: Zwei im Tal der Ahnungslosen
AUS KÖNIGSTEIN THOMAS GERLACH
„Wahlsieg? Wieso?“ Bürgermeister Frieder Haase kapiert nicht. Hat er was nicht mitbekommen? Einen Wahlsieg? Nein, hier in Königstein in der Sächsischen Schweiz habe es keinen Sieg des NPD-Mannes Uwe Leichsenring bei den Kommunalwahlen gegeben. Im Gegenteil. Haase zückt einen Zettel, statistisch gesehen hat Leichsenring nicht gesiegt, sondern verloren. Bürgermeister Haase hält den Finger auf jede Zahl, als wäre er ein Astronom, der einen Schweifstern in der Nähe weiß, seine Bahn berechnet und Messungen weitergibt.
„Vor fünf Jahren haben 182 Leute Leichsenring gewählt.“ Seinen Zenit habe er mit den Bürgermeisterwahlen 2001 erreicht, als er 287 Stimmen bekam. Jetzt haben ihn nur noch 263 Königsteiner gewählt – „das sind 24 weniger als vor drei Jahren“. Der Rest ist schwache Wahlbeteiligung. Und so kam es, dass die NPD mit Uwe Leichsenring 21,1 Prozent der Stimmen erhielt – vor fünf Jahren waren es rund 12 Prozent. Eine Niederlage, gewiss – aber nicht für Leichsenring.
Aus dem Rathaus der 3.000-Einwohner-Stadt kommt Entwarnung: Mag der Komet Leichsenring gefährlich sein, zu einer Kollision wird es nicht kommen. Der Sommer kann beginnen. Die Festung oberhalb der Stadt ist eine Reise wert, nach der Flut 2002 haben sich die Besucherzahlen erholt, bald werde es einen zweiten, einen gläsernen Aufzug geben. Es geht aufwärts.
„Es ist für uns schlimm, dass es so ist, die gesamte Ideologie ist zu verachten“, fügt Haase noch an. Für ein ceterum censeo klingt es etwas welk. Empörung lässt sich nicht frisch halten, hier nicht, wo Uwe Leichsenring seit Jahren mitmischt, die „nationale Wende“ eingeläutet hat und als Fahrlehrer durchs Elbtal rollt und so manchen Achtzehnjährigen neben sich sitzen hat. Wenn es flutscht auf der Straße, unterhält man sich nicht nur über Vorfahrtsregeln.
Und wenn die Fahrstunde nicht reicht, kann der Lehrer dem Eleven noch „Klartext – Die Deutsche Stimme von Königstein“ oder ein anderes Flugblatt zustecken. Da erfährt dieser dann vom CDU-Filz zwischen Dresden und Königstein, von „verausländerten“ Städten und vom Verfall der sächsischen Heimat. Wem das zu sinister ist, kann sich mit Leichsenring über jenen gläsernen, die Festung hinaufführenden Fahrstuhl erregen, der hier nicht nur Freunde findet und dessen Genehmigung als weiterer Beweis des Filzes herhält – auch wenn Bürgermeister Haase vor drei Jahren aus der CDU ausgetreten ist.
„Was passiert denn, wenn der alte Aufzug mal nicht funktioniert?“ Wie sollen denn die Besucher – über 600.000 vor der Flut – hinaufkommen? „Unter ihnen viele Rentner“, rechtfertigt sich Frieder Haase. Offenbar gab es doch einen Wahlsieg, Haase ist in der Defensive. Er hat die NPD mit Fleisch und Blut in der Stadt, er hat nicht ein paar Dumpfbacken, er hat einen geachteten Fahrlehrer auf der Pelle. Haase wehrt ab: Im Übrigen gebe es in Frankreich Jean Marie Le Pen, in Österreich Jörg Haider, in Deutschland eben die NPD und in Königstein Uwe Leichsenring, Mitglied im NPD- Bundesvorstand. „Denken Sie dran, die NPD wäre vor fünfunddreißig Jahren fast in den Bundestag gekommen.“ An der Sächsischen Schweiz hat das nicht gelegen.
