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Proteste in Bosnien und HerzegowinaAuf die Straße gegen Wahldiskriminierung und Christian Schmidt

In Sarajevo demonstrierten am Donnerstag Abend Hunderte gegen den Hohen Repräsentanten. Der will ein EGMR-Urteil gegen Wahldiskriminierung anfechten.

Der internationale Hohe Repräsentant Bosniens Christian Schmidt während eines Interviews in Sarajevo, im Oktober 2023 Foto: Antonio Bronic

Sarajevo taz | „Christian Schmidt muss weg,“ forderten am Donnerstagabend Hunderte von Bürgern Sarajevos. Der Unmut über den Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina hat in Sarajevo einen erneuten Höhepunkt erreicht. Es demonstrierten nämlich die Vereinigung unabhängiger Intellektueller „Krug 99“, die in der Stadt einflussreich sind, weil sie die nichtnationalistische, multinationale und multireligiöse Tradition des Landes hochhalten.

Schmidt versuche alles, diese Tradition zu zerstören. Jetzt wolle er sogar Einfluss auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg nehmen, um das dort schon gefällte Urteil zugunsten der Kläger zu kippen.

Im Mittelpunkt des Protestes steht Slaven Kovačević, dessen Rechtsstreit über Wahldiskriminierung zu dem erneut wegweisenden Urteil des EGMR geführt hatte. Schon einige Kläger zuvor – wie die Repräsentanten der Juden und Roma schon vor 15 Jahren – geht es mit ihren Klagen um die Bürgerrechte und das Wahlrecht. Bisher hat es trotz dieser Urteile keine Änderungen gegeben.

Seine juristische Argumentation konzentriert sich auf die Tatsache, dass er als Einwohner der Föderation Bosnien und Herzegowina nur für bosniakische oder kroatische Präsidentschaftskandidaten stimmen konnte, eine Einschränkung, die der EGMR auch in seinem Fall als diskriminierend eingestuft hat. Das derzeitige System begünstige die herrschenden politischen Eliten und halte die ethnischen Spaltungen aufrecht, „die unser Land seit Jahrzehnten plagen“, erklärte Kovačević vor den Demonstranten.

Die Urteile in Straßburg riefen aber Proteste bei den Eliten und Extremisten der nationalistischen Parteien der Kroaten und Serben hervor. Denn die Bevölkerungsmehrheit aus Bosniaken, den nicht national definierten „Anderen“, den Minderheiten und der Zivilgesellschaft steht hinter dem Straßburger Urteil. Sie wollen, dass alle Bürger des Landes gleiche Rechte haben. Bei Wahlen in einem gleichberechtigten System wären diese Bürger in der Mehrheit.

Die Nationalisten dagegen wollen kollektive Rechte im Verfassungssystem für ihre Bevölkerungsgruppen und damit ihre eigene Macht erhalten. Sollten die kollektiven Rechte beschnitten werden, drohen sie mit der Zerstörung des Landes.

Christian Schmidt in der Kritik

Im Zentrum des Protests in Sarajevo steht Schmidts Position in diesem Fall. Denn Schmidt stellt sich nach Meinung der Demonstrierenden auf die Seite der Nationalisten, indem er sich mit Hilfe teurer Anwälte versucht, in das EGMR-Urteil einzumischen.

Damit verlässt er die Position, als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft überparteilich zu sein, und in dieser Funktion Frieden und Stabilität in Bosnien und Herzegowina zu gewährleisten. Für Kovačević stellt sich Schmidt hinter Systeme, „die auf Völkermord und gemeinsamen kriminellen Unternehmungen aufgebaut wurden.“

Auch, dass Schmidt kürzlich den Massenmörder und vom UN-Strafgerichtshof in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilten ehemaligen bosnisch-serbische General Ratko Mladić auf die gleiche Stufe mit dem ehemaligen Präsidenten Bosnien und Herzegowinas gestellt hat, führte zu Kritik.

Die Demonstranten hielten Transparente und Schilder hoch, auf denen ein Ende von Schmidts Amtszeit gefordert wurde. Diese Kritik trägt zur wachsenden Unzufriedenheit vieler Bürger bei, die das Gefühl haben, dass Schmidt die Bemühungen um den Aufbau eines diskriminierungsfreien, bürgerlichen Staates untergräbt.

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7 Kommentare

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  • Christian Schmidt ist auf diesem verantwortungsvollen Posten offenbar seit Anbeginn eine Fehlbesetzung. Von der CDSU wurde das Amt so als Austragshäusl für ihn als abgehalfterten Minister herabgewürdigt - eine Blamage für Deutschland. Und kontraproduktiv zur Zielsetzung einer ausgewogen neutralen, versöhnlichen, zukunftsstiftenden UN-Politik.

  • Christian Schmidt hält es nicht so genau mit Neutralität und Fairness. Er hat als GroKo-Landwirtschaftminister in der EU für die Glyphosatanwendung gestimmt - gegen den Willen der SPD, die das damals verhindern wollte. Fair wäre eine Enthaltung gewesen... Schmidt hält es jedoch eher mit starken Lobbyisten - und die stecken offenbar auch hinter diesem aktuellen Geschehen.

    • @Perkele:

      "So isser, der Schmidt!" (Christian Schmidt)

  • Herr Schmidt war doch vor Jahren höchst umstritten und der darf sein Ding einfach weiter machen. Entschuldigung, aber damit macht sich die EU wirklich keine Freunde, wenn sie parteiische Politiker als "Hohe Repräsentanten" irgendwo hinschickt, welche nicht ein mal höchstrichterliche Urteile anerkennen wollen. Das ist ein Repräsentant, der sich aufführt wie ein Diktator!

  • Schmidt und seine undemokratischen Machenschaften sind durchschaut

  • Schmidt befolgt nicht seinen Auftrag, den Dayton Vertrag umzusetzen und das Land zu demokratisieren und and Europa ranzuführen. Er setzt nur die diskriminierenden Wünsche seiner Parteifreunde HDZ um

  • Christian Schmidts Gesinnung ist in Deutschland nicht unbekannt.



    Geoutet hat er sich spätestens als er als CSU Politiker bei einem Veteranentreffen der Wehrmacht über den Piloten Werner Mölders, welcher im dritten Reich etliche Kriegsverbrechen begangen hat, als Helden sprach und ihn im Lokalfernsehen verteidigte.



    Ebenso hat er 2020 von der kroatischen Schwesterpartei HDZ den Ante Starcevic Orden verliehen bekommen.



    Ante Starcevic war ein nationalistischer Politiker und ideologischer Vorreiter der Ustasa Politik von Kriegsverbrechern wie Ante Pavelic.



    Jetzt versucht er in seiner Funktion als Hoher Repräsentant seine persönliche Gesinnung umzusetzen, vor allem die nationalistischen und diskriminierenden Wünsche seiner Parteifreunde der HDZ zu realisieren . Seine Aktivitäten haben nichts mit seiner eigentlichen Aufgabe, für die er vom OHR sehr gut bezahlt wird, den Dayton Vertrag umzusetzen und an einer Demokratisierung des Landes zu arbeiten, zu tun. Schmidt ist als nationalistisches Trojanisches Pferd durchschaut und es wird höchste Zeit das er gegen einen neuen demokratischen Hohen Repräsentanten getauscht wird.