Atomkraftgegner über Ampelkoalition: „Die Grünen müssen jetzt handeln“
Der Atomausstieg ist noch nicht abgesichert, auch die Urananreicherung in Deutschland kann beendet werden, sagt Atomkraftgegner Eickhoff.
![Menschen mit Fahnen an einem Güterbahnhof Menschen mit Fahnen an einem Güterbahnhof](https://taz.de/picture/5268845/14/Bundesregierung-Koalition-Atomkraft-1.jpeg)
taz: Herr Eickhoff, im Koalitionsvertrag der Ampel versprechen SPD, Grüne und FDP, den „Atomausstieg abzusichern“. Ist die Anti-Atom-Bewegung damit zufrieden?
Matthias Eickhoff: Nein. Viele Fragen bleiben offen. Denn im Atomausstiegsgesetz, das nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossen wurde, klaffen riesige Lücken. Die Urananreicherungsanlage Gronau, die Brennelemente-Fabrik Lingen und der Forschungsreaktor Garching haben noch immer unbefristete Betriebsgenehmigungen. Wir fordern von der neuen Bundesregierung: Diese Atomanlagen müssen so schnell wie möglich stillgelegt werden.
Warum?
Die UAA Gronau beliefert jeden zehnten Atomreaktor weltweit mit Uranbrennstoff. Das soll laut bisheriger Planung auch nach Ende 2022, wenn die letzten deutschen AKW heruntergefahren werden, so weiter gehen. Dabei entstehen in Gronau jedes Jahr rund 5.000 Tonnen Atommüll, der billig in Russland entsorgt wird. Die Fässer mit radioaktivem Abfall aus Gronau rosten am Ural unter freiem Himmel. Die Umweltschutzorganisation Ecodefense des Trägers des Alternativen Nobelpreises, Vladimir Slivyak, protestiert seit 15 Jahren dagegen.
Und Lingen und Garching?
Die Brennelemente-Fabrik Lingen versorgt gefährliche Hochrisiko-Reaktoren wie Doel und Tihange in Belgien und Cattenom in Frankreich. Und der Forschungsreaktor Garching wird mit hochangereichertem und damit atomwaffenfähigem Uran betrieben. Das ist rechtswidrig.
Gerade die FDP dürfte von Stilllegungsplänen wenig begeistert sein.
FDP-Chef Christian Lindner hat im NRW-Landtag 2017 ein Ende der Brennelemente-Transporte nach Belgien gefordert – schließlich haben die Reaktordruckbehälter in Tihange und Doel Tausende Risse. Auch die SPD steht im Wort: Deren Umweltministerin Svenja Schulze hat das Ende der Atomanlagen in Gronau und Lingen gefordert – und beklagt, sie werde von der CDU ausgebremst.
Und jetzt?
Jetzt werden die entscheidenden Ministerien von den Grünen geführt. Als Umweltministerin muss Steffi Lemke schnell einen Stilllegungsfahrplan aufstellen. Und Robert Habeck muss als zuständiger Wirtschaftsminister ein Exportverbot von angereichertem Uran, von Brennelementen und von Uranmüll durchsetzen.
Der Koalitionsvertrag sagt dazu allerdings nichts.
Ausdrücklich erwähnt werden Gronau, Lingen und Garching nicht. Es heißt aber klipp und klar: „Wir stellen uns der Verantwortung für die radioaktiven Abfälle.“ Außerdem verspricht die Ampel, sich für die „Abschaltung der grenznahen Risikoreaktoren einsetzen“ zu wollen. Die Grünen haben also klare Aufträge im Koalitionsvertrag. Jetzt müssen sie handeln – auch Außenministerin Annalena Baerbock.
Wieso Baerbock?
Die Technologie der Urananreicherung steht auch für die Fähigkeit, Atombomben zu bauen. Jedes Land, das über diese Technologie verfügt, ist eine stille Atommacht – das zeigt der Streit über das iranische Atomprogramm. Eine Stilllegung der UAA Gronau wäre deshalb auch außenpolitisch ein starkes Signal des Friedens: Es wäre das erste Mal, dass ein Staat freiwillig auf die Urananreicherung verzichtet.
Aber die Bundesrepublik ist doch dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten?
Dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag aber nicht. Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag nur, die Ampel wolle „die Intention des Vertrags konstruktiv begleiten“. Die Anti-Atom-Initativen fordern deshalb den Abzug der US-Atomwaffen vom Luftwaffenstützpunkt Büchel in der Eifel. Das und die Stilllegung der UAA Gronau wären zwei sehr konstruktive Schritte hin zu einer Welt ohne Atomwaffen.
Ist das realistisch?
Die Urananreicherung ist ein milliardenschweres globales Business. Die UAA-Betreiberfirma Urenco will sogar beim Bau neuer Reaktoren dabei sein. Auf EU-Ebene wird aktuell ein Greenwashing der Atomenergie betrieben. Die grünen Minister:innen müssen deshalb jetzt schnell handeln – Atomenergie ist und bleibt brandgefährlich.
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