: Selbst Sinwars Tod ändert nichts
Der Tod des Hamas-Anführers wäre die Gelegenheit für einen Waffenstillstand gewesen. Doch Israel kämpft weiter in Gaza und Libanon und vereitelt einen mutmaßlich iranischen Anschlag auf Netanjahu
Von Julia Neumann
Mit der Tötung des Hamas-Anführers in Gaza, Jahia Sinwar, erhöhen die USA und Deutschland öffentlich den Druck auf Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den Krieg zu beenden und einen Deal zu unterzeichnen, der seit Wochen auf dem Tisch liegt. Sie betonten, der Tod Sinwars sei eine gute Gelegenheit, den Krieg zu beenden. Ungeachtet dessen sagte Netanjahu, er wolle den Krieg weiterführen. Auch die Hamas und Hisbollah sagen, sie wollten weiterkämpfen. Die Hoffnung, dass Sinwars Tod zu dem dringenden Waffenstillstand führen könnte, wird damit gedämpft.
Eine Drohne aus dem Libanon kam der Residenz Netanjahus am Samstag gefährlich nah. Ein Sprecher sagte, die Drohne sei abgeschossen worden, Netanjahu nicht zu Hause gewesen. Netanjahu nannte den Angriff ein versuchtes Attentat durch Irans Proxy-Miliz Hisbollah.
Nach Angaben der israelischen Armee feuerte diese am Sonntag mindestens 110 Geschosse auf Israel ab. Die meisten wurden abgefangen, mindestens neun Menschen durch Splitter verletzt.
Derweil führt das israelische Militär die seit zwei Wochen andauernde Belagerung im Norden Gazas fort. Mindestens 87 Menschen wurden durch Bombardierungen auf Gebäude in Beit Lahiya in der Nacht auf Sonntag getötet, mehr als 40 verletzt. Das erklärte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen. Die Suche nach Vermissten unter den Trümmern ging laut Augenzeugen am Sonntag weiter, weil die Bombardierungen andauerten. Nordgaza ist seit Ende 2023 von israelischen Truppen eingekesselt. 90 Prozent der Bevölkerung in Gaza ist binnenvertrieben, oft mehrfach, berichtet das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten OCHA.
Die israelische Militärbelagerung versperrt den Zugang zu Essen, Wasser und Medikamenten. OCHA berichtet, dass keine humanitäre Hilfe in den Norden kommt. Seit Oktober letzten Jahres gibt es keinen Strom, ohne den fallen Sanitäranlagen und medizinische Einrichtungen aus.
Personal von Ärzte ohne Grenzen vor Ort berichtete am Sonntag, die israelischen Soldaten belagerten drei Krankenhäuser im Norden und griffen sie an. 350 Patienten seien eingeschlossen, darunter schwangere Frauen.
In Libanon führt das israelische Militär die Bodeninvasion und Luftangriffe fort, darunter auf Wohnhäuser in Südbeirut. Am Samstag tötete ein israelischer Luftangriff zwei Menschen in ihrem Auto, die in der Nähe der mehrheitlich christlichen Stadt Jounieh auf der Autobahn unterwegs waren. Im Beeka-Tal tötete ein israelischer Anschlag mindestens vier Menschen, darunter einen Bürgermeister. Die Zahlen meldete das libanesische Gesundheitsministerium. In Libanon sind seit Oktober 2023 mehr als 2.400 Menschen durch israelische Angriffe gestorben.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte am Samstag erklärt, Israel solle die Angriffe in und um Beirut reduzieren. Die Zahl der zivilen Toten sei viel zu hoch. Israel treffe eigene Entscheidungen, sagte wiederum Netanjahu in einem Telefonat mit Ex-US-Präsident Donald Trump am Samstag.
Die UN forderten derweil von Israel am Sonntag erneut die Öffnung weiterer Grenzübergänge für humanitäre Hilfe. „Kein Ort in Gaza ist sicher“, mahnte der UN-Friedenskoordinator für den Nahen Osten, Tor Wennesland, am Sonntag. „Dieser Krieg muss beendet werden. Die von der Hamas festgehaltenen Geiseln müssen freigelassen werden, die Vertreibung der Palästinenser muss aufhören und die Zivilisten müssen geschützt werden, wo immer sie sich befinden.“
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