Asghar Farhadi über „A Hero“: „Nichts ist dem Zufall überlassen“
Der Regisseur Asghar Farhadi redet über Social Media im Iran, Politik in Beziehungen und seine ungewöhnliche Heldenfigur in dem Film „A Hero“.
Schon zweimal wurde der iranische Regisseur Asghar Farhadi für seine Filme mit dem Oscar ausgezeichnet, dieses Mal schaffte er es mit „A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ nur in die Vorauswahl. Darin geht es um den wegen Schulden im Gefängnis sitzenden Rahim (Amir Jadidi), der während ein paar Tagen Freigang versucht, seine Strafe zu verkürzen, als der Fund einer Handtasche voller Goldmünzen ihn in ein immer dichter werdendes Netz aus Lügen und Missverständnissen geraten lässt.
Gerade wird Farhadi in seiner Heimat von einer früheren Studentin verklagt, die behauptet, er würde mit „A Hero“ einen Dokumentarfilm plagiieren, den sie in seinem Kurs gedreht hat. Danach befragen konnten wir ihn nicht: Unser Gespräch führten wir anlässlich der Weltpremiere vergangenes Jahr in Cannes, wo „A Hero“ den Großen Preis der Jury erhielt.
taz: Herr Farhadi, zuletzt hatten Sie mit „Offenes Geheimnis“ einen Film in Spanien gedreht. War es Ihnen danach wichtig, wieder in Ihrer iranischen Heimat zu arbeiten?
Asghar Farhadi: Ich hatte nie vor, dem Iran den Rücken zu kehren und dauerhaft im Ausland zu drehen. Im Gegenteil. Noch bevor ich eine konkrete Geschichte im Sinn hatte, war mir klar, dass der nächste Film wieder zu Hause entstehen würde. Es ging nur noch darum, mich für eine der vielen Ideen, die ich im Kopf hatte, zu entscheiden.
Der iranische Regisseur und Drehbuchautor Asghar Farhadi wurde 1972 in Chomeinischahr geboren. In Teheran studierte er Schauspielkunst und später Regie. Sein erster Spielfilm war „Raghs dar ghobar“ (2003). Der internationale Durchbruch gelang ihm 2011 mit „Nader und Simin – Eine Trennung“, für den er auf der Berlinale den Goldenen Bären erhielt.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie im Iran drehen oder anderswo?
Selbstverständlich. Der Iran ist meine Heimat, dort lade ich meine kreativen Batterien wieder auf. Ich bin dort aufgewachsen, kenne die Menschen und ihre Mentalität, bin mit den Städten und Landschaften vertraut. Das macht das Arbeiten dort in vielerlei Hinsicht für mich entspannter und unkomplizierter. Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten, schließlich ist es kein Geheimnis, dass es nicht immer einfach ist als Künstler im Iran. Aber solange es mir weiterhin gelingt, mich diesen Schwierigkeiten zu stellen und ich dort arbeiten kann, werde ich es auch weiterhin tun.
Sie erwähnten die verschiedenen Ideen, die Sie für einen neuen Film im Kopf hatten. Wie entschieden Sie sich dann für die Geschichte von „A Hero“, in der es um einen Mann geht, der wegen Schulden im Gefängnis sitzt und nach der Rückgabe einer verlorenen Handtasche als Held gefeiert wird, bevor er sich in einen eskalierenden Teufelskreis der Lügen verstrickt?
„A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“. Regie: Asghar Farhadi. Mit Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh u. a. Iran/Frankreich 2021, 127 Min.
In der Regel fangen meine Filme damit an, dass verschwommene Bilder und Ideen vor meinem inneren Auge entstehen, um die sich nach und nach eine Art Handlung bildet. Dieses Mal war mein Ansatz ein anderer und für mich ungewöhnlich, denn ich nahm mir ein Konzept vor, dass ich schon seit meiner Studentenzeit mit mir herumgetragen hatte.
Was meinen Sie konkret?
Als Student habe ich mich intensiv mit Brecht und seinem „Galilei“ befasst, das war die Initialzündung. Seine Idee eines Helden, seine Gedanken zum Heroismus und der Bedeutung von Heldentum für eine Gruppe und die Gesellschaft haben mich sehr beschäftigt. Viele Jahre später begann ich dann, mich mit Geschichten aus den Medien auseinanderzusetzen, in denen es um Alltagshelden ging. Fernseh- oder Zeitungsberichterstattung über Menschen, die erst gefeiert und dann wieder niedergeschrieben wurden, was ein erstaunlich häufiger Kreislauf ist. Das war dann der endgültige Auslöser für die Geschichte von „A Hero“.
Man staunt aus westeuropäischer Perspektive vielleicht ein bisschen, dass die Rückgabe einer gefundenen Handtasche im Iran als Heldentat gefeiert wird …
Als jemand, der auch mal eine Weile in Deutschland gelebt hat, stimme ich Ihnen da voll zu. Eine solche Tat wäre bei Ihnen vermutlich nicht einmal eine kleine Meldung wert. Aber auch im Iran landet man damit natürlich nicht in den Schlagzeilen der Abendnachrichten. Das, was sie im Film sind, ist lokale Berichterstattung; örtliche Sender oder Zeitungen berichten durchaus über solche vermeintlichen Kleinigkeiten. Prinzipiell finde ich das auch gar nicht verkehrt, denn warum sollte man nicht feiern, dass es positive Nachrichten und gute Menschen gibt? Gleichzeitig könnte man natürlich sagen, dass es ganz schön bitter ist, dass solche Taten offenbar eine echte Ausnahme und damit besonders erwähnenswert sind.