Zum Schluss sagt Haase Sätze wie: Das sind nicht 260 Leute, die rechtes Gedankengut vereint, die sind unzufrieden mit dem, was in Deutschland läuft, unzufrieden mit 18 Prozent Arbeitslosigkeit, mit Abwanderung, Praxisgebühr, Grundsteuer, mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, mit dem Euro. So klingt das, wenn man die „sozialpatriotische Wende“ am Hals hat. Andere Bürgermeister könnten sich das langsam anschauen.
Für Arno Suddars ist es zu spät. Reinhardtsdorf-Schöna mit seinen rund 1.400 Wahlberechtigten hat Königstein überrundet. Früher hatte Arno Suddars einen Gemeinderat, in dem Parteien kaum eine Rolle spielten. Da gab es den Lehrer, den Schmiedemeister, den Zahnarzt, den Klempnermeister. Sie waren in der CDU, der SPD, PDS und in der „Wählergemeinschaft 94“ – man kannte sich und die Seinen bis ins dritte Glied. Und nun sitzt Arno Suddars an seinem Bürgermeistertisch und kann es nicht fassen. Das amtliche Endergebnis hängt in den Schaukästen wie ein Bulletin, Diagnose: hochgradig rechtsextrem, 25,2 Prozent für die NPD.
Er habe, erzählt Suddars, Klempnermeister Jacobi drei Wochen vor der Wahl gefragt, ob er denn wieder kandidieren wolle? Ja, habe dieser gesagt. Aber nicht mehr wie vor fünf Jahren für die Wählervereinigung, sondern für die NPD. Suddars kann nicht so gut mit Wahlergebnissen jonglieren wie Kollege Haase, doch einen Zettel hat auch er vorbereitet. Mit Erschütterung habe er das Wahlergebnis zur Kenntnis nehmen müssen, schreibt er den „werten Einwohnern“. Das Ergebnis sei mehr als beschämend und nicht absehbar gewesen.
Suddars zählt auf, was gebaut oder modernisiert wurde: Sporthalle mit Bühne, Sportlerheim, Sportplatz, Kläranlage und die Straßen. „Was in unserem Ort seit der Wende geschaffen wurde, das scheinen die meisten zu vergessen.“ Suddars sitzt an seinem Schreibtisch, ein 66-Jähriger, große Statur, kräftiges Haar, kräftige Stimme und doch müde, vor sich der lange Sitzungstisch, ein Sträußchen Bartnelken obendrauf, viel zu mickrig für die Leere. Ein Kapitän ohne Mannschaft, vor drei Jahren haben sie ihn noch mit fast 100 Prozent bestätigt – jetzt haben viele die Fahne gewechselt.
„Das ist die Verärgerung“, sagt Suddars. „Der Staat hat sich in seinen Strukturen festgesessen, der Silberstreif am Horizont ist jetzt nicht mehr zu sehen.“ Das Große und Ganze ist schuld – aber nicht allein. „Man kann nicht bezweifeln, dass einige Jugendliche rechtsradikalen Aktivitäten nachgehen“, sagt er dann doch. „Aber nicht hier am Ort“, fügt er an. „Und ich kann doch jetzt nicht über einen, der früher im Gemeinderat korrekt, sachlich und kompetent war, sagen, dass er asozial ist“, sagt Suddars über die Stühle hinweg.
Klempnermeister Jacobi hat sein damaliges Mandat zurückgegeben, als im Jahr 2000 das Landekriminalamt im Zuge der Ermittlungen gegen die SSS, die „Skinheads Sächsische Schweiz“, NVA-Waffen und zwei Kilo Sprengstoff in Jacobis Garage fand. Als die SSS 1998 einen Jugendklub überfiel, war Sohn Matthias mit dabei.
