piwik no script img

Gefangenenaustausch im Ukraine-KriegFreiheit aus russischer Lagerhaft

Russland lässt den ukrainischen Menschenrechtsaktivisten Maksym Butkewytsch frei. „Ich habe geweint“, sagt seine russische Kollegin Swetlana Gannuschkina.

Ein ukrainischer Soldat umarmt seinen Kameraden bei einem Gefangenenaustausch in der Region Sumy Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Kyjiw taz | Erneut haben Russland und die Ukraine Kriegsgefangene ausgetauscht. In der Nacht zum 19. Oktober konnten 95 ukrainische und 95 russische Kriegsgefangene in ihre Heimat zurückkehren. Gleichzeitig übergab Russland die sterblichen Überreste von 501 ukrainischen Gefallenen. Forensiker werden deren Identitäten feststellen, bevor sie den Familien für eine würdige Beerdigung übergeben werden.

Zum ersten Mal wurden auch Ukrainer freigelassen, die in Russland zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren. Viele leiden unter den Folgen von Verletzungen, Krankheiten, Folter und schlechter Ernährung, berichtet der ukrainische Koordinierungsstab für Kriegsgefangene.

Einer der Freigelassenen ist Maksym Butkewytsch – Menschenrechtler, Journalist, Aktivist und Soldat. Nach seiner Rückkehr trat er in der Kleidung eines russischen Strafgefangenen – graue Jacke, schwarze Pelzmütze – vor die ukrainische Presse. „Ich muss mich leider in diesen Kleidern den Fragen der Presse stellen, da ich direkt aus der Haft hierher gebracht wurde“, erklärte er entschuldigend.

Verurteilung vor russischem Gericht im besetzten Luhansk

Butkewytsch hatte sich im März 2022 freiwillig zur ukrainischen Armee gemeldet und geriet in russische Gefangenschaft. Ein Gericht der sogenannten Volksrepublik Luhansk verurteilte ihn im März 2023 zu 13 Jahren Haft. Seine Zeit in der Strafkolonie verbrachte er im russisch besetzten Luhansk, wo noch über vierzig weitere ukrainische Kriegsgefangene festgehalten werden, wie er jetzt berichtete.

Butkewytschs Eltern waren überwältigt. Das letzte Bild, das sie von ihm kannten, stammte aus seinem Prozess im August 2023. Menschenrechtler hatten den Bildschirm fotografiert, auf dem er per Video aus dem Gefängnis zugeschaltet war.

Das Gericht hatte ihn wegen Misshandlung von Zivilisten, Einsatzes verbotener Methoden und versuchten Mordes verurteilt. Nach russischer Darstellung soll er in Sewerodonezk mit einer Panzerfaust auf ein Wohnhaus geschossen haben, in dem sich zwei Menschen aufhielten. Seine Familie bestreitet die Vorwürfe und betont, dass er zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in Sewerodonezk war.

Menschenrechtlerin Gannuschkina: Butkewytsch nicht russophob

Gleichzeitig verbreiteten russische Medien, Butkewytsch sei ein „Faschist“, „Nazi“ und „russo­phob“, und griffen seine frühere Arbeit für die BBC an. Besonders schmerzhaft sind diese Anschuldigungen für jemanden, der bei Amnesty International aktiv war, die Organisation Ohne Grenzen mitbegründete und sich gegen Rassismus einsetzte.

Auch die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina bezeichnet die Vorwürfe und Verleumdungen als „Unsinn“. Butkewytsch sei nicht russophob, vielmehr habe er sogar einer Russin geholfen, aus einem umkämpften Gebiet in der Ukraine zu fliehen, und habe mit russischen Menschenrechtlern zusammengearbeitet. Er habe ein klares Alibi und die Beweise gegen ihn seien gefälscht, betont sie. „Ich habe geweint, als ich von seiner Freilassung hörte“, sagt sie der taz.

Der ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Ljubinetz berichtete unterdessen, dass der Generalstaatsanwaltschaft 102 Fälle von Folter an ukrainischen Kriegsgefangenen durch russische Soldaten bekannt seien. Die Ukraine sammelt solche Angaben und will sie an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die internationale Gemeinschaft und die russische Ombudsfrau Tatyana Moskalkova weiterreichen.

Auch Moskalkova klagt über Misshandlungen – in einem Fall soll ein russischer Kriegsgefangener in der Ukraine durch Elektroschocks gefoltert worden sein, so Moskalkowa auf ihrem Telegram-Kanal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare