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Gedruckte ZeitungenTod eines Kulturguts

Kolumne
von Georg Seeßlen

Printzeitungen sterben, und der Demokratie geht es auch nicht besonders gut. Möglicherweise hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun.

Telefonierer, Zeitungsleser, Postbote: Um Nostalgie geht’s beim Tod der Zeitungen nicht Foto: teutopress/imago

Z eitungen sind unabdingbar für alle Arten von Regierungen in der Neuzeit. Es sind zunächst Anweisungen der Obrigkeit an die Untertanen. Und Zeitungen wurden immer mehr auch zu Echokammern. Der Fürst erfährt hier, was das Volk denkt (jedenfalls solange er die Zeitung nicht verbieten lässt), und das Volk erfährt hier, was der Fürst denkt (oder jedenfalls was es von den Gedanken des Fürsten halten soll). Zeitungen wurden zum Instrument der Unterdrückung und zum Instrument des Widerstandes. Und nicht zuletzt wurden Zeitungen zu semiotischen Maschinen. Sie berichten und kommentieren nicht nur, sie erschaffen auch die dafür notwendige Sprache. Wir verlangen nach Zeitungen, die sprechen wie wir, und wir sprechen wie unsere Zeitungen.

Aber Zeitungen sind nicht nur ein Kommunikationsmittel zwischen Regierung und Gesellschaft, das Mittel, mit dem man sich gnädig belügt und mit dem schmerzhafte Wahrheiten verbreitet werden. Sie wurden auch zu einer bedeutenden Kulturtechnik. Während man zeitungsförmig miteinander kommuniziert, lernt man auch, mit Zeitungen umzugehen. Kritisch und alltäglich. Denn im Gegensatz zum Blick auf das Smartphone ist das öffentliche Zeitunglesen quasi melodramatisch.

Es besetzt einen Teil im öffentlichen Raum, und wie einer faltet und die andere hinlegt, wie man von hinten nach vorn oder in der Mitte beginnt, wie man in die Zeitung des Nachbarn schielt oder wie man zur Zweitleserin wird, all das sind – oder waren – Rituale des Alltagslebens, Charakterstudien, Schauspiele. Von den Spionen ganz zu schweigen, hinter einem Mobiltelefon kann man keinen Schlapphut verbergen.

Und dann die Kioske und die Läden, in denen man Zeitungen gekauft hat. Stapelweise oder aufgehängt; es waren die Kioske, die einst Straßenblocks strukturierten und an denen herumgestanden wurde. Abends in den Kneipen konnten sich Leute mit dem Verkauf der gerade frisch gedruckten Zeitungen etwas Geld verdienen. Schon die Automaten, an denen die Menschen sich mit gedruckten Nachrichten für die U-Bahn-Fahrt versorgten, waren da ein Einschnitt in der urbanen Geschichte der Zeitung und des Zeitunglesens.

Machen wir uns nichts vor. Mit dem Verschwinden der gedruckten Zeitung wandern nicht einfach nur die Nachrichten von einem Medium ins andere, sie verändern ihr Wesen, und das meint nicht nur die wachsenden Schwierigkeiten, diese gottverdammten Werbungen zwischen den Absätzen wegzuklicken. Es verschwindet auch eine Art, mit Nachrichten öffentlich umzugehen, und es verschwindet eine Art, wie Nachrichten im öffentlichen Raum unterwegs sind. Die Nachrichten sind jetzt noch mehr Privatsache geworden, und noch weniger gehören sie zu einer mehr oder weniger fixen Position im endlosen Dialog zwischen der Regierung und den Regierten.

Eine Zeitung übte auf haptische Weise Macht aus

Es gab Zeitungen, die ließen ihre Leserinnen und Leser spüren, was das bedeutet, dass wir, die Leute, der eigentliche Souverän sind in einem demokratischen Staat. Eine Zeitung schien etwas, das auf eine haptische, materielle und so oder so moralische Weise die Macht ausdrückte. Und den Kampf um sie.

Als Element von Kritik und Kontrolle waren Zeitungen ein wichtiger Bestandteil der Gewaltenteilung in der Demokratie. Allerdings funktio­nierte das nie so, wie man es sich als aufklärerisches Ideal vorstellen konnte. Denn im mehr oder weniger goldenen Westen musste die Presse im Allgemeinen, die Zeitung im Besonderen immer auch einen weiteren Widerspruch ausdrücken, nämlich den zwischen Demokratie und Kapitalismus. Die Nachricht war immer zugleich Botschaft und Ware. Und eine Zeitung war immer auch eine soziale Waffe. Man konnte Kriege und Bürgerkriege damit anzetteln, Stimmungen mehr in die fortschrittliche oder in die konservative Richtung lenken oder einfach bösartigen Blödsinn verbreiten.

