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Atomkraftwerk an der deutschen GrenzeStrahlende Pläne in Sachsens Nachbarschaft

Tschechien plant ein AKW mit kleinen Reaktoren nahe der deutschen Grenze. Das Land hat die Frist für Stellungnahmen zu den Umweltfolgen verlängert.

AKW nein danke war gestern in Tschechien Foto: Petr Svarc/imago

Leipzig taz | Bis zu sechs neue Atomreaktoren will das tschechische Energieunternehmen ČEZ bauen. Sie sollen in dem Ort Tušimice im Nordwesten des Landes entstehen – etwa 20 Kilometer Luftlinie von der Grenze zu Deutschland entfernt. Das sächsische Erzgebirge ist in Sichtweite. Nun läuft für das Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung an. Darüber hat die tschechische Regierung das deutsche Bundesumweltministerium im Mai informiert.

Doch nicht nur die Regierung, auch deutsche Bür­ge­r:in­nen können Stellungnahmen zu den grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen des AKW-Vorhabens abgeben. Dafür hat das tschechische Umweltministerium extra die Mailadresse smr_tusimice@mzp.gov.cz eingerichtet. Eine ursprüngliche Frist bis zum 13. Juni hat Tschechien um einen Monat auf den 14. Juli verlängert. Das bestätigte am Mittwoch eine Ministeriumssprecherin auf taz-Anfrage. Bislang seien mehrere Dutzend Stellungnahmen eingegangen.

Laut den veröffentlichten Plänen für das Atomkraftwerk geht es um sogenannte „Small Modular Reactors“ (SMR). Das sind kleinere Reaktoren, die aus vorgefertigten Teilen zusammengesetzt werden. Sie enthalten weniger Brennstoff und produzieren weniger Energie als große Reaktoren. Wohin mit dem dabei entstehenden Atommüll – das ist trotzdem ungeklärt. Die Ent­wick­le­r:in­nen von SMR werben, sie seien schneller zu bauen und sicherer. Bislang gibt es noch keine SMR in Europa.

In Tschechien lehnt nur ein kleiner Teil der Gesellschaft Atomkraftwerke ab. Da sie kein CO2 ausstoßen, sollen sie laut dem tschechischen Energieplan die Braunkohle ersetzen und noch vor Wind- oder Solarkraftwerken zur wichtigsten Energiequelle werden. Teil dieser Strategie ist das nun geplante Atomkraftwerk nahe der deutschen Grenze am Fluss Ohře, der in die Elbe mündet. Zurzeit steht dort das Kohlekraftwerk Tušimice, das in den nächsten Jahren abgeschaltet und abgerissen werden soll. Der Bau des Atomkraftwerks könnte laut Plan 2034 beginnen, mit dem Betrieb des ersten Reaktorblocks wäre ab 2038 zu rechnen.

Die genaue Anzahl der SMR-Blöcke in Tušimice steht noch nicht fest. Das soll erst im Anschluss an die Umweltverträglichkeitsprüfung entschieden werden, heißt es in der Bekanntmachung von ČEZ. Das Energieunternehmen gehe von maximal sechs Blöcken und einer Höchstleitung von insgesamt 1.500 MW aus.

Doch trotz breiter Unterstützung in Tschechien stockt der Ausbau von Atomkraftwerken. Der Grund? Unter anderem die Kosten. So kommt etwa eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zu dem Schluss, der Strom aus Atomkraftwerken sei teurer als der etwa aus erneuerbaren Quellen. Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung legen das ebenfalls nahe. Neben dem Bau neuer Kraftwerke gilt deren Wartung, der Rückbau am Ende und das ungelöste Entsorgungsproblem als kostenintensiv. Daran ändert laut Untersuchungen auch die Entwicklung kleiner Atomkraftwerke aus serienmäßigen Einzelteilen nichts.

Da sie kleiner sind, sei die Stromerzeugung in SMRs nochmal teurer als in großen Anlagen. Und die kostensenkenden Skalen- und Lerneffekte der Massenproduktion wirkten sich erst bei einer hohen Stückzahl aus. Laut einem Gutachten des Öko-Instituts für das Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) braucht es etwa 3.000 Reaktoren, bis sich die SMR-Produktion lohne.

Bei der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Kraftwerk in Tušimice ist auch das Umweltministerium in Dresden beteiligt, weil hinter der tschechisch-deutschen Grenze das Bundesland Sachsen liegt. Es werde im laufenden Vorverfahren „voraussichtlich“ eine Stellungnahme abgeben, heißt es auf Anfrage der taz.

Viele Sachsen für Atomkraftwerk

Scharfe Kritik an den tschechischen Plänen kommt derweil von den Grünen. Deren stellvertretender Bundesvorsitzender Heiko Knopf sagte der taz: „So geht man nicht mit Nachbarn um.“ Ein Atomkraftwerk sei ein Risiko und wer das an einer Grenze platziere, „will es eben doch nicht ganz selbst tragen, sondern im Ernstfall den Schaden auf andere verteilen“, vermutet Knopf. „Neue Atomkraftwerke sprengen überall auf der Welt den Kostenrahmen.“

Ebenfalls kritisch äußerten sich sächsische Ver­tre­te­r:in­nen der dort regierenden Parteien CDU und SPD: Atomenergie sei nicht zeitgemäß. Die energiepolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Landtag, Ina Klemm, sagte dem MDR, es gebe weniger gefährliche Wege zur Energiegewinnung. Die AfD in Sachsen zeigte sich hingegen erfreut von den Plänen.

Wie die Menschen in Sachsen zum Atomkraftwerk am Erzgebirge stehen, lässt sich nur schwer sagen. Ein Anhaltspunkt dafür ist aber eine Befragung des Recherchenetzwerks Deutschland von 18.000 Menschen in Sachsen kurz vor der Bundestagswahl im Februar 2025. Demnach forderten 56 Prozent, Atomkraft zu nutzen. Besonders viele Befragte seien „in den Landkreisen Mittelsachsen und Görlitz sowie im südlichen Sachsen“ dafür gewesen.

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