Zu Fall kommt Ihr Held nicht zuletzt durch Social Media. Welche Rolle spielen soziale Netzwerke in einem repressiven Land wie dem Iran?
Das ist eine ziemlich komplexe und paradoxe Situation. Der Rahmen, in dem die Bevölkerung Social Media nutzen kann, ist recht eng und durch staatliche Regulationen sehr klar definiert. Aber gleichzeitig gibt es dann innerhalb dieses Rahmens durchaus eine gewisse Freiheit, die soziale Netzwerke sehr attraktiv für die Iranerinnen und Iraner machen. Wie überall sonst auch ist das heutzutage auch im Iran die hauptsächliche Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und sich aufeinander beziehen.
Sogar diejenigen, die eine starke Zensur befürworten und Social Media gegenüber kritisch sind, tun diese Meinungen ironischerweise in den sozialen Netzwerken kund. Darüber hinaus ist unser Land – das muss auch gesagt sein – übrigens alles andere als technikfeindlich oder so, sondern im Gegenteil versuchen immer alle, auf dem neuesten Stand zu sein und mit modernsten Entwicklungen Schritt zu halten. Selbst wenn die Funktionen eingeschränkt sind, ausgefiltert wird, was gesagt werden darf, und es überall eine staatliche Kontrolle gibt.
Glauben Sie, dass sich durch Social Media das System im Iran verändern lässt?
Wie gesagt: Die Art und Weise, wie Menschen sich austauschen und vernetzen, hat sich dadurch schon gewaltig verändert. Das ist im Iran nicht anders als anderswo. Und trotz allem Schaden, den soziale Netzwerke etwa gerade bei Jugendlichen anrichten können, halte ich sie insgesamt für ein positives und nützliches Phänomen in unserer Gesellschaft, das Aufmerksamkeit auf viele Probleme lenken kann.
Das ist wieder einmal eine sehr diplomatische Antwort Ihrerseits, wie so häufig, wenn es um konkrete politische Themen geht. Auch in Ihren Filmen war Politik bislang stets etwas für den Subtext und Regimekritik nicht zu entdecken. Verstehen Sie sich als unpolitischer Künstler?
Nein, überhaupt nicht. Keine Frage: Ich war noch nie der Ansicht, dass ich meine persönlichen Ansichten zwingend in Interviews diskutieren muss, und auch in meiner Arbeit ging es mir nie darum, plakative Statements zu setzen. Insofern kann ich sagen, dass mein Ansatz als Filmemacher immer eher ein emotionaler als ein politischer gewesen ist. Aber wie könnte eine Geschichte unpolitisch sein, wenn darin zwischenmenschliche Beziehungen in einer Gesellschaft verhandelt werden, die selbstverständlich Tag für Tag geprägt wird von der Politik ihres Landes? Das schwingt doch immer alles mit. Überhaupt: Was könnte politischer sein, als die Menschen zum Nachdenken anregen zu wollen? Und genau das ist es, was ich mit meinen Filmen immer schon tun wollte.
In fast allen Ihren Filmen stehen Familien im Zentrum, in den unterschiedlichsten Konstellationen. Was genau interessiert Sie so sehr an der Familie als Institution?
Ehrlich gesagt ist es keine bewusste Entscheidung, mich jedes Mal mit Familien zu beschäftigen. Das ergibt sich eher zufällig. Vermutlich weil sich nirgends sonst zwischenmenschliche Beziehungen, Strukturen und Emotionen so klar und präzise auf engem Raum darstellen lassen. Nicht umsonst ist die Liste der Bücher, Theaterstücke und Filme, die innerhalb einer Familie spielen, endlos.
Ihr Ansatz ist dabei immer ein sehr naturalistischer, und gerade in „A Hero“ wirken manche Szenen so echt, als entstammten Sie einem Dokumentarfilm oder seien improvisiert. Wie schaffen Sie diese Authentizität?
Jedenfalls nicht durch Spontaneität oder gar Improvisation. Im Gegenteil plane ich jedes noch so kleine Detail meiner Filme bis ins Letzte durch. Den größten Teil meiner Energie als Regisseur verbrauche ich dabei, meine Arbeit so echt und dokumentarisch wie möglich aussehen zu lassen, obwohl im Gegenteil von den Dialogen bis zu den Kostümen und Kulissen wirklich rein gar nichts dem Zufall überlassen ist. Jede Szene und jede Einstellung ist komplett durchkonstruiert bevor die Kamera läuft. Und wenn es sein muss, kommen, wie bei „A Hero“, auch digitale Spezialeffekte zum Einsatz. Aber natürlich so, dass niemand im Publikum sie jemals wahrnehmen würde.
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