Es kommt auf den Markt an, und mehr noch kommt es auf die Macht an, die sich ein paar Leute auf ihm erobert haben. Vor der Pressekonzentration wurde einst gewarnt; heute kann man sich allenfalls fragen, ob es eine besonders gute Idee für die Demokratie ist, die Information der Bevölkerung ein paar Superreichen und Konzernen zu überlassen, die an Profiten so viel Interesse haben wie an Propaganda für Verhältnisse, die sie reich und mächtig gemacht haben.

Notgedrungen drückten Zeitungen schließlich neben dem Widerspruch zwischen Regierung und Regierten und dem zwischen Demokratie und Kapitalismus auch den Widerspruch zwischen demokratischer und populistischer Teilhabe aus. Lange bevor es den rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen und Parteien gelang, in die Vorhöfe der Macht vorzudringen, hatten die Zeitungen – oder ein Typus von Zeitung immerhin, so zwischen Bild und The Sun – verstanden, ein Drama der Konkurrenz zwischen den liberalen „Eliten“ und der „Stimme des Volkes“ zu entwickeln. Und auch da hatten Zeitungen als Schöpfer von Sprache und Begriffen gewirkt. Die Sprache der AfD, nur als Beispiel, ist ohne die Sprache der Bild-Zeitung nicht vorstellbar.

Akzelerierter Strukturwandel

Um Nostalgie geht’s beim Tod der Zeitungen also eher weniger. Was das anbelangt, werden wir uns alte Filme mit warmem Behagen anschauen, in denen Leute sich Zeitungen am Kiosk kaufen oder hastig durch eine Zeitung blättern, auf der Suche nach der alles entscheidenden Nachricht. Oder der hyperbedeutsamen Kritik, so wie wir heute alte Filme lieben, in denen Kriminalkommissare im Straßeneinsatz zum Telefonieren in eine Bar gehen mussten.

Es geht um die Erkenntnis, dass wir es womöglich nicht bloß mit einem Medienwechsel (wie von einer VHS-Kassette zum Streaming) zu tun haben (was kulturell auch nicht unerheblich ist), sondern um einen akzelerierten Strukturwandel der Nachricht in Demokratie und Kapitalismus. Die Zeitungen sterben, der Demokratie geht es auch nicht besonders. Vielleicht hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun.

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17 Kommentare

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  • Soziale Netzwerke wie Facebook, X usw. und Medien-Plattformen wie YouTube, TikTok und Co sind die heutige "Zeitung", ebenso wie die Portale der Medienhäuser (wie z. B. dieses hier, auf dem ich gerade die Kommentarfunktion nutze.

    Just in diesen Tagen läuft bei mir ein Probeabo einer gedruckten überregionalen Tageszeitung mit Lokalteil für meine Stadt. Das ich vor ca. 20 Jahren gekündigt habe. Aus ganz anderen Gründen, aber ich habe seit den frühen 90ern Zugang zum Internet und habe daher die Verwandlung der Publikation von Nachrichten aus Papier in die Onlinewelt live miterlebt. Und die Veränderung des Tempos.Ich bin mit der täglichen Lektüre von (mehreren) Tageszeitungen groß geworden, mein seliger Deutschlehrer hat uns anhand von längeren, jeweils aktuellen Zeitungsartikeln das Querlesen beigebracht und das Studium der Zeitung in der Mittagspause hat lange ins Berufsleben fortgedauert.

    Was soll ich sagen... Der Konsum einer gedruckten Tageszeitung heute ist ein Anachronismus in sich. Das ist wie früher, das 20. Jahrhundert schaut noch mal vorbei. Und ganz ehrlich... Es ist befremdlich, ein Stück Papier in den Händen zu halten, auf dem die Nachrichten von gestern gedruckt sind.

  • Zeitungen waren auch mal neu und unerhört...

    Nichts bleibt wie es ist Außer die, die sich nicht mehr ändern können. Ist natürlich nicht einfach, dabei ist gerade die taz Internetpionier. Auch wenn man das heute nicht mehr merkt...

  • Schon die frühen Zeitungen waren vor allem Sammlungen von Kurznachrichten und haben vorwiegend auf die Anziehungskraft von Sensationsmeldungen gesetzt. Zeitungen waren nur in Ausnahmefällen Hort für ausführliche Darstellungen (Dossiers) und Meinungsvielfalt fand vor allem in der Differenz zwischen den Blättern statt. Das moderne Verlagswesen hat zu einer massiven Ausdünnung, im Seitenumfang ebenso wie in der Meinungsvielfalt, geführt. Die neuen Medien haben der Printzeitung den Rang abgelaufen, u.a. weil sie ganz andere Möglichkeiten der sinnlichen Anregung und Erregung haben. Ihre Produktion und Distribution ist immer billiger und immer schneller geworden.

