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Die grüne Distanz zur Straße

Grünen-Chef Bütikofer versucht sich als Vorbild, wie man die Hartz-Proteste aussitzen kann. In der Partei aber werden die Rufe nach Lockerungen lauter

Die Grünen, sagt Bütikofer, verstünden sich als „das soziale und ökologische Gewissen der Nation“

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF UND ULRIKE WINKELMANN

Farbbeutel oder Eier wurden nicht geschmissen. Die Fassade der Grünen-Zentrale in Berlin blieb auch nach den Anti-Hartz-Protesten vor der eigenen Haustür unbefleckt. Als sich der Bundesvorstand der kleinen Regierungspartei gestern zu seiner Routinesitzung traf, erinnerten nur noch die Absperrgitter der Polizei an den Besuch von 5.000 Demonstranten, die hier am Vorabend aufmarschiert waren.

Äußerlich ist also fast alles beim Alten bei den Grünen, die den Unmut über die rot-grüne Politik bislang vergleichsweise gelassen hingenommen haben. Weil sie nicht direkt betroffen scheinen. Weil sie in den Umfragen sogar dazu gewinnen. Da sehen viele Grüne wenig Anlass, den Widerstand gegen die Sozialpolitik der Regierung allzu nah an sich heran zu lassen. Auch am Montag nicht. Was sind schon ein paar tausend friedliche Protestler gegen die 13 Prozent Zustimmung bei den Wählern? Besonders geschadet haben sie den Grünen ja wohl kaum, diese Gesetze formerly known as Hartz, die der SPD-Chef lieber gar nicht mehr beim Namen nennen möchte.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer jedenfalls hat kein Problem damit, „Hartz“ in den Mund zu nehmen. Er spricht von der „Grundphilosophie von Hartz IV“ und sagt, die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sei „notwendig und unverzichtbar.“ Auf manche Koalitionäre angesprochen, die nicht mehr so recht zu Hartz IV stehen, weil sie ein schlechtes Gewissen plagt, sagt Bütikofer: „Da können Sie zitieren, wen sie wollen, aber mich nicht.“

Der Grünen-Chef hat auch kein Problem damit, dass sich der größte Teil der Berliner Montagsdemonstrierer diesmal sein Büro als Ziel des Protestzugs auserkoren hat. Er hätte sich sogar noch einen Demonstranten mehr gewünscht, sagt Bütikofer. Bundestagsfraktionsvize Christian Ströbele hätte nicht zur SPD-, sondern zur eigenen, grünen Parteizentrale marschieren sollen: „Das hätte eine gewisse Pikanterie gehabt.“ Wir bleiben cool – das ist der Eindruck, den der Grünen-Chef vermittelt. Nur einmal kommt er in Fahrt. Nein, es stimme überhaupt nicht, dass seine Partei den sozialen Ausgleich aus dem Blick verloren habe, nur weil ihre Wähler im Durchschnitt mehr verdienen als die der FDP. Die Grünen, sagt Bütikofer, blieben „das soziale und ökologische Gewissen der Nation“. Oha. Wer das nicht glaube, werde es beim Parteitag im Oktober merken. Dann nämlich werde man das Thema Vermögensteuer wieder auf die Tagesordnung bringen. Bei Hartz IV aber müsse Rot-Grün „die politische Linie erkennbar, verlässlich und berechenbar durchhalten“.

Einigen in der Partei fällt das jedoch erkennbar schwerer als dem Chef. Sie merken, dass die Angst vor dem sozialen Absturz durch Hartz IV längst auch einen Teil der grünen Klientel erfasst hat. Oder schon bald erfassen könnte.

Er habe durchaus noch Kritik an Hartz IV anzumelden, sagte der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Kurth der taz – und zählte drei Punkte auf, in denen die Arbeitsmarktreform verändert werden müsse. Wenn nicht sofort, dann nach einem Jahr Auswertungsphase.

Erstens: Die Zuverdienstmöglichkeiten für künftige Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Das sei „ein echter Bock im Gesetz“. Alle in seiner Partei seien sich einig, dass da „noch etwas gemacht werden muss“, erklärte Kurth. Es sei schlicht gelogen, dass mit Hartz IV Arbeitslose mehr dazuverdienen könnten. „De facto muss ein Arbeitsloser mit 400-Euro-Minijob auf 105 Euro verzichten und behält nur noch 60 Euro. Das kann nicht angehen.“ Im Übrigen werde diese Regelung zum „Anstieg der Schwarzarbeit“ führen, nicht zu ihrem Abbau.

Zweitens: Die Altersvorsorge. „Man darf die Leuten nicht dafür bestrafen, dass sie fürs Alter vorgesorgt haben“, sagt Kurth – obwohl der Kanzler gerade erst dekretierte, das beschlossene Schonvermögen von zum Beispiel 47.500 Euro für ein 45-jähriges Ehepaar mit Kindern sei ausreichend. Die Grünen-Führung sieht deshalb keine Chance, hier noch etwas zu verändern. Kurth verlangt trotzdem, dass jeder Arbeitslose als Altersvorsorge den „Gegenwert einer Eigentumswohnung“ behalten können soll. „Wer schließt denn sonst noch eine Lebensversicherung ab?“

Drittens: Die Zumutbarkeitsregelung und der Mindestlohn. Die Zumutbarkeitsregelung im Gesetz sieht vor, dass die Löhne unter das Sozialhilfeniveau fallen können. „Deshalb müssen wir entweder die Zumutbarkeitsregelung wieder ändern, oder wir brauchen einen Mindestlohn, der das verhindert“, sagt Kurth und hofft, dass seine Fraktion auf ihrer Klausurtagung nächste Woche ein Forderungspaket schnüren werde.

Es sei denn, die Partei- und Fraktionsspitze verhindert das. Bütikofer hält eine Änderung der Zumutbarkeitsregelung für „illusorisch“. Und beim Mindestlohn sei man „noch lange nicht so weit, dass man hier zu Regierungshandeln kommen könnte“. Denkbar, so Bütikofer, seien „regional und branchenmäßig differenzierte Mindestlöhne“. Aber darüber müsse man erstmal mit den Gewerkschaftern reden. Ob die Demonstranten so lange warten? Vielleicht ist es besser, die Grünen lassen die Absperrgitter noch ein Weilchen stehen.

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