: „Wir tragen doch nur zur Rettung bei“
ORTSTERMIN Mit so viel Kritik hatte Frontex-Chef Rösler nicht gerechnet – doch Schüler waren vorbereitet
Berlin taz | 150 OberstufenschülerInnen sitzen dicht gedrängt in der Schwarzkopf-Stiftung in Berlin-Mitte. Doch der Gast kommt und kommt nicht. Denn Klaus Rösler, Chef von Frontex, muss erst rote Marmelade und Himbeersaft im Gesicht und auf dem Jackett entfernen.
Denn während in der Stiftung GymnasiastInnen unter dem Motto „junges Europa“ politisiert werden und mehr von der Arbeit der EU-Grenzschutzagentur erfahren sollen, demonstrieren draußen etwa zweihundert Leute gegen die Abschottungspolitik der EU. Als Rösler ankommt, rufen sie: „Mörder!“ Drinnen ist das Publikum weiß, draußen finden sich alle Hautfarben. Die Reden werden auf Englisch, Französisch, Deutsch gehalten. Dann endlich geht die Veranstaltung los. Rösler hat sich umgezogen.
Ob ihm so ein Zorn öfter entgegenschlage, fragt die Moderatorin Nicola Roth zur Einstimmung. „Noch nie!“ Warum auch diese Empörung? In diesem Jahr seien bereits 25.000 Menschen an den EU-Außengrenzen gerettet worden. Bei 8.100 „Fällen“ hätte Frontex zu ihrer Rettung „beigetragen“.
Die Formulierung ist bewusst offen gehalten, denn Frontex hat kein Rettungsmandat. Und das soll auch so bleiben, findet Rösler. Frontex sei da, um die irreguläre Einwanderung einzudämmen. Es folgt eine 40-minütige Ausführung in geübtem Beamtendeutsch über das Organigramm der Agentur. Dabei streut Rösler immer wieder das Wort Hilfe ein. Menschen würden aufgegriffen, damit sie dem „Schutzsystem der EU zugeführt“ werden können. Wichtig sind ihm auch die Interviewteams, die die Aufgegriffenen nach Routen und Schlepperorganisatoren befragten. Die gäben „freiwillig“ Auskunft.
Das Publikum wird unruhig, und auch die Moderatorin findet es an der Zeit, über die vielfach kritisierten Pushbacks zu sprechen. „2013 hat ihr Chef zugegeben, dass Menschen von Frontex immer wieder in Nicht-EU-Länder zurückgedrängt werden. Sie sind seit 2008 dabei. Haben Sie davon gewusst?“ Rösler weicht aus. Worauf einem jungen Mann der Kragen platzt: „Sie sind dafür verantwortlich, dass die Menschen nicht auf legalem Weg nach Europa kommen können, dass immer mehr Routen dicht gemacht werden und also ein Markt für Schleuser entsteht!“ Ein anderer, auch er mit roten Flecken am Hals, fragt: „Können Sie nachts noch schlafen?“
Die SchülerInnen sind gut informiert, sie haben die notwendigen Zahlen in Sachen Seenotrettung parat. Rösler antwortet diszipliniert. Er will das Gespräch. Doch schließlich wirkt er müde und auch enttäuscht. Schmallippig sagt er: „Ich wollte die Fakten mit Ihnen teilen, aber offenbar wollen Sie das nicht.“ Das Publikum beharrt: „Wie kann weiteres Massensterben verhindert werden, was schlagen Sie vor?“ Jetzt hat der gebürtige Franke genug: Ja, die Schleuser seien das Problem. Aber nein, er wolle sich nicht in die laufende politische Debatte einmischen.
Doch die EU entscheidet auf Grundlage der von Frontex erstellten Risikoanalysen. Die Agentur nimmt also direkt politischen Einfluss – aber eben nicht öffentlich. Nur so kann die EU Frontex den schwarzen Peter zuschieben und umgekehrt. Der Abend führt dieses Spiel vor.
Die Veranstaltung ist zu Ende, Rösler verlässt unter Polizeischutz den Raum. Diesmal wird er nicht den Vordereingang benutzen. Die Gäste müssen noch bleiben. Die Leute draußen seien unberechenbar, sagen die Veranstalter auf Geheiß der Polizei, womöglich gefährlich. Man wartet geduldig. Zurück auf der Straße begrüßen die DemonstrantInnen das Publikum freundlich: „Redet mit uns, wir können euch wirklich informieren.“
INES KAPPERT
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