Asche von Schoah-Opfern vor Bundestag: Kritik an Gedenksäulen-Aktion
Politik und Verbände empören sich über die jüngste Aktion des Zentrums für Politische Schönheit. Am Dienstag legte das Kollektiv nach.
Berlin taz | An der neuesten Aktion des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) gibt es scharfe Kritik. Diese sei „aus jüdischer Sicht problematisch“, kommentiert der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, die Kampagne mit dem Titel: „Sucht nach uns!“ Der ehemalige Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe Volker Beck spricht von „Missachtung der Traditionen zu Tod und Trauer im Judentum“. Bereits am Montagabend hatte er mitgeteilt, Strafanzeige gegen das Kollektiv eingereicht zu haben.
Nach eigenen Angaben hat das ZPS in den vergangenen zwei Jahren mithilfe historischer Quellen nach den Überresten von Opfern des Holocaust gesucht. Ihre Recherche habe sie nach Thüringen, Österreich, Polen und in die Ukraine geführt, heißt es vonseiten der Aktivisten. Im Umkreis ehemaliger Vernichtungslager seien Sedimente entnommen und im Labor auf menschliche Überreste getestet worden. In über 70 Prozent der Fälle sei das Ergebnis positiv gewesen.
Anschließend wurden diese Bodenproben an den Fundort zurückgeschickt. Mit einer Ausnahme: Einer der positiv getesteten Bohrkerne wird seit Montag zwischen Kanzlerinnenamt und Bundestag ausgestellt. Hinter der Glasscheibe der „Widerstandssäule“ blickt man auf Knochenreste, die aus der Erde ragen.
„Sollte es sich tatsächlich um Asche von Schoah-Opfern handeln, dann wurde die Totenruhe gestört“, sagt Schuster. Den Beweis dafür will die Gruppe rund um den Aktionskünstler Philipp Ruch selbst angetreten haben: Am Dienstag veröffentlichte sie auf der Homepage des Projekts den Bericht eines britischen Forensiklabors, der beweisen soll, dass es sich um menschliche Asche handelt.
Eine „ungeheuerliche Verfehlung“
Die Unantastbarkeit der Totenruhe ist eine der fundamentalen israelitischen Glaubenssätze. Das führt dazu, dass jüdische Gräber oft über Jahrhunderte erhalten bleiben und die Friedhöfe stetig wachsen. „Es wäre daher zu begrüßen, wenn beim Abbau der ‚Widerstandssäule‘ der Rat eines Rabbiners hinzugezogen würde“, so Schuster. Auf diese Weise könne man wenigstens noch „einen möglichst respektvollen und halachisch richtigen Umgang mit der Asche“ gewährleisten.
Auf Nachfrage der taz bestätigt Volker Beck am Dienstag, Strafanzeige gegen das ZPS gestellt zu haben. Sollte es sich um die Asche von in der Schoah ermordeten Menschen handeln, sei dies eine „strafbare Verletzung der Totenruhe“ im Sinne des Paragrafen 168 Strafgesetzbuch.
Beim Zentrum für Politische Schönheit kritisiert man Becks Vorgehen. Dieser habe vor seiner Ankündigung bei Twitter „jeden Kontakt zu uns vermieden“, sagt Stefan Pelzer, Eskalationsbeauftragter des ZPS, der taz. Allein, man wolle „keinen Schlagabtausch mit einem Bruder im Geiste“.
Mit der Errichtung der Säule wollen die Aktivisten vor den Folgen einer Kooperation zwischen Union und AfD warnen. Dass man nicht von Anfang an über die genauen Bohrorte und Hintergründe informiert habe, bereut man in den Reihen des ZPS mittlerweile. „Da liegt die Schuld bei uns“, räumt Pelzer ein. Die drängendsten Fragen habe man am Dienstag auf der Website nachträglich beantwortet. Es ginge ihnen darum, „die Schuld des deutschen Konservatismus in den Fokus zu rücken“.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, wirft den Aktivisten vor, sich eine „ungeheuerliche Verfehlung“ geleistet zu haben. Niemand habe das Recht, „die Opfer des Nationalsozialismus in einer so respektlosen Art und Weise zu instrumentalisieren“, schreibt die 87-Jährige auf Twitter.
