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Prozess gegen Letzte GenerationMehr Angst vor der Klimakrise als vor dem Gefängnis

Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen hatten auf Sylt unter anderem ein Flugzeug besprüht. Der Itzehoer Gerichtssaal war gesichert wie bei großen Terrorprozessen.

Gut gesicherter Verhandlungsort: Angeklagte Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation am Dienstag in Itzehoe Foto: Marcus Brandt/dpa

Rendsburg taz | In der Warteschlange vor dem Einlass zu ihrem Prozess bindet sich Regina S. eine übergroße Herrenkrawatte um. S. definiert sich als nonbinär und muss sich seit Dienstag gemeinsam mit fünf weiteren Ak­ti­vis­t:in­nen der Gruppe „Letzte Generation“ für eine Aktion auf Sylt verantworten: Im Juni 2023, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, seien die Beteiligten auf den Flugplatz der Insel eingedrungen und hätten ein Flugzeug mit orangener Farbe besprüht. Einige Tage später pflanzte die Gruppe auf einem Golfplatz der Insel Blumen und einen Baum.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Hausfriedensbruch, unbefugtes Eindringen am Flughafen und Sachbeschädigung. Es geht um eine Gesamtsumme von über einer Million Euro, die vor allem durch den Schaden am Flugzeug zustande gekommen sind.

„Ich habe Angst vor dem Ergebnis des Prozesses, Haft ist richtig scheiße“, sagt der:­die 22-jährige Regina S. Aber die Sorge um die Zukunft überwiege: „Wir haben die 1,5-Grad-Erderwärmung schon überschritten, und der Klimawandel ist tödlich.“ Vor Gericht kämpft S. mit den Tränen: „Weil ihr die vergangenen 40 Jahre nichts getan habt, um die Katastrophe aufzuhalten, muss ich Widerstand leisten. Ich will wieder Träume und keine Alpträume haben.“

Besonders Superreiche richten durch ihren Lebenswandel Schaden an – darauf habe die Gruppe mit der Aktion auf Sylt hinweisen wollen, sagt Michael W., ebenfalls angeklagt: „Es war nicht gegen einzelne Reiche gerichtet, wer weiß, was ich täte, wenn ich reich wäre. Aber wir können uns den Reichtum nicht mehr leisten.“

Breites Medienecho auf besprühtes Flugzeug

Das reichste Prozent der Menschheit verbrauche mehr Ressourcen als die ärmste Hälfte zusammen, sagt Lio G. Der:­die 24-jährige Student:in, der:­die sich ebenfalls als nonbinär definiert, schildert im Prozess sei­nen:­ih­ren Weg zur Letzten Generation. Seit November 2022 sei G. dabei, weil ziviler Ungehorsam wirksamer sei als andere Formen von Protest: „Demos und Petitionen können ignoriert werden, Blockaden stören. Menschen müssen sich dazu verhalten.“

Die Aktion auf Sylt sei aus G.s Sicht erfolgreich gewesen: Es habe ein breites Medienecho und Berichte über den gewaltigen CO2-Fußabdruck von Superreichen gegeben. „Ich mache solche Aktionen, weil ich Angst, aber auch noch etwas Hoffnung habe“, sagt G., der:­die in Berlin wohnt und So­zi­al­ar­bei­te­r:in werden will. Die Menschheit rase „ungebremst auf die Klimakatastrophe zu“; es müsse daher alles getan werden, das einzudämmen.

Bedauern für den Besitzer des Privatjets können und wollen die Angeklagten nicht aufbringen: „Es fährt stündlich ein Zug nach Sylt“, sagt Regina S. Es sei allerdings nicht das Ziel gewesen, das Flugzeug zu beschädigen: „Es war Wandfarbe, die ist abwaschbar.“ Der Besitzer des Fliegers sieht das anders, mehreren Beteiligten drohen auch zivilrechtliche Strafen.

Prozesse und Gewahrsam haben mehrere von ihnen schon hinter sich. Dennoch seien sie weiter bereit zu Protest-Aktionen, sagen einige Angeklagte: „Ziviler Ungehorsam schafft eine Plattform für Debatten“, sagt etwa Ann-Kathrin H.

Strenge Kontrollen am Einlass

Richterin Larissa Herzog vom zuständigen Amtsgericht Niebüll lässt den Ak­ti­vis­t:in­nen viel Raum für ihre Statements und geht auf die inhaltlichen Argumente ein: Sei es sinnvoll, ins Gefängnis zu gehen, statt sich draußen für den Klimaschutz einzusetzen? Gebe es nicht politische Möglichkeiten, das Anliegen voranzubringen? Was solle die Politik tun?

Die Ak­ti­vis­t:in­nen nennen auf diese Frage die Forderungen der Letzten Generation, um die es bereits bei den Kampagnen 2023 gegangen war: einen Klimarat einrichten, ein kostengünstiges Ticket für den Bus und Bahn, das Eingeständnis der Regierung, dass die Krise da sei.