NPD-Anhänger höhnen jetzt im Internet über den „Jammerlappen“ Suddars, der ein demokratisches Wahlergebnis nicht akzeptieren könne. Im Internet hätte sich Suddars schon früher erkundigen können, wer denn Hendrik Möbus eigentlich ist, für den man im Jugendclub Freiheit forderte. Der „Satansmörder“ von Sondershausen, der 1993 einen fünfzehnjährigen Mitschüler erdrosselte, ist mittlerweile zum Märtyrer der rechten Szene aufgestiegen. Und der schmucke deutsche Junge, der verspricht, „der Sozialismus der Zukunft ist national“, blickt vom himmelblauen Aufkleber am Schaukasten gleich neben dem amtlichen Wahlergebnis. Mit solchen Aufklebern werden auch Touristen begrüßt, die am Parkplatz die Wanderkarte studieren.
Gelegentlich haben die jungen Kameraden feierlich Hakenkreuze aus Stroh abgebrannt. Diese Feiern wurden schon im Jugendausschuss des Kreistages thematisiert. Und von der Kandidatur Jacobis hätte Arno Suddars schon im Februar erfahren können – aus einer Pressemitteilung der NPD. Auch dass einige Jugendliche aus dem Dorf im SSS-Prozess angeklagt waren, blieb kein Geheimnis.
Wenigstens den Jugendclub hat Suddars im Dezember 2002 schließen lassen, in dem schon „Sieg Heil!“-Rufe erschallten. Die zwei Mitarbeiter vom Mobilen Beratungsteam aus Pirna beraten den Bürgermeister seit langem über den Umgang mit rechtsextremistischen Parteien und Strukturen. Wenig gebracht habe das alles, resümiert Suddars. Das Wahlergebnis ist jedenfalls nicht aus heiterem Himmel gekommen wie ein Hagelschlag. Jetzt hat es Suddars mit den Wirkungen zu tun.
Die beiden NPD-Gemeinderäte werden sich bald für das „Klubgebäude heimatverwurzelter Jugendlicher“ einsetzen, wo doch das Wahlprogramm Zuschüsse für „sinnvolle Jugendarbeit“ fordert. Vermutlich graust es Suddars schon. Er spricht mit klarer norddeutscher Stimme, so einer kommt von weit her. Ja, in Memel, dem heutigen Klaipeda in Litauen, sei er geboren, als Siebenjähriger habe er die Flucht erlebt und was er da gesehen hat … – Suddars hält inne, und wird plötzlich sehr laut: „Und jetzt kommen solche Rotznasen und schmieren Hakenkreuze an die Wand.“ Arno Suddars ist wach, hellwach jetzt.
Unterdessen dirigiert Uwe Leichsenring Fahrschüler über die Autobahn und gibt nebenbei das eine oder andere Telefoninterview, und Bürgermeister Frieder Haase erklimmt mit Besuchern die Festung. Das macht Spaß – zeigen, was man hat, Stein gewordene Geschichte. „Sehen Sie am Fels das eingemeißelte Pferd mit Reiter?“, fragt die Führerin. Ein Reiter soll sich dort aus Liebeskummer hinabgestürzt haben, erzählt sie. „Wer Liebeskummer hat, bitte melden!“ Freundliche Gesichter, auch Haase lächelt. Wenigstens leidet er nicht unter diesem Problem.
Auch sonst macht er sich wenig Sorgen. Wenn der neue Stadtrat zum ersten Mal zusammentreffe, interessiere sich schon keiner mehr für Königstein, prophezeite Haase am Vortag, so funktionieren doch Medien. Der Mensch ist vergesslich. Wer erinnert sich heute daran, dass die DVU im Brandenburger Landtag sitzt? Bald wird sich das Sommerloch auftun und Königstein darin versinken. Bis zur nächsten Wahl leider schon im September, dann wird der Sächsische Landtag gewählt. Uwe Leichsenring wird antreten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen