Auf Deichschau an der Nordseeküste: Warten auf die nächste Sturmflut
Deiche an Schleswig-Holsteins Küste müssen höher und breiter werden, um das Meer auf Dauer auszusperren. Aber ist das überhaupt möglich?
Mieses Wetter für eine Deichschau, findet Jan Aufderbeck, beim Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz Schleswig-Holstein (LKN.SH) zuständig für die Koordination der Bautrupps, die Deiche und vorgelagerte Wiesen in Schuss halten: „Ich mag lieber Schietwetter mit hoher Flut. Dann sieht man genau, wofür wir die Arbeit machen.“
Allerdings erinnert das warme Wetter an das Dauerproblem, mit dem sich der Küstenschutz befassen muss: den Klimawandel, der die Meeresspiegel steigen lässt. Ein knappes Viertel von Schleswig-Holstein, rund 4.000 Quadratkilometer, liegt in Überflutungsgebieten, rund 333.000 Menschen leben in diesen Regionen. Das Land aufzugeben, sei keine Option, sagt Katja Günther (Grüne), Staatssekretärin im für die Küste zuständigen Umweltministerium.
Das Land rechnet in seinem „Generalplan Küstenschutz“, der zuletzt 2022 fortgeschrieben wurde, mit einem Wasseranstieg von bis zu einem Meter in diesem Jahrhundert, höhere Werte nicht ausgeschlossen. Neben dem stetigen Anstieg des Spiegels werden verstärkt Sturmfluten auftreten – im Oktober 2023 erlebte Schleswig-Holsteins Ostseeküste eine Extremflut, bei der drei kleinere Deiche brachen. Um für die Zukunft gerüstet zu sein, setzt die Landesregierung darauf, die Dämme zu verstärken, sagt Katja Günther: „Höher, höher, höher.“
Küstenlinie wohl nicht durchgehend zu halten
725 Personen arbeiten beim LKN.SH, durchschnittlich 74 Millionen Euro im Jahr kostet der Küstenschutz. Davon zahlt das Land 23 Millionen Euro für die Instandhaltung der 1.002 Deich-Kilometer an Nord- und Ostsee, der Gräben, Siele und Wehre. Bei Investitionen übernimmt der Bund 70 Prozent der Kosten, auch EU-Mittel fließen in einzelne Maßnahmen. Doch lässt sich mit Arbeit und Geld das Meer auf Dauer aussperren?
Christian Winter, Professor für Küstengeologie an der Kieler Christian-Albrecht-Universität, hält es für wahrscheinlich, dass die heutige Küstenlinie nicht durchgehend gehalten werden kann. Im Online-Magazin Riffreporter fordert er „mehr Ehrlichkeit: Wir können die Häuser in der ersten Reihe langfristig nicht halten.“
Henning Krüger, Deichgraf der Insel Nordstrand, ärgern solche Aussagen: „Ich bewirtschafte meinen Hof in sechster Generation, die siebte Generation steht schon bereit“, sagt der Landwirt bei der Deichschau. „Ich muss wissen, ob wir geschützt werden.“ Staatssekretärin Günther beruhigt: „Unsere Strategie ist, alles zu halten.“
Dabei helfen sollen sogenannte Klimadeiche, mit einer flacheren Böschung und einer breiteren Krone als früher. An der Böschung sollen Wellen ablaufen, und die breite Krone bietet die Chance, später weiter aufzuschütten. Richtig so, findet Christian Stark, Wehrführer der Feuerwehr Nordstrand, und zitiert das alte Küstenmotto: „De nich will dieken, mutt wieken“ – wer nicht deichen will, muss weichen.
Deicherhöhung zulasten des Wattenmeers
Allerdings kosten breitere Deiche nicht nur viel Geld, sie kosten auch mehr Platz. „Woher wird der kommen, wenn hinter dem Deich bewirtschaftetes Land und davor der Nationalpark liegt?“, fragt Christian Wiedemann von der Verwaltung des Nationalparks Wattenmeer. Der schließt ans Deichvorland an, es gibt Überschneidungsgebiete, die für Küsten- und Naturschutz gleichermaßen wichtig sind. Die Zusammenarbeit laufe gut, sagen Wiedemann und Aufderbeck gleichermaßen. Aber wenn es hart auf hart geht, hat der Küstenschutz Vorrang, das ist den Naturschützer:innen klar.
Zurzeit sehen die Nordstrander Deiche gut aus, lautet das Ergebnis nach der Rundtour. „Grünes Gras, keine Löcher, das sind Zeichen, dass wir unsere Arbeit gut gemacht haben“, sagt Jan Aufderbeck. Aber die Menschen schaffen das nicht allein, ihnen helfen die zahlreichen Schafe, die das Gras kurz halten und deren „goldener Tritt“ – das ist ein stehender Begriff – den Deich festigen.
Doch in diesem Jahr starben Tausende Tiere an der Blauzungenkrankheit, über 13.000 Betriebe waren landesweit betroffen, vor allem in den Küstenregionen. Das LKN.SH ließ Deiche sperren, um den geschwächten Tieren Stress und Störungen zu ersparen. Es gab Proteste, auch Beleidigungen, persönlich oder per Mail.
Viele Menschen ignorierten die Warnschilder einfach, genau wie das Verbot, Hunde am Deich frei laufen zu lassen, berichten die Leute vom Küstenschutz. Jan Aufderbeck macht sich Sorgen, was passiert, wenn Schäfereien aufgeben. Dann müssten Maschinen die Arbeit der Schafe machen, allerdings schlechter und deutlich teurer. Aufderbeck hebt die Schultern. „Einen echten Plan B gibt es nicht.“
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