„Arisierungs“-Profiteur Kühne + Nagel: Gedenken unterm Firmensitz
Das Mahnmal für die „Arisierung“ jüdischen Eigentums wurde am Sonntag in Bremen in Sichtweite der Zentrale von Kühne + Nagel eingeweiht.
Die Bremer Politik und Behörden haben sich eine Initiative zu eigen gemacht, die einst in der Bremer Redaktion der taz entstanden war und die die taz in enger Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde Bremen über die vergangenen acht Jahre immer wieder auch gegen starke Widerstände vorangebracht hat.
Kern des Konflikts war dabei immer, wie dicht das Mahnmal an den Stammsitz des weltweit agierenden Logistikkonzerns Kühne + Nagel heranrücken darf, der von der Ausplünderung der europäischen Juden im großen Stil profitiert hat und ihr entscheidende Wachstumsimpulse verdankte, seine Rolle darin aber bis heute bagatellisiert oder ganz leugnet.
Das Mahnmal nach dem Entwurf von Evin Oettingshausen ist ein beklemmend enger Schacht in der Weser-Kaimauer geworden. An seinen Wänden sind schemenhaft die Schatten von Möbelstücken zu sehen, die dort einmal gestanden haben könnten – an einer Straße praktisch zu Füßen der Konzernzentrale.
„Überzeugender Entwurf“
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) lobte beides, den „überzeugenden“ Entwurf und auch den Ort. Er freue sich, dass das Projekt nach achtjähriger Dauer zu einem guten Abschluss“ gekommen sei.
Oettingshausen widersprach: Mitnichten sei es ein Abschluss, vielmehr ein Anfang. Die Auseinandersetzung über die Geschichte könne nun beginnen, müsse nun, nach acht Jahren freiwilligen Engagements, aber endlich auch mit finanziellen Mitteln hinterlegt werden. Die Webseite geraubt.de beispielsweise, die vorerst die noch fehlenden Infotafeln zum Mahnmal ersetzen muss, wurde bislang komplett unentgeltlich erstellt.
Grigori Pantijelew, Vertreter der jüdischen Gemeinde, trat mit seinem Mikrofon so weit zurück, wie es das Kabel erlaubte, reckte sich nach hinten und ließ den Blick an der Fassade des vor wenigen Jahren neu errichteten Stammsitzes von Kühne + Nagel nach oben schweifen, bis zum gewaltigen Firmenlogo. „Was ich sehe, ist ein kleines Mahnmal und ein großes, ich würde sogar sagen: ein protziges Gebäude von Kühne + Nagel“, sagte Pantijelew. „Ich mache mal einen Deutungsvorschlag: Das ist die Geschichte von David und Goliath. Sie können ja sehen, wer gewonnen hat.“
Er habe auch von ernstzunehmenden Menschen verschiedentlich „das böse Wort von der Stigmatisierung“ gehört. Warum werde nur ein einzelnes Unternehmen dazu „eingeladen“, sich an der Auseinandersetzung über die Geschichte zu beteiligen? „Aber das stimmt nicht“, sagte Pantijelew, „die Kunst kann uns alle einladen und verführen, uns damit zu beschäftigen.“
Die Freiheit des Mäzens
Einem Mäzen stehe es natürlich frei, einen Fußballverein zu sponsern oder einen Elfenbeinturm in der Elbe, spielte Pantijelew auf das Engagement des heutigen K+N-Mehrheitsgesellschafters Klaus-Michael Kühne beim HSV und für die Elbphilharmonie in Hamburg an. Er könne sich aber auch an der Erinnerungskultur in der Stadt seines Stammsitzes beteiligen.
Henning Bleyl, Initiator des Mahnmals und ehemaliger taz-Redakteur in Bremen, zeichnete noch einmal nach, wie K+N selbst unfreiwillig den Anstoß gegeben hatte: Mit seiner opulenten 125-Jahr-Feier unter völliger Ausblendung der Jahre 1933–45. „Kühne + Nagel hat die Bühne selbst bereitet, wir haben sie nur betreten.“ Es gehe aber um weit mehr, nämlich um eine „Beutegemeinschaft“: „Wer die Wohnung von Menschen leerräumt, geht davon aus, dass sie nicht wiederkommen – und will es auch nicht.“
Bovenschulte bot eine politische Deutung an: Das NS-Regime war keine Diktatur, die nur auf Druck und Gewalt beruhte, und auch nicht nur auf ideologischer Verblendung, sondern die Zustimmung zum Regime kam wesentlich auch durch die ökonomischen Vorteile zustande, die jeder einzelne durch die Aneignung jüdischen Besitzes haben konnte.
Für Barbara Maass ist das bis heute ein schwieriges Thema. Die Enkelin des früheren jüdischen K+N-Teilhabers Adolf Maass, der 1933 aus der Firma gedrängt worden war und später im Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde, war zur Einweihung des Mahnmals aus Kanada angereist. Ihr Vater habe ihr wenig über das Schicksal ihrer Großeltern erzählt, sagte sie, weil er seinen Kindern eine einigermaßen normale Kindheit habe ermöglichen wollen. „Aber der brennende Schmerz über die Ermordung seiner Eltern hat ihn nie losgelassen“, sagte sie. „Ich glaube, dass er ständig an sie gedacht hat, die ganze Zeit, und daran, dass er es nicht geschafft hat, sie aus Deutschland herauszuholen.“
„Diese Dinge haben meinem Vater alles bedeutet“
Vor ihrer Internierung 1938 hatten Adolf und Käthe Maass einen Teil ihres Besitzes an Verwandtschaft im Ausland schicken können – Möbel, Bücher, Porzellan und Kunstgegenstände. „Diese Dinge haben meinem Vater alles bedeutet“, sagte Maass. „Wir haben das damals gar nicht verstanden.“
Erst seit Kurzem sei sie selbst in der Lage, über die Shoah zu lesen, sagte die 69-Jährige. Im Nachlass ihres Vaters habe sie einen Brief seiner Mutter gefunden, datiert vom 1. September 1939, dem Tag an dem Deutschland den Zweiten Weltkrieg begann. Sie schrieb an ihre Kinder: „Lebt, wie ihr es für richtig haltet und macht euch keine Sorgen um uns. Wenn alles vorüber ist, sehen wir uns hoffentlich wieder.“ An dieser Stelle bricht die Stimme von Barbara Maass kurz. „Ich glaube, wir brauchen diese Geschichten“, sagt sie später, „wenn wir verhindern wollen, dass so etwas wieder geschieht.“
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