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Asylpolitik in FrankreichHelfer wollen keine Sheriffs werden

Frankreichs Regierung schockiert Hilfsorganisationen damit, Migranten auch in Notunterkünften kontrollieren zu wollen. Doch deren Betreiber wehren sich.

Früher wurden in dem Haus Hotelgäste umsorgt, heute kochen hier die Bewohner der Notunterkunft Foto: Rudolf Balmer

Paris taz | Das weiß verputzte Haus strahlt nichts aus von der Not seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Acht Stockwerke hoch ragt das ehemalige Vier-Sterne-Hotel im Quartier Les Lilas am nördlichen Stadtrand von Paris. Im Eingangsbereich empfängt den Besucher eine Rezeption. Und doch: Touristen sind es nicht, die hier Unterschlupf finden.

Die französische Heilsarmee beherbergt hier eine Notunterkunft für Migranten und Flüchtlinge. Dessen Direktor Abdallah El Abadi weiß genau, wie das Haus zunächst wirkt. Er betont um so mehr: Es gibt keinen Grund, die Menschen in den Zimmern zu beneiden.

Nicht nur, dass die Bewohner komplizierte, oft traumatische Fluchtgeschichten hinter sich haben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt nun verstärkt auf Sicherheitsaspekte im Umgang mit Migranten, was auch innerhalb seiner Partei En Marche für heftige Kritik sorgt. Im Februar will er ein umfangreiches Asyl- und Einwanderungsgesetz vorlegen – doch schon jetzt sorgt der Kurs der Regierung dafür, dass das Leben für Flüchtlinge noch härter wird.

Das Innenministerium hat in seiner Jagd auf illegale Migranten auch Notunterkünfte von Hilfswerken wie der Heilsarmee ins Auge gefasst. Einst galten solche Unterkünfte wie das in Les Lilas als relativ unantastbar, als Horte der Fürsorge. Doch Ende des Jahres hat Innenminister Gérard Collomb die Regionalbehörden in einem Rundschreiben aufgefordert, auch in den Notunterkünften Personen zu kontrollieren.

Schattenseiten der Migrationspolitik

Heimleiter El Abadi möchte sich nicht vorstellen, was das für Konsequenzen hat. Kein Wunder, sind doch die meisten der Bewohner hier eh schon misstrauisch gegenüber den Behörden. Wie etwa die beiden Männer in der Küche, die sich Eintopf zubereiten, dessen wohlriechender Duft durch den Raum zieht. Ein Foto ist zwar okay, aber nur von hinten.

Ginge es nach der Regierung Macron, würde wohl der 23-jährige Amir A. aus Afghanistan als Beispiel herhalten für die Flüchtlinge, die das Land willkommen heißt. Wie die meisten Asylbewerber aus Afghanistan hatte Amir keine großen Schwierigkeiten, bei der für die Flüchtlinge und Staatenlosen zuständigen Behörde OFPRA eine positive Antwort auf sein Gesuch zu erhalten.

Sie behandeln uns wie Tiere

Sartaj S., Asylbewerber aus Pakistan

Jetzt wolle er sich rasch integrieren und einen Job im Verkauf finden, erzählt der junge Mann. Er ist strebsam: In Französischkursen von Studierenden lernt er die Sprache, selbst ergänzt er sein Wissen noch mal in der Bibliothek des Aufnahmezentrums.

Doch sind es andere Schicksale, die die Schattenseiten der französischen Migrationspolitik aufdecken. Fälle wie der von Sartaj S., der aus einem Grenzgebiet Pakistans stammt, er ist 41 Jahre alt. Sechs Jahre ist es her, dass er aus seiner Heimat flüchten und seine beiden Kinder bei Verwandten zurücklassen musste. Die Taliban hätten seinen Bruder ermordet, und er selber sei bedroht worden, weil er in einer Informationskampagne für Polio-Impfung tätig war, sagt er. Heute ist er sichtlich mit den Nerven am Ende.

Bleibender Rückenschaden

„Sie behandeln uns wie Tiere“, schimpft er auf Englisch. Gemeint sind die französischen Behörden und die Polizeipräfektur. „Wenn ich die Metro nehme, werde ich immer wieder von der Polizei kontrolliert. Ich zeige dann meine provisorische Bestätigung des Asylgesuchs. Aber die Polizisten geben mir deutlich zu verstehen, dass ich hier nicht willkommen bin.“

Sartajs rechtliche Lage ist kompliziert. Ursprünglich wollte er wie so viele andere via Calais über den Ärmelkanal nach Großbritannien. „Ich habe während drei Monaten vergeblich versucht, mit einem Laster rüber zu kommen. Für Schlepper hatte ich kein Geld.“ Das Resultat dieser erfolglosen nächtlichen Versuche, auf einen Laster aufzuspringen ist ein bleibender Rückenschaden.

Sartaj hat wenig Hoffnung auf ein Entgegenkommen der Administration. Da er auf der Durchreise in Italien samt seiner Fingerabdrücke registriert wurde, ist er ein sogenannter „Dubliner“. Laut den Regeln des Dublin-Übereinkommens kann Frankreich Sartaj nach Italien abschieben. Die „Dubliner“ sind ganz speziell im Visier der französischen Migrationsbehörden. Es sollen mindestens 40.000 Flüchtlinge sein, die Frankreich so nach Italien und in andere EU-Staaten ausweisen möchte.

