piwik no script img

Atomkraftwerke und CoronaKein Stopp für Reaktoren und Abfall

Trotz fehlender Prognosen zum Personalausfall laufen die deutschen AKWs in der Corona-Krise weiter. Und auch Uranmüll soll weiterhin rollen.

Hier wird wegen Corona zumindest die Revision verlängert: AKW Grohnde an der Weser Foto: ap

Berlin taz | Ist angesichts der weiteren Verbreitung des Corona-Virus ein sicherer Betrieb der deutschen Atomkraftwerke auch in Zukunft gewährleistet? Dazu liegen im Bundesumweltministerium offenbar keine eigenen Erkenntnisse vor. „Die aktuelle Dynamik bei der Ausbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) lässt keine belastbare Prognose zum maximalen Personalausfall eines Atomkraftwerks in Deutschland zu“, erklärte das Ministerium Ende März in der Antwort auf eine Grünen-Anfrage, die der taz vorliegt.

Trotz dieser unklaren Situation sieht man im von Svenja Schulze (SPD) geführten Ministerium keinen Anlass, eine vorsorgliche Abschaltung einzelner Reaktoren zu veranlassen. Stattdessen vertraut man darauf, dass die Betreiber von sich aus verantwortungsvoll handeln: „Im Falle eines Ausfalls eine Beschäftigten in einem Atomkraftwerk existieren Vertretungsregelungen für den Ausfall einzelner Mitarbeiter“, teilte ein Sprecher des Ministeriums der taz mit.

Konsequenzen hält das Umweltministerium erst dann für erforderlich, wenn auch keine Vertreter mehr verfügbar sind: „Kann eine Anlage die Mindestbesetzung für den sicheren Betrieb nicht sicherstellen, so ist sie abzufahren.“

Bisher laufen die Atomkraftwerke unverändert weiter. Folgen hat die Corona-Epidemie bisher nur für das niedersächsische AKW Grohnde: Dort soll die jährliche Revision, bei der der Reaktor gewartet und mit neuen Brennstäben bestückt wird, verlängert werden: Statt der ursprünglich vorgesehenen zwei Wochen soll der Reaktor dafür nach Ostern sechs Wochen vom Netz gehen, teilte der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies (SPD) am Freitag mit.

Damit soll erreicht werden, dass statt der üblichen 1000 zusätzlichen Arbeitskräfte während der Revision maximal 250 zusätzliche Menschen gleichzeitig im AKW arbeiten, um Kontakte zu minimieren.

Sylvia Kotting-Uhl, Atomexpertin der Grünen und Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestags, kritisiert den Weiterbetrieb der Kraftwerke scharf. „Anders als weite Teile der Wirtschaft fährt die Atomwirtschaft weiterhin volles Programm, obwohl der Katastrophenschutz während einer Pandemie eine besondere Herausforderung darstellt“, sagte sie der taz.

Dass die Bundesregierung sich komplett auf die Angaben der Betreiber verlasse, ohne eigene Szenarien zu erstellen, hält Kotting-Uhl für unverständlich. „Selbst Länder, die ein weit weniger ausgeprägtes Risikobewusstsein bei der zivilen Nutzung der Atomkraft haben, sorgen hier anders vor“, sagte sie.

Deutlich gesunkener Stromverbrauch

Für die Stromversorgung dürfte die Abschaltung eines Teils der Atomkraftwerke derzeit unproblematisch sein. Nach Angaben des Energiewirtschaftsverbands BDEW lag der Stromverbrauch Ende März um etwa 9 Prozent niedriger als Anfang März. Deutschland hat darum viel Strom exportiert; zudem liefen die Kohlekraftwerke mit geringer Auslastung.

Ob die vorübergehende Stilllegung einzelner Reaktoren tatsächlich ohne Probleme möglich wäre, vermag das Bundeswirtschaftsministerium aber nicht zu sagen. „Eine bloße Gegenüberstellung des Angebots und der Nachfrage nach Strom in Deutschland und Europa zu einem singulären Zeitpunkt reicht für die Bewertung der Versorgungssicherheit insgesamt und der Notwendigkeit einzelner Kraftwerke nicht aus“, teilte eine Sprecherin mit.

Auch die Bundesnetzagentur kann diese Frage aktuell nicht beantworten. „Die Bundesnetzagentur prüft die Frage, ob ein bestimmtes Kraftwerk für die Systemsicherheit am Netz bleiben muss, wenn ein Betreiber dessen Stilllegung beantragt“, teilte die Behörde mit. „Ein solcher Antrag liegt für keines der derzeit am Netz befindlichen Kernkraftwerke vor.“

Transport erlaubt, Protest verboten

Keinen Einfluss hat die Corona-Epidemie offenbar auch auf einen geplanten Transport von radioaktiven Abfallstoffen aus der Uranfabrik in Gronau nach Russland. Nach Informationen mehrerer Anti-Atom-Initiativen soll der zunächst verschobene Transport an diesem Montag stattfinden. „Das ist absolut unverantwortlich“, sagte Matthias Eickhoff von der Initiative „Sofortiger Atomausstieg Münster“.

