piwik no script img

Wirtschaftsstandort Deutschland„Nicht zukunftsfähig“

Öko­no­m:in­nen sehen den Standort Deutschland in Gefahr. Sie fordern mehr strategische Planung vom Staat und eine Reform der Schuldenbremse.

VW und andere Konzerne sind in der Krise – Dämmerung für den Standort Deutschland? Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Berlin taz | Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­r:in­nen sehen den Standort Deutschland grundlegend gefährdet und fordern die Bundesregierung auf, staatlich gegenzusteuern. „Das Grundproblem ist: Das deutsche Geschäftsmodell basierend auf Export, Industrieorientierung und Automobilindustrie ist nicht zukunftsfähig“, so der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger zur taz.

In einem Papier für das Wirtschaftsforum der SPD, das der taz vorliegt, fordern er und andere Öko­no­m:in­nen den Staat auf, Zukunftsbranchen zu definieren, die künftig gezielt gestärkt werden sollen. In Deutschland gelte immer noch das Dogma, dass sich der Staat aus industriepolitischen Zielplanungen heraushalten solle, heißt es in dem Papier: „Wenn wir hier nicht sehr bald einen Paradigmenwechsel vornehmen, droht Deutschland ein disruptiver Prozess mit gravierenden Folgen für den Wohlstand.“

Sie berufen sich dabei auch auf einen Vorschlag, den der ehemalige Zentralbankchef Mario Draghi kürzlich in einem Bericht für die EU-Kommission unterbreitet hatte.

So könnte etwa der Bereich Künstliche Intelligenz gezielt gefördert werden, meint der Ökonom und Mitverfasser des Papiers für die SPD, Jens Südekum, zur taz. Er schlägt vor, die für die Intel-Ansiedlung vorgesehenen 10 Milliarden Euro zu Förderung von Startups im Bereich KI einzusetzen.

Ausbau von Ladesäulen statt Abwrackprämie

Von einer Abwrackprämie zur Förderung der kriselnden Autoindustrie, wie sie Teile der SPD-Fraktion vorschlagen, hält Südekum dagegen nichts. „Damit würde man aktuell nur Tesla und chinesische Autos subventionieren.“ Statt einer Abwrackprämie bräuchte es stattdessen das Ende der Debatte um eine Verschiebung des Verbrennerverbots und einen konsequenten Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos.

Einen ermäßigten Industriestrompreis und eine Entlastung der Ver­brau­che­r:in­nen von den Netzentgelten, wie sie ebenfalls in der SPD kursieren, halten Südekum und auch Matthias Machnig vom Wirtschaftsforum der SPD für notwendig. Der Ausbau der Netze wird gegenwärtig allein von den Ver­brau­che­r:in­nen bezahlt. Sie davon zu entlasten, das ließe sich auch innerhalb der geltenden Schuldenbremse bewerkstelligen.

Generell fordern die Au­to­r:in­nen eine Reform der grundgesetzlichen Schuldenbremse, um notwendige öffentliche Investitionen von rund 600 Milliarden Euro zu ermöglichen. Die im Bundeshaushalt vorgesehenen Investitionen von 81 Milliarden Euro entsprächen „nicht mal im Ansatz dem, was nötig wäre“, so Südekum.

„Rettungsring der FDP“

Die Fachwelt sei sich in einem noch nie dagewesenen Maße einig, dass die Schuldenbremse reformbedürftig sei, meint auch der ehemalige Wirtschaftsweise Bofinger. „Die Schuldenbremsen ist nur noch der Rettungsring der FDP.“

Die Freien Demokraten um ihren Vorsitzenden Christian Lindner haben mehrfach betont, dass sie die Schuldenbremse unverändert beibehalten wollen.

Lena Dräger, Professorin für Internationale Finanzwirtschaft an der Uni Hannover, warnt jedoch vor „blindem Aktionismus“ und plädiert für eine gründliche strategische Analyse. Diese könne auch die jetzige Bundesregierung noch vornehmen. Und sie würde auch nichts kosten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Statt immer mehr Schulden aufzunehmen und damit Milliarden Steuergelder in die Verteilungshände von Beamten und Politikern zu legen, die damit ohne Fachkenntnis Blumenstraußprojekte finanzieren, muss man es schaffen, die Energie und Grundkosten der Industrie zu senken. Dafür wäre es hilfreich, das heimische Gas aus dem Boden zu holen statt es teuer bei oftmals zwielichtigen Anbietern weltweit einzukaufen. Auch die Steuerbelastung muss gesenkt werden; die ständigen Forderungen nach immer neuen Steuern für Unternehmern oder ein erneuter Eingriff in den Mindestlohn (wie es die SPD für den Wahlkampf plant) werden nicht hilfreich sein. Lieber sollte man höhere Zölle auf chinesische Produkte erheben, diese sind es nämlich, die den Druck auf niedrigere Löhne hierzulande demnächst ansonsten ausüben werden.

    • @Tom Berger:

      Na gut, dass wir solche hochgradige Expertenmeinung hier lesen können. Alle Wirtschaftskenner -im In- und Ausland- haben ja gar keine Ahnung. Auch die Politiker*innen sind naiv, wagen sie es doch tatsächlich an die Menschen zu denken (Mindestlohn) - Na gut, nicht alle Politiker, manche eben nicht (CDSUAFDP)

  • Wer hat den vorherigen Regierungen eigentlich zu all den Dingen geraten, die uns nun auf die Füße fallen?