Eine weitere Nachricht macht das ZPS am Dienstag bekannt: Es habe den Grabstein des Nationalsozialisten Franz von Papen entwendet, dieser sei derzeit auf dem Weg nach Berlin. Pelzer erklärt den Zusammenhang zum Projekt „Sucht nach uns!“: Während die Millionen Opfer des Nationalsozialismus einfach „verscharrt“ wurden, habe ein Nazi wie von Papen nach vier Jahren Haft sein Geld zurückbekommen und anschließend „in Saus und Braus“ gelebt.
Leser*innenkommentare
92293 (Profil gelöscht)
Gast
siehe artikel vom 8,12, zu Türkei und Lybien; Bohrungen im Mittelmeer; geht es bei denen um Totenruhe? ist garantiert dass bei den Probebohrungen keine Gebeine von Afrikanern oder Arabiern (nicht abwertend gemeint lediglich räumlich verallgemeinernd) vorgefunden werden? Nach welchen religiösen Ritualen soll hier dann den Unbekannten eine Ruhestätte gegeben werden?
planb
Und woher weiß man jetzt, ob die Asche von gläubigen, säkularen JüdInnen, ChristInnen, Schwulen, Lesben, Roma, Sinti, KommunistInnen, SozialistInnen, FreikirchlerInnen, "Kriminellen" etc ist?
Wenn da ein Rabbi dabei sein soll, dann bitte aber auch VetreterInnen aller Opfergruppen.
88181 (Profil gelöscht)
Gast
Das ZPS bläst die Sache ab:
politicalbeauty.de/
Da muss man jetzt schon sagen: Respekt.
Einen Fehler einzugestehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen, das ist immerhin ein Zeichen von Größe.
Und was die Frage am Ende des Textes anbelangt, da würde ich sagen, tut das, was ihr von vorneherein hättet tun sollen:
Fragt Leute, die sich damit auskennen.
Hanno Homie
Gestern war ich vor allem anderen irritiert von der Aktion des ZPS, jetzt denke ich über die Reaktionen nach und denke: Spannend.
Ich finde Kunst ist immer dann interessant, wenn sie in einem Konfliktfeld Klarheit bringt und radikal entzaubert. Das passiert da in meinen Augen gerade.
Es gibt viele Gründe, die Aktion des ZPS zu kritisieren ... aber kann man sie so kritisieren, wie das in dem obigen Artikel berichtet wird?
Woher z.B. weiss Volker Beck, dass die Asche vor dem Parlament zu Menschen gehört, die nach strengen religiösen Regeln bestattet werden müssten, deren sterbliche Überreste sich quasi im "Besitz" eines Kollektivs befinden welches sich durch Religion und bestimmte kulturelle Praktiken definiert? Sind in Ausschwitz nicht unterschiedslos Atheisten und Gläubige umgebracht worden, solange sie nur ihren "Ariernachweis" nicht bringen konnten?
Ich erinnere mich die Geschichte eines bekannten katholischen Bischofs im südlichen Amerika, der dem Diktator des Landes - ich glaube es war Chile oder Brasilien - gesagt hat: "Ich kann nichts dagegen tun, dass Ihr Menschen umbringt. Aber die Toten gehören der katholischen Kirche. Sie müssen begraben werden. Die Leichen bringt Ihr zurück." Nach dieser Intervention sind weniger Menschen spurlos verschwunden.
Paradoxerweise ist es hier das - ich vermute mal weitgehend atheistische - ZPS, welches das physische und soziale/diskursive Verschwinden der Toten anprangert. Und ausgerechnet ein Besitzanspruch von Religion auf die sterblichen Überreste wird dagegen formuliert?
Wem gehören die Überreste eines Menschen nachdem er gestorben ist?
Und zitiert das ZPS auf seiner Kampagnenseite nicht sogar Briefe von Toten, die auffordern "Sucht nach uns!" Liegt der respektlose Umgang mit der Asche der Toten dort, wo die Asche an den vergessenen Orten, in Seen und Deichen gesucht und damit die Tat und das Verscharren ans Licht gebracht wird?
planb
@Hanno Homie I like, absolute Zustimmung!