Auch die Stadt Münster lehnt die Pläne ab. Man habe die Firma Urenco, die die Gronauer Uranfabrik betreibt, „gebeten, die geplanten Transporte auszusetzen“, sagte Münsters Ordnungsdezernent Wolfgang Heuer den Westfälischen Nachrichten. Geplante Proteste gegen den Urantransport wurde wegen des derzeitigen pauschalen Versammlungsverbots verboten. Dagegen wollen die Atomkraftgegner gerichtlich vorgehen und eine „Corona-kompatible Mahnwache“ durchsetzen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Es ist unsinnig, hier das Bundesumweltministerioum zu fragen. Die Aufsicht wird durch die Länder geführt. Da hat der BMU erst mal nix zu melden. Wenn kein sicherer Betrieb gewährleistet ist, gestatten die keinen Weiterbetrieb. Da muss der BMU nichts vorsorglich festlegen....

  • Ich finde in Zeiten des Klimawandels sollte man eher die letzten AKW weiterlaufen lassen und die älteren Kohlekraftwerke schneller stillegen. Eventuell kann eine Schwarz-Grüne Bundesregierung hier die richtigen Weichen stellen. Die Zeit ist reif: in meinem Bekanntenkreis hat bei etlichen bekennende GrünenwählerInnen ein Umdenken stattgefunden.

  • Die neuen Reaktortypen sind in der Entwicklung und ich bin relativ zuversichtlich, dass dies ein Erfolg wird. Ich meine damit die Stilllegung des alten Plunders, der noch die länger als 300 Jahre strahlenden Spaltprodukte hinterlässt. Auch die Bedienungsmannschaften, die sich mit Schönreden, Dummheit (Cernobyl, Fukushima) einen Namen gemacht haben, sollten möglichst bald durch Leute ersetzt werden, auf die wir uns verlassen können. Willkommen Ausstieg, dem dann der Asche entsteigenden Phönix werden wir genau auf die Finger schauen...

  • Es ist Zeit, unsere radioaktive Verlassenschaft aufzuräumen, in Deutschland, Tschernobyl, Majak und anderswo.

  • Das die Regierung sich beim Thema Atomkraft nicht anders verhält wie nach der Vorlage des Gutachtens vom RKI im Jahre 2013 ist nicht verwunderlich.

    Was erwarten wir denn von diesen Leuten?

    Das Verhalten der Regierungspolitiker wird sich erst ändern, wenn es zu einer Atomkatastrophe kommt. Erst wenn die Gefahr besteht das sich die Lage nicht mehr schönreden läßt und das eigene Leben in Gefahr ist, wird gehandelt.

    Doch dann wird es zu spät sein, um mit viel Geld das Problem aus der Welt zu schaffen und Leben zu retten.

  • Man hat schon den Bericht der Expertenkommission zur Pandemie nicht ernst genommen. Vielleicht sollte man jetzt den Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Thema "Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung" vom 27.04.2011 ernst nehmen. Findet man mit der Sucheingabe "Technikfolgenabschätzung Blackout".



    Die vorschnelle Energiewende könnte uns ganz böse auf die Füße fallen und wenn die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen soll, wird es jede Menge verlässliche Energie brauchen und keine Abschaltung von den sichersten Kernkraftwerken der Welt.

  • Also ich wäre da mal vorsichtig. Die Pandemie macht auch vor den Öl- und Gasförderländern nicht halt, da ist in wenigen Wochen mit größeren Ausfällen zu rechnen. Und nur mit Braunkohle und den Erneuerbaren reicht uns der Strom auch bei sinkendem Verbrauch nicht aus. Und Stromausfälle, wenn sie auch nur kurzzeitig und regional begrenzt sein sollten, hätten katastrophale Asuwirkungen u.a. auch auf das Gesundheitsystem, denn der Betrieb der Notstromaggregate ist ohne Diesel oder Gas auch nicht möglich. Da könnten die unsere verbliebenen Atomkraftwerke durchaus noch sehr wichtig werden. Und abschalten können wir sie danach immer noch.

    • @boidsen:

      Ein halbes Jahr Durchschnittsverbrauch lagert sicher weltweit in Tanks. Der Verbrauch ist massiv gesunken. In Russland tobt die Pandemie noch nicht. In ein paar Wochen ist noch nichts zu befürchten, aber wenn Corona andauert...