Das kritisiert sogar der Direktor der französischen Flüchtlingsschutzbehörde OFPRA, Pascal Brice. „Kafkaesk“ nennt er diesen Vorgang, denn damit werde überhaupt kein Problem gelöst. Hingegen würden Menschen, die grundsätzlich als Flüchtlinge Schutz verdienen, zu einer politischen Manövriermasse, sagt Brice.

Widerspruch zum Humanismus

Heimleiter El Abadi kritisiert scharf, dass nun in Unterkünften wie der seinen Menschen kontrolliert werden sollen. „Das widerspricht unserer Charta und dem geltenden Recht, wenn wir das akzeptieren, gefährden wir nicht nur das Vertrauen der Leute, die wir ohne Vorbedingungen beherbergen, wir würden uns auch strafbar machen“, sagt El Abadi. Er weist darauf hin, dass die französische Gesetzgebung es nicht zulasse, Menschen nach Herkunft zu erfassen. „Aus diesem Grund lehnen die humanitären Organisationen dieses Ansinnen und Zirkular des Innenminister geschlossen ab. „Ein Teil der betroffenen Hilfswerke hat bereits eine verwaltungsgerichtliche Klage eingereicht.

Wie wenig glorios die Realität aussieht, bestätigen auch die Freiwilligen des Pariser Kollektivs La Chapelle debout, die im Norden der Hauptstadt an gestrandete Flüchtlinge und Obdachlose jeden Morgen ein gespendetes Frühstück verteilen.

Mehrfach aber habe in den letzten Monaten die Polizei mit fadenscheinigen Vorwänden wie Probleme mit Abfall oder Menschenansammlungen versucht, sie daran zu hindern, beschweren sich die Mitglieder dieser Gruppe. Von der gegenwärtigen Verschärfung der Asylpolitik erwarten sie nichts Gutes. In Calais hatte Präsident Macron den Flüchtlingshelfern nämlich am Dienstag unterstellt, sie wollten seine Migrationspolitik sabotieren.

Immerhin regt sich Protest: Eine Gruppe von Intellektuellen, davon mehrere Macron-Unterstützer von Anfang an, schrieb in einem offenen Brief in der Tageszeitung Le Monde: „Monsieur Macron, Ihre Politik widerspricht dem Humanismus, den Sie predigen!“

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5 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Gibt es hier noch jemand, der an Macrons humanitären Geist glaubt? Ich glaube, dem letzen muss ja wohl klar geworden sein, dass seine Lobesgesänge auf Angela Merkel nur wertlose Wahlkampfparolen waren, um die gesellschaftsliberale Linke auf seine Seite zu ziehen, weil diese Leute sonst, wenn schon nicht Mélenchon doch eher Hamon gewählt hätten. Und zum Anfang sah es auch so aus, denn bevor Jupiter die humanitäre Maske aufgesetzt hat, lag Hamon bei 14% und Macron bei knapp 10.

    Aber wenn man die Media auf seiner Seite hat....

    Der Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio hat die richtigen Worte gefunden.

    "Le prix Nobel de Littérature français Jean-Marie Gustave Le Clézio ne supporte pas «le tri» fait entre les migrants qui fuient leur pays pour des raisons politiques et ceux qui fuient la misère, y voyant «un déni d’humanité insupportable»."

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Ich denke das Vorbild Merkel passt immer noch wunderbar. Der Humanopportunismus kommt und geht halt nach Lust und Laune. Grade stehen die Wähler halt mehr auf strammstehen.

      • @TV:

        Kurum, in humanitärer Sicht hätte es keinen großen Unterschied wahrscheinlich gemacht, wenn Le Pen statt Macron gewonnen hätte.

        q.e.d.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @Age Krüger:

          Klar, denn MLP hätte die Grenzen nicht komplett schliessen können, ohne die Verfassung zu ändern und wäre ohnehin auf Widerstand gestossen. Aber was Gérard Collomb, der ex-sozialistische Innenminister macht, kommt den Frontisten entgegen: Verstärkte Kriminalisierung von Flüchtlingshelfern bis zu Gefängnisstrafen, wenn man Illegalen hilft, Schikanierung von Flüchtlingen bis hin zur Zerstörung von Zelten oder sonstigen provisorischen Wohnstätten, ohne dann die Flüchtlinge in menschenwürdigen Unterkünften unterzubringen. Die Botschaft ist klar: Kommt nicht nach Frankreich, da wird es euch dreckig ergehen. Abschreckung, Ausweisung sind die Prioritäten der Place Beauvau( Innenministerium).

  • Frankreich hat die islamistischen Angriffe auf den säkularen Staat, gerade auch auf die kulturelle, linke, alternative Szene (Charlie Hebdo, Bataclan...) nicht verdrängt. Frankreich hat wenige Migranten aufgenommen, jedoch seit Jahrzehnten ein riesiges Problem mit Zuwanderern aus Nordafrika. Macht es da nicht Sinn, gerade in Migrantenquartieren und -vierteln genauer hinzuschauen? Wer finanziert, was verbirgt sich da? Es geht nicht um Diskriminierung, "Menschen nach Herkunft zu erfassen", sondern die Personalien, ihre Legalität oder Illegalität festzustellen. Soll der Front National nicht noch weiter erstarken wird die "europäische Lichtgestalt" Macron Sicherheit auch in Calais die Neuauflage des "Dschungels" verhindern müssen...