft der Dämonen.
Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek verurteilt bei der Buchmesse die Hamas, fordert aber auch Verständnis für die Palästinenser:innen. Die Rede löst einen Tumult aus. Zu Recht?
Klar. Žižeks Mut zur Wahrheit gehört mit Aufmerksamkeit belohnt. Ich unterstelle kein Kalkül.
In sozialen wie in klassischen Medien sammeln sich Desinformationen zum Krieg in Nahost. Wie kommen Journalist:innen dagegen an?
Die russische Rakete, die in Polen einschlug, war dann doch eine ukrainische. Die Löcher in Nord Stream bombte „ein staatlicher Akteur“, sicher Russland, bis alle Indizien auf ukrainische Täter wiesen, die keinesfalls staatliche Akteure waren. Strack- Zimmermann und Konsorten können ihre komplette Garderobe inzwischen an ihren Pinocchio-Nasen vor sich hertragen. Und werden – allesamt Überführte – weiter fleißig um neue tolle Meinungen zur neuen schlimmen Katastrophe gebeten. Das journalistische Debakel, aus einer festen Meinung heraus die Belege zu bewerten und zu selektieren, sollte hinter uns liegen. Zumal wir diesmal wissen, dass Propagandaarmeen – hier Palliwood, da Hasbarah – gegen die Wahrheit antreten. Mag fromm klingen, slow journalism zu fordern, denn man weiß, dass es ein Hunderennen um die schnellsten Klicks ist. Leichter: Sieh es von übermorgen aus, vom Frieden, und checke von dort aus rückblickend, was du dagegen angemeint hast.
Jetzt kommt sie also doch – die Wagenknecht-Partei. Ist das die Rettung oder der Untergang der Linkspartei?
Ganz sicher der Untergang der Wagenknecht. Klingt paradox, doch die wird aus der Chefdissidentin eine Sektenführerin machen. Bisher profitiert sie vom zerstörerischen Konflikt mit ihrer Herkunftsfamilie. Ohne dies Framing wird sie ein Irrlicht im Parteienspektrum, deren Verrisse viele begeistern und deren Konstrukt ein Bällchenbad für allseits abgegebene Spinnerkinder wird. Selbst zweimal 4,9 Prozent – und diese Schätzung wäre optimistisch für beide Parteien – wird am Wahlabend null. Rechts hingegen – heikler Vergleich – halten die zerstrittensten Querulanten zusammen. Locker über 10 Prozent. Die Linke hat ein in sich einigermaßen schlüssiges Programm, die Wagenknechte eine Ikone. Letzteres ist im Kern autoritär – und nicht links.
In Polen kann Ex-Premier Tusk eine neue, proeuropäische Regierung bilden. PIS wurde letzte Woche abgewählt. Was bedeutet das für die EU?
Eine Tusk-Regierung bliebe knallkatholisch, migrationsfeindlich und hätte eine Menge Arbeit, Justiz und Medien rückzudemokratisieren. Und zwar schneller, als die EU-Rechtsstaatsverfahren gegen Polen greifen. Zudem ist Tusk mindestens so proamerikanisch wie proeuropäisch. Es wird drauf ankommen, ob die beiden unterschiedlich beliebten Onkel Frankreichs und Deutschlands erfolgreich und sacht Polen umpolen.
Erst geht Netflix gegen Passwort-Teilen vor, jetzt soll es auch noch Preiserhöhungen geben. Perfekter Zeitpunkt, die Plattform zu verlassen?
Das Premium-Abo liegt nur noch psychologische 37 Cent unter der öffentlich-rechtlichen Haushaltsgebühr. Klar, die ÖRR kann man nicht kündigen. Netflix dagegen wird kein vergleichbar umfassendes Programm anbieten. Deshalb beweist das Elitenprodukt Netflix aus Versehen, dass es eine Basisversorgung für alle zwingend braucht. Ja, zwingend. Finde ich auch doof, ist aber so.
Und was machen die Borussen?
„Reich, aber unsexy.“ Spielweise und Kader des BVB erinnern derzeit an die schlimmsten Bayern-Zeiten. Ätsch.
Fragen: Anna Hollandt, Vivien Mirzai und Franziska May
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin