Westbalkan-Gipfel in Berlin: Regionaler Freihandel statt EU-Beitritt
Die Bilanz von einer Dekade Westbalkan-Gipfel fällt bescheiden aus. Nun soll der EU-Beitritt beschleunigt und der regionale Handel stärker werden.
„Die Erweiterung steht ganz oben auf der Tagesordnung“, sagte Olaf Scholz am Montag auf dem Westbalkan-Gipfel in Berlin. Der Bundeskanzler war in diesem Jahr Gastgeber des Formats, das die wirtschaftliche Integration der Westbalkanstaaten in die Europäische Union vorantreiben soll. Zur Region gehören Serbien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, dass Kosovo, Albanien und Nordmazedonien.
Noch laufe die EU-Integration zu schleppend, sagte Scholz zum Abschluss der Konferenz vor der Presse. „Ich hoffe, dass es nicht nochmal zehn Jahre braucht, bis alle Westbalkanstaaten EU-Mitglieder geworden sind.“ Bis es so weit ist, erklärte Scholz, sollen vor allem der Freihandel und die regionale Wirtschaft der Länder gestärkt werden.
Der sogenannte Berliner Prozess begann 2014. Seitdem findet die Westbalkan-Konferenz einmal im Jahr statt.
„Ich denke, der Berliner Prozess hat den Beitritt leider nicht beschleunigt“, sagte Ulf Brunnbauer in einem Interview mit der taz. Er forscht an der Universität Regensburg zur Geschichte Süd- und Osteuropas. Für die meisten Länder in der Region seien die Konferenzen nur noch eine „Pflichtübung“, um etwas internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
In der Tat stehen die EU-Beitrittsprozesse im Westbalkan noch am Anfang. Montenegro und Serbien verhandeln mit der EU. Die anderen vier Staaten haben lediglich den Antrag auf einen EU-Beitritt gestellt. Der ewige Beitrittsprozess sorge für Stillstand in den Balkanländern, sagte Brunnbauer der taz. Er diene politischen Führern vor Ort als Ausrede dafür, notwendige Reformen anzugehen. Daher sei die Zustimmung zu einem EU-Beitritt zuweilen in den Ländern nicht mehr enthusiastisch. „Manche haben die Hoffnung aufgegeben.“
Brunnbauer kritisiert, die EU lege Doppelstandards an. Während im EU-Land Ungarn keine funktionierende Demokratie mehr herrsche, fordere man vom Westbalkan politische Reformen hin zu mehr Demokratie. „Warum gibt es für den Westbalkan so eine hohe Erwartungshaltung, wenn selbst EU-Mitglieder Demokratieabbau betreiben?“
Ob ein Land der EU beitreten kann, bestimmen die Kopenhagener Kriterien. Die wichtigsten Voraussetzungen sind demokratische Ordnung, intakte Marktwirtschaft und Akzeptanz des EU-Rechts. Die Länder des Westbalkans entsprechen den Kriterien derzeit noch nicht. „Aber das haben Bulgarien und Rumänien 2007 auch nicht“, meint Brunnbauer. Statt eine Aufnahme in die EU weiter zu verschieben, brauche es Fantasie für neue Beitrittsmodelle.
Eines davon propagiert Olaf Scholz: Er spricht sich für eine gesammelte Aufnahme der Länder aus, um gegenseitige Blockaden zu vermeiden. Ein anderer Weg ist, den Prozess gradueller zu gestalten. Vor einer Vollmitgliedschaft könnte man den Ländern den Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen. Brunnbauer befürwortet diese Idee, aber merkt an, dass die Ökonomien vor Ort „eher klein und unattraktiv“ sind. „Die wenigsten Branchen sind konkurrenzfähig genug, um innerhalb der EU oder des Weltmarkts zu bestehen.“ Zusätzlich seien die Marktwirtschaften durch staatlichen Einfluss korrumpiert.
Angesichts dieser schwierigen Lage soll das Cefta-Freihandelsabkommen helfen. Das Central European Free Trade Agreement umfasst seit 2007 nur noch die Westbalkanländer sowie Moldawien. Der Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen sind zentral für mehr Wirtschaftswachstum. Allerdings blockierte ein Streit zwischen Kosovo und Serbien jüngst weiteren Fortschritt. Das Kosovo hatte den Import von serbischen Waren an der Grenze blockiert. Scholz intervenierte, und das Kosovo hat die Blockade mittlerweile aufgehoben. Dafür wird das Land im Rahmen von Cefta als eigenständiger Staat anerkannt.
Was von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei dem Außenministertreffen des Gipfels als „historischer Schritt“ für die Region gefeiert wird, sieht Brunnbauer kritisch. „Es gibt kaum etwas, womit die Westbalkanstaaten untereinander handeln können, weil sie so wenig produzieren.“ Für das, was sie exportieren können, gebe es kaum Märkte in den anderen Cefta-Ländern. Zudem führten die Extraktionsindustrien zur Stärkung korrupter Systeme.
An einer Extraktion eines bestimmten Rohstoffs ist der Gastgeber Deutschland besonders interessiert. Serbiens Lithium führte zu einer strategischen Partnerschaft der beiden Länder. Brunnbauer meint: „Olaf Scholz verlagert die negativen Folgen der Klimatransformation in semiautokratische Länder. Das erinnert an deutsche Öl-Deals mit Ländern wie Saudi-Arabien.“
Statt des Lithium-Deals betont Scholz auf der Abschlusskonferenz am Montag bürgernahe Vorzeigeprojekte. Etwa die Abschaffung von Roaminggebühren oder die Anerkennung von Berufs- und bald auch Universitätsabschlüssen.
Ob der Berliner Prozess in seiner nächsten Dekade nun wirklich zu mehr europäischer Zusammenarbeit mit dem Westbalkan führt, bleibt abzuwarten.
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