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Auf die tolerante Tour

Die Hamburger Linkspartei schließt nicht mehr aus, nach der Bürgerschaftswahl im Februar einen rot-grünen Minderheitssenat zu tolerieren. Davon wollen SPD und Grüne aber nichts wissen. Derweil warnt die CDU vor dem „Albtraum Volksfront“

GEDULDET WIRD NICHT

Oskar Lafontaine hat seinen Genossen in Niedersachsen den Weg bereits vorgezeichnet: „Von einer Duldung halte ich wenig“, sagte der Fraktionschef der Linken im Bundestag kürzlich bei einem Besuch in Hannover. Auch die SPD in Niedersachsen tut vor der Landtagswahl am 27. Januar alles, um jegliche Kooperationsgelüste mit den Linken zu verneinen: Kandidat Wolfgang Jüttner will verhindern, von der CDU in die Rote-Socken-Ecke gedrängt zu werden. Ähnlich verhalten sich die Sozialdemokraten in Hessen, wo am gleichen Tag gewählt wird. In Hannover wie in Wiesbaden wäre es für die SPD fatal, wenn sich links von ihr eine weitere Partei im Landtag festfräße – erstmals überhaupt in einem westdeutschen Flächenland. In Niedersachsen sehen Umfragen die Partei derzeit bei 4 Prozent. Ähnlich taxierten die Demoskopen die Linken vor der Wahl in Bremen: Dort zogen diese im Mai dennoch mit 8,4 Prozent in die Bürgerschaft ein.  KSC

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Sieben Wochen vor der Bürgerschaftswahl in Hamburg werden dort die Karten neu gemischt. Mit einem überraschenden Tolerierungsangebot setzt nun die Linkspartei SPD und die Grün-Alternative Liste (GAL) an der Elbe unter Druck. „Wenn SPD und GAL über ihren Schatten springen und mit uns einen Richtungswechsel einleiten wollen, werden wir unseren Teil dazu beitragen“, heißt es in einem Leitantrag des linken Landesvorstandes für einen Parteitag am morgigen Sonnabend. „An uns soll der Politikwechsel nicht scheitern“, begründete Berno Schuckart, einer von vier Landesvorstandssprechern der Partei, am gesterigen Donnerstag gegenüber der taz diesen Kurswechsel.

Die SpitzenkandidatInnen von SPD und GAL, Michael Naumann und Christa Goetsch, wiesen das Angebot in ersten Kommentaren zurück. Jede Stimme für die Linkspartei sei eine für die CDU und deshalb ein Votum gegen einen Wechsel, erklärten sie in beinahe gleichlautenden Stellungnahmen.

Aus dem Umfeld von Bürgermeister Ole von Beust (CDU) drang derweil heimliche Freude. Jetzt liege der Ball bei SPD und Grünen, wurde geraunt: „Nun können die nicht länger sagen, Rot-Grün-Rot sei eine Phantomdiskussion.“ Die Keule schwang offiziell CDU-Parteichef und Finanzsenator Michael Freytag: „Ein Albtraum: Mit einer Linksfront droht Hamburg der Absturz.“

Der Wahlausgang am 24. Februar gilt derzeit als offen. Mehrere Umfragen sagen voraus, dass die Christdemokraten die vor vier Jahren errungene absolute Mehrheit verlieren werden. Danach liegen sie mit etwa 42 Prozent knapp hinter SPD und GAL mit zusammen rund 45 Prozent. Während die FDP mit drei Prozent erneut den Sprung ins Rathaus verpassen dürfte, würde die Linke mit gut fünf Prozent die Alternativen Große Koalition oder Schwarz-Grün erzwingen – Optionen, die allen Betroffenen als eher saure Äpfel gelten.

Mit ihrem Tolerierungsangebot jedoch könnte die Linke dem Spiel neue Reize verleihen, wenn es denn vom Parteitag beschlossen wird. Schuckart und Landesgeschäftsführer Martin Wittmaack zeigten sich gestern „optimistisch“. Immerhin habe der Landesvorstand das Papier „einstimmig gebilligt“.

Über den „sehr deutlichen Tenor überrascht“ zeigten sich jedoch zwei weitere führende Mitglieder. So klar sei die Debatte hinter den Kulissen nicht verlaufen. Gestern Abend wollte der Vorstand der Linkspartei ein letztes Mal die Vorlage abstimmen. „Es gibt aber höchstens noch redaktionelle Änderungen“, hieß es auf beiden Seiten: „Dann entscheidet der Parteitag.“

Anlass für das Tolerierungsangebot an Rot-Grün sei eine neu entdeckte „große Einigkeit in vielen Themen“, begründet Schuckart die Tendenz des Antrags. Nach den Grünen habe nun auch SPD-Bürgermeisterkandidat Naumann in jüngster Zeit „die soziale Komponente“ unerwartet deutlich betont. Entsprechend lang ist die Liste der Übereinstimmungen, welche die Linkspartei ausgemacht haben will. Mehr sozialer Wohnungsbau und keine Privatisierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die Abschaffung aller von der CDU eingeführten Gebühren in Kitas, Schulen und Hochschulen, mittelfristige Zielsetzung einer Schule für Alle, keine Genehmigung für das von Vattenfall geplante Steinkohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg oder die Verankerung verbindlicher Volksentscheide in der Hamburger Verfassung – das alles sind Punkte, in denen Rot-Grün und die Linke mehr oder minder übereinstimmen.

Und in grundsätzlichen Fragen von bundesdeutscher Bedeutung – Nato oder Hartz IV – gibt es seit langem in allen Länderregierungen eine probate Regelung: Bei Meinungsverschiedenheiten wird im Bundesrat mit Enthaltung gestimmt. Wenn man sich das alles „mal ohne Scheuklappen ansieht“, sagt ein prominenter Linker, „kann man zu der Auffassung kommen: Das könnte gehen mit denen.“ Deshalb nun die Aufforderung an SPD und Grüne, ihr bislang grundsätzlich ablehnendes Verhältnis zur Linkspartei „zu überdenken“.

Doch die denken derzeit gar nicht daran. „Ein Politikwechsel braucht eine klare Mehrheit“, sagt GAL-Spitzenfrau Christa Goetsch. Die Linke wolle nur darüber hinwegtäuschen, „dass sie keine Verantwortung übernehmen will“. Sie, wie auch SPD-Spitzenkandidat Naumann, wollen deshalb „klare Verhältnisse für Rot-Grün“, sagt Goetsch. Wobei Naumann ungefragt klarstellt: „Von einer Großen Koalition halte ich nichts.“

Und SPD-Parteichef Ingo Egloff bemüht sich, alle Volksfront-Vorwürfe von CDU und Springer-Presse kategorisch im Keim zu ersticken: „Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei wird es nicht geben.“

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