piwik no script img

Wahl in TunesienAutoritärer Präsident räumt ab

Mirco Keilberth
Kommentar von Mirco Keilberth

Tunesiens Präsident Kais Saied ist mit 89 Prozent wiedergewählt. Er geht massiv gegen die Zivilgesellschaft vor. Das sollte Europa eine Warnung sein.

In Tunis demonstrieren Menschen gegen den Präsideten Kais Saied, hier vor der Wahl. Die Proteste halten auch nach der Wahl an Foto: Anis Mili/AP/dpa

O bwohl die Auszählung der Präsidentschaftswahlen gerade erst begonnen hatte, feierten die An­hän­ge­r:in­nen von Kais Saied am Sonntagabend schon mit Autokorsos dessen Sieg. Das private Meinungsforschungsinstitut Sigma sagte dem Präsidenten einen Erdrutschsieg mit 89 Prozent der Stimmen voraus. Mehr als 2019, als der Politikquereinsteiger mit einer Kampagne gegen politische Parteien und die korrupte Elite einen Überraschungssieg holte.

Die Lebensumstände der Tu­ne­sie­r:in­nen haben sich seitdem weiter verschlechtert. Statt die seit der Revolution grassierende Vetternwirtschaft zu bekämpfen, krempelte er die Verfassung und das Parlament auf eigene Faust in ein basisdemokratisches Modell um, mit allumfassender Macht des Präsidenten. Für die wirtschaftliche Misere machte er die politischen Parteien, die aus Westafrika und dem Sudan kommenden Migranten und dunkle Mächte verantwortlich.

Nun geht es der Zivilgesellschaft an den Kragen. In der Woche vor den Wahlen erhielten Bürgerrechtsinitiativen Besuch von Beamt:innen, wegen Zahlungen von Part­ne­r:in­nen aus dem Ausland. „Ihr werdet von denen in Zukunft nichts mehr hören“, versprach Saied am Sonntag inmitten der Menge auf der Flaniermeile Avenue du Bourguiba in Tunis. Damit waren diejenigen gemeint, die mit ihrem Engagement für Meinungsfreiheit und Kompromissbereitschaft mit dem politischen Gegner 2015 den Friedensnobelpreis erhielten und Tunesien zum Vorbild in der arabischen Welt und dem Globalen Süden gemacht hatten. Mittlerweile reicht ein kritischer Kommentar in sozialen Medien, um im Gefängnis zu landen.

Brüssel und Berlin hatten die Bür­ger­recht­le­r:in­nen zehn Jahre lang wohlwollend unterstützt, lassen sie nun aber im Stich. Unter anderem, weil Europa die Haltung Tunesiens zum Krieg in Gaza missfällt und Saied die Überfahrt von Mi­gran­t:in­nen gestoppt hat. Das undurchsichtige Migrationsabkommen der EU-Kommission mit Tunesien und die enge Partnerschaft von Italiens Premierministerin Giorgia Meloni mit Saied sind ein weiterer Verrat Europas an den eigenen Werten. Und politisch kurzsichtig.

Wahl­be­ob­ach­te­r:in­nen waren ausschließlich aus Venezuela, Russland und der Afrikanischen Union zugelassen. Saieds neue Partnerschaft mit China und der Brics-Allianz ist ein weiteres Anzeichen, dass die EU bereits massiv an Einfluss verliert. Auch weil sie Tunesien und den anderen Ländern Nordafrikas in der Vergangenheit keine ernsthafte wirtschaftliche Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe angeboten hat. Nur so hätte das Monopol der alten Machteliten gebrochen werden können.

Die Wiederwahl von Kais Saied sollte ein Weckruf für Berlin und Brüssel sein, endlich eine Nordafrika-Strategie einzuschlagen, die nicht auf Eigennutz, sondern auf Augenhöhe basiert. Die Verteidigung der um ihre Freiheit fürchtende Zivilgesellschaft wäre ein erster Anfang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Augenscheinlich will eine deutliche Mehrheit der Tunesier keine Zivilgesellschaft. Wer sind wir, dass wir ihnen unser politisches und gesellschaftliches Ideal aufdrücken könnten? Ist das nicht genau die kolonialistische Denke, von der man sich heute verabschieden möchte? Oder soll doch wieder an unserem Wesen die Welt genesen.

  • "Mittlerweile reicht ein kritischer Kommentar in sozialen Medien, um im Gefängnis zu landen."



    "In Tunis demonstrieren Menschen gegen den Präsidenten Kais Saied, hier vor der Wahl. Die Proteste halten auch nach der Wahl an "

    Werden die Demonstrierenden auch "im Gefängnis landen"? Man muss zuerst den Abschnitt "Uhren scheinen rückwärts zu laufen" im Link "es der Zivilgesellschaft an den Kragen." lesen, um es halbwegs zu verstehen.

  • Die Warnung kommt - so fürchte ich - zu spät. Offenbar wanzt sich Mensch, sobald Krisen auftreten, an faschistische, rechtsextreme, autokatische Rattenfänger heran, in der falschen Hoffnung auf bequeme Lösungen. Aus der Geschichte zu lernen scheint out zu sein. Mit Hurra in die nächste Katastrophe.

  • Steht doch auch im Artikel, dass der Herr für "Europa" in der Flüchtlingsabwehr von Nutzen ist. Dies und die Tatsache, dass er gegenwärtig recht fest im Sattel sitzt, genügt (leider) als Erklärung, warum der reiche(re) Norden da kaum Veränderungsbedarf sieht. Mit dem Dauerherrscher in Libyen hatte man sich ja zwischendurch auch wieder arrangiert, bis 2011...

    • @Earl Offa:

      Gerade Libyen ist das perfekte Beispiel, warum man von Regimechangegeschichten in Europa die Finger lassen sollte.

      Die Regierung Tunesiens ist vor allem Sache der Tunesier.

      Es sind nicht wenig Gelder für den Demokratieaufbau dorthin geflossen.

  • Schwacher Artikel.

    Wenn man das liest - ohne jede Einordnung des Ergebnisses - könnte man meinen, die Tunesier wollten das mit überbordender Mehrheit so.

    Nur gab es schlicht keinen ernsthaften Oppositionskandidaten mehr, den man hätte wählen können (im besten Fall nicht zugelassen - wenn auch nur ansatzweise "gefährlich": im Knast).

    Die einzige Möglichkeit einer "Gegenstimme" war, zu Hause zu bleiben. Und das ist auch das, was mehr als die Hälfte derer, die bei der letzten Präsidentschaftswahl noch abgestimmt haben, gemacht haben. Die Wahlbeteiligung lag gerade mal bei 27 komme irgendwas.

  • Auf Augenhöhe wäre im Eigeninteresse. Das gilt für alle Seiten. Wer glaubt, mit faulen Kompromissen oder alten Vorwürfen die Zukunft erfolgreich gestalten zu können, wird letztendlich scheitern.

  • Den letzten Absatz habe ich nicht verstanden.

    Eine Nordafrikastrategie, die nicht auf Eigennutz, sondern auf Augenhöhe basiert.



    ???

    Sind altruistische Beziehungen zwischen nicht paternalistisch und deshalb gerade nicht auf Augenhöhe?

    Wären die deutsch-französischen Beziehungen auf Augenhöhe, wenn die Bundesregierung gegenüber Macron die französische Zivilgesellschaft verteidigen würde?

    Für mich klingt dieser letzte Absatz eigentlich mehr nach einer Forderung nach mehr altruistischem Paternalismus.

    Also eher das Gegenteil von Augenhöhe.