Die ruhige Prozessführung – dazu gehörte auch die Nachfrage des Staatsanwalts, ob für Lio G. und Regina S. als Transgender-Person eine Gefängnisstrafe eine besondere Härte darstellen würde – stand im Gegensatz zur Situation beim Einlass in das Fabrikgebäude, in dem der Prozess wegen des erwarteten Andrangs stattfand. Auf der Straße forderte eine Schar von Demonstrierenden mit Plakaten das Ende von Öl- und Kohle-Verbrennung. Doch wer in den Saal wollte, musste strenge Kon­trollen über sich ergehen lassen. Die Sicherheitsmaßnahmen entsprachen denen großer Gewalt- und Terrorprozesse.

„Die Kriminalisierung von Klimaprotesten ist mit Händen zu greifen“, sagt Rolf Meyer, der als Sprecher der Letzten Generation den Prozess beobachtete. „Wir brauchen eine andere Protestkultur.“ Erst langsam ändere sich etwas, auch durch Urteile, die die Anliegen der Ak­ti­vis­t:in­nen einbezögen. Der Prozess in Itzehoe wird am Mittwoch mit der Befragung von Zeu­g:in­nen fortgesetzt.

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7 Kommentare

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  • Es gibt viele Themen, über die man sich aufregen kann. Wenn dabei aber wertvolles Gerät zerstört oder beschädigt wird, ist das eben kein friedlicher Protest mehr. Zum Glück sind die aktiven Klimakleber nur wenige.



    Aber wenn jeder Windradgegner, Stromtrassengegner



    Straßenlärmgeplagte,



    Güterzüge-Gegner, Abtreibungsgegner so protestiert, haben wir bald einen Bürgerkrieg.

  • Die Aussagen zum Klimawandel und der Rolle der Superreichen ist zutreffend.



    Was die Aktionsform betrifft, sollten die Aktivisten von Letzte Generation künftig Trecker einsetzen. Damit darf man stundenlang Stadtbewohner mit Dauergehupe terrorisieren und die Polizei schaut zu.



    Vor Prozessen braucht man sich dann auch nicht mehr zu fürchten.

  • Es gibt Gruppierungen, bei denen die Angst, kleine billige Autos fahren zu müssen und Halsketten aus Messing zu tragen größer ist als die Angst vor dem Gefängnis.



    Wobei die Angst vor dem Gefängnis in diesen Fällen erfahrungsgemäß meistens unbegründet ist.

  • Eine Million Euro Schaden. Da muss man entweder zu der Schicht der Reichen selbst gehören oder die nächsten 30 Jahre vom Existenzminimum leben, denn alles darüber dürfte weg gepfändet werden.



    Es sei allerdings nicht das Ziel gewesen, das Flugzeug zu beschädigen: „Es war Wandfarbe, die ist abwaschbar.“ Was glauben was Farbe am Flugzeug anstellt? Die verklebt alles. Vielleicht lässt sich die Farbe noch vom Metall oder Kunststoff der Flugzeugaussenhaut entfernen, aber bei den Glasfenstern wird es schon schwieriger, Kratzer machen diese unbrauchbar. Und verklebte bewegliche Teile wie Höhenleitwerk, Seitenleitwerk ... müssen ersetzt werden, ebenso müssen die Motoren (wenn ich das Bild noch richtig im Kopf habe, war es eine zweimotorige Propellermaschine) auseinander genommen, gereinigt oder falls das nicht mehr geht, ersetzt werden. Alle Gummidichtungen, auf die Farbe kam, sind hin usw...



    Sogar so einfache Dinge wie Fahrräder mögen es nicht, wenn Sand ins Tret- oder die Achslager kommt und Hochdruckreiniger sind bei Fahrrädern auch tabu, aber ein Flugzeug soll einfach von Wandfarbe zu reinigen sein? Entweder völlig technikignorant oder einfach eine Schutzlüge.

  • : „Weil ihr die vergangenen 40 Jahre nichts getan habt, um die Katastrophe aufzuhalten, muss ich Widerstand leisten. Ich will wieder Träume und keine Alpträume haben.“

    www.umweltbundesam...nen-in-deutschland



    Die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland sind 2023 gegenüber dem Vorjahr um 10,1 Prozent gesunken. Das entspricht einer Minderung um 46,1 Prozent im Vergleich zum internationalen Referenzjahr 1990.

    • @Martin Sauer:

      Das ist ja mal eine gute Nachricht - Deutschland wird sauberer, und der Dreck in den Ländern, in denen unter anderem auch nicht gerade wenig für Deutschland produziert wird, bleibt genau dort und richtet sonstwo keine Schäden an.



      Musiktipp: "Ich mach mir die Welt wie sie mir gefällt".

      • @Erfahrungssammler:

        Na ich denke diesen Musiktipp sollten Sie lieber selbst beherzigen.

        Zum einen sind auch diverse ausländische Unternehmen in D mit Filialen/Niederlassungen tätig. Wenn Sie schon das Verursacherprinzip gemäß Ihrer Definition auslegen wollen, dann müssen Sie diese CO2 Emissionen aus der deutschen Klimabilanz rausrechnen.

        Oder wir lassen es wie bisher, denn tatsächlich werben ausländische Regierungen ja um deutsche/europäische Unternehmen, dass Sie dort Niederlassungen gründen und vor Ort produzieren und entsprechende Arbeitsplätze schaffen. Dann sind die dort entstandenen CO2 Emissionen aber eben den Ländern zuzuordnen, in denen die Produktionen stattfinden.