    Waren das nicht so ziemlich die gleichen Leute?

    • @Woodbine:

      Das waren SPD und CDSU sowie FDP. Die GRÜNEN waren's diesmal nicht...

      • @Perkele:

        Ich meinte jene so genannten "Wirtschaftsweisen", Institute und Beraterfirmen.

  • Ich warne vor blinden Aktionismus und vor allem vor noch mehr Staat in der Wirtschaft:



    BER, Elbphilharmonie, Kölner Oper und, und... lassen grüßen !



    Der Staat ist und war stets ein grottenschlechter Unternehmer !

    • @Barthelmes Peter:

      Nicht zu vergessen: Stuttgart 21. Am Ende wird die Tiefhaltestelle (wegen der Gleisneigung wäre das Ding eisenbahnrechtlich gar nicht als Bahnhof genehmigungsfähig) mal 21 Mrd € kosten.

      Katastrophal wird es, wenn der Staat sich weder so richtig als Garant des öffentlichen Interesses noch als richtiger Unternehmer aufführt.

      Public Private Partnerships, bei denen ein Unternehmen für den Staat tätig wird, sich dafür auch noch gut bezahlen lässt und am Ende billiger sein *soll*, erfüllen m.E. den Straftatbestand der Untreue, ausgerechnet initiiert vom Staat.

      • @Carsten S.:

        Zur Erinnerung: Ein Herr namens Robert Habeck hatte 2019, da war er noch nicht Bundesminister, gesagt:

        "Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie - so fürchte ich - im Markt scheitern."

        und

        „Dann bieten Sie nur noch Premiumwagen an und müssten sich in PW umbenennen“

        (im Doppel-Interview der "Welt" zum damaligen VW-Chef Herbert Diess)

        VW hatte im Herbst vorigen Jahres reagiert und das Dreiergespann um den e-up! aus dem Programm genommen.

      • @Carsten S.:

        Zu Stuttgart21: Hatte da nicht mal einer gesagt, bei sechs Milliarden sei Schluß? Damals Aufruhr, heute ist selbst das Dreieinhalbfache "keine Nachricht" mehr.

  • In dieser Gemengelage erstaunt es um so mehr, dass der Bundeskanzler weiterhin schweigt. Außer der FDP und ein paar Unionsleuten hält alle Welt die Schuldenbremse für pures Gift in solchen Situationen. Die CDSU weiß genau. dass sie die zumindest drastisch ändern muss, sollte sie Regierungsverantwortung übernehmen. Es ist deutlicher gar nicht mehr sichtbar zu machen, dass die Kirmes-Partei FDP ausschließlich !!! eigene Wahlinteressen im Blick hat und mitnichten das Gemeinwohl. Man kann nur hoffen, dass die 0,8% FDP in Brandenburg bald auch im Bund erreicht werden....

  • Genau so ist es. Und DAS Wort ist Planung. Automobielindustrie subventionieren die im Grossen Teil auch wenn E-Auto ein Auslaufmodell ist ? Stromnetze massiv ausbauen ohne die Möglichkeit der lokalen Energiespeicherung mit einzubeziehen ? Wärmepumpen verordnen obwohl diese technologisch ansich noch in den Kinderschuhen stecken und ohne den Energiebedarf dieser in einer ein Versorgungs und Netzkonzept aufgenommen zu haben ? So wird das natürlich alles nichts, leider.

    • @M.D:

      Inwiefern stecken Wärmepumpen noch in den "Kinderschuhen"? Das erklären Sie mir bitte.

  • "Statt einer Abwrackprämie bräuchte es stattdessen das Ende der Debatte um eine Verschiebung des Verbrennerverbots und einen konsequenten Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos"



    Da ein ganz wichtiger Punkt: BATTERIEN!



    Es braucht endlich konkurrenzfähige Batterien in DE. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist fraglos elementar und da hinken wir, als auch die EU im Ganzen massiv hinterher, was aber noch viel gravierender ist, ist der Mangel an Reichweite aller EU-Modelle.



    Letzte Woche erst den id7.tourer von VW probegefahren. Laut VW Werbung stoße diese Generation nun in die Reichweite von Verbrennern vor, 685 Kilometer angeblich.



    Dass das hinten und vorne nicht stimmt ist man gewöhnt. Hab mich dennoch hinreißen lassen und bin Probe gefahren. Auf der Autobahn mit gemütlichen 130 war nach 360 Kilometern komplett Schluss.



    Ein Witz. Bestes Wetter, weder heiß noch kalt - das kanns nicht sein.



    60.000 Euro und dann sowas. Vor einigen Monaten hatte ich Gelegenheit in China den Denza-d9 zu fahren, keine 40.000 Euro, deutlich höhere Ausstattung, statt 77 oder 86kw hat dessen Batterie über 100, der lief knapp 530 Kilometer, so geht's.



    Das ist Preis-Leistung mit der man Akzeptanz erlangen kann.

    • @Farang:

      In dem Moment wo ein Manager, Ingenieur, Arbeiter weiss Scheitern kann schmerzlich sein, werden die Autos plötzlich wieder wettbewerbsfähig.