Philippe Ressing
Die Aktion ist verfehlt. Das Ziel war ja, die Aufmerksamkeit auf die wachsende Gefahr einer Kooperation zwischen Konservativen und Rechtsradikalen zu lenken. Erreicht wurde: Alle diskutieren darüber, ob man mit der Asche der Ermordeten so etwas machen darf, nur um einen PR-Effekt zu erreichen.
64662 (Profil gelöscht)
Gast
Zitat aus einem Artikel bei SPON:
'Das ZPS will "Sucht nach uns!" nicht als Konkurrenz, eher als Ergänzung zur monumentalen Gedenkarchitektur des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas verstanden wissen. Die Initiatorin des monumentalen Stelenfelds, Lea Rosh, hält die Aktion des ZPS auf Anfrage des SPIEGEL für "tiefer, als unser Holocaustmahnmal es ist". Sie sei "bewegt und angefasst" von der Idee und ihrer Ausführung: "Es ist unglaublich."'
Ich würde Frau Rosh nach meinem jetzigen Kenntnisstand zustimmen!
Und die Folgeaktion mit dem Grabstein von Papens erscheint mir genial!
64662 (Profil gelöscht)
Gast
@64662 (Profil gelöscht) (Ob der Deckel der derzeitigen Globke-Unterkunft nun wohl rund um die Uhr von der 'Jungen Union' bewacht wird?)
90118 (Profil gelöscht)
Gast
die themen von zps sind in der sache abstoßend.
bisher wurde jedoch immer die würde der opfer verteidigt. insofern wäre es überraschend, wenn hier tatsächlich menschliche gebeine vorzufinden wären.
06313 (Profil gelöscht)
Gast
Unabhängig davon, ob die "Totenruhe" gestört wurde oder nicht, es ist abstoßend, mit Asche von Shoah-Opfern eine politische Kunstaktion zu veranstalten.
Cerberus
Nachdem Polizisten und Juristen es vor gemacht hatten, waren die Künstler die Gruppe, die mit als erstes ins NS-Boot gesprungen ist (noch vor den Medizinern, Ingenieuren und dem Militär). Vielleicht erwartet das ZPS einen endgültigen Sieg der AfD, dann könnte man es zumindest mit politischer Kontinuität erklären... *Ironie aus*
Pure Lust an der Provokation rechtfertigt nicht jeden Mist, auch in ein Kunstwerk eingebunden stinkt er. Die Überreste ermordeter Menschen auf solche Art zu missbrauchen, ist mehr als schäbig. Sie stellen sich damit selbst auf eine Stufe mit den Volksverhetzern - ich hoffe, sie werden ähnliche Konsequenzen zu tragen haben.
hinnerk untiedt
Ich beglückwünsche das zps zu der gelungenen aktion die auf verschiedene weise subversiv ist.
Sie bedient sich der reflexhaften empörung der nicht-lesen-könnenden und nichtdenken-könnenden.
Sie mahnt die verantwortung konservativer kreise an, die damals wie heute liebend gern mit demokratiefeinden paktierten und paktieren. Warum sonst verhandeln cdu-mitglieder im verborgenen mit der hohenzollernbande statt deren habgier zu brandmarken?
Und sie fragt nach der ernsthaftigkeit unserer gedenkkultur. Denn anders als von den nazis behauptet sind die millionen opfer der shoa nicht durch den schornstein verschwunden. Warum hat sich zuvor kaum jemand um den verbleib der sterblichen überreste gekümmert?
Darum nochmals: respekt dem zps.
boidsen
Gut gemeint ist der große Bruder von schlecht gemacht!
Ria Sauter
Gast
Das ist völlig inakzeptabel und die Anzeige gerechtfertigt. Sollte man übrugens auch für die Mumien in den Kulturtempeln zur Pflicht machen. Anzeige erstatten
88181 (Profil gelöscht)
Gast
Und von Papens Grabstein kommt dann neben die Säule. Widerlicher Haufen.
Megatronic
@88181 (Profil gelöscht) Inhaltlich alles richtig gemacht.
gyakusou
Und mal wieder ein Fall, wo irgendwelche nicht so hellen Personen den Holocaust für ihre "Message" instrumentalisieren.
Man kann auch gegen etwas demonstrieren, ohne ständig auf den Holocaust zu verweisen, merkwürdige Holocaust-Vergleiche zu ziehen oder erst recht menschliche Überreste (!) von Nazi-Opfern auszubuddeln.