    Die zivilen demokratischen Debatten fanden nicht in den Zeitungen statt, sie wurden nach Lektüre im Kaffeehaus, am Arbeitsplatz, auf dem Campus usw. geführt. Online-Foren sind kein Ersatz dafür und nur wenige Menschen lassen sich noch auf längere Debatten ein. Man hat weder Zeit noch Lust dafür, kennt den Link zur richtigen Meinung oder lässt gleich die KI die eigne Meinung bestätigen.

  • Gedruckte Zeitungen haben ihr Monopol früherer Zeiten verloren. Das Bessere ist der „Tod“ des Guten.

  • Wenn die Zunft über sich selber schreibt, dann kommt am Ende so etwas dabei heraus. Zum einen denkt die Zeitungsbranche, sie wäre die einzig wahre Quelle, zum anderen wird auch immer (leise) der Abgesang der Demokratie befürchtet. Weder das eine noch das andere stimmt.

    Wahrheitsgemäße Informationen zu liefern, hat nichts mit dem Medium zu tun.



    Liberal oder gar demokratisch zu berichten, hat nichts mit dem Medium zu tun.

    Die Zeitung war das Medium des 20. Jahrhunderts, weil es (günstig) die Massen erreicht hat. Vor der Zeitung war es der Ausschreier (Bote), der durch die Gassen wanderte und die Nachrichten verkündete. Jede Epoche hat ihr Medium.



    Heute ist es das Internet in seiner manigfaltigen Form. Ob (a)Soziale Netzwerke, Rechercheportale oder die tägliche "Zeitung".

    Der größte Unterschied zu früher besteht darin, dass die Information näher und direkter zum Empfänger kommt. Das ist Segen und Fluch zugleich, aber auch ein gesellschaftlicher Prozess.

  • Bei dem inhaltlich flachen Niveau, auf dem sich deutsche Zeitungen mittlerweile bewegen, ist es nun wirklich egal, ob sie gedruckt oder auf dem Dummphone gelesen werden. Nicht eine der Zeitungen erreicht den analytischen Level der großen anglo-amerikanischen Blätter.



    Bemängeln kann man allerdings den Verlust and Lesekompetenz, weil niemand mehr eine Zeitung oder ein Magazin von hinten bis vorne durchliest, alles nur noch in Häppchen serviert wird und die Artikel immer kürzer werden.

    • @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Welche angloamerikanischen Blaetter meinen Sie denn? Den Daily Telegraph? Die Times?

    • @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Vielleicht nochmal den Artikel in Ruhe lesen:



      "Machen wir uns nichts vor. Mit dem Verschwinden der gedruckten Zeitung wandern nicht einfach nur die Nachrichten von einem Medium ins andere, sie verändern ihr Wesen... Es verschwindet auch eine Art, mit Nachrichten öffentlich umzugehen, und es verschwindet eine Art, wie Nachrichten im öffentlichen Raum unterwegs sind. Die Nachrichten sind jetzt noch mehr Privatsache geworden, und noch weniger gehören sie zu einer mehr oder weniger fixen Position im endlosen Dialog zwischen der Regierung und den Regierten."

  • Hmmm das überzeugt mich nicht: ich finde NICHT, daß Demokratie schwindet, im Gegenteil. Wenn sie die AfD als Beispiel für "undemokratisch" anführen wollen, dann wäre ein Beispiel hilfreich. "Illiberal" ja, "undemokratisch" nein. Und dann gleich noch BILD in diesem Topf. Das disqualifiziert vollends.

    Übeigens: die TAZ gibt es nä Jahr nicht mehr gedruckt. Auch hier Rechtsruck?

  • "Möglicherweise hat das eine doch etwas mit dem anderen zu tun."



    Hat es. Früher war die Welt sehr einfach, es war genau so wie es in der Zeitung stand, man hatte kaum andere Quellen.



    Dann kamen ARD und ZDF und die Informationen waren mehr, wenn auch zumindest früher je nach Sender noch sehr CDU oder SPD-lastig. Heute werden Fakenews im Minutentakt um die Welt geschickt und Millionen glauben den Müll auch noch. Doch liegt das Problem nicht am Verschwinden von Zeitungen, sondern am Aufblühen von asozialen Medien und Fakenews.

    • @Rudi Hamm:

      "Fakenews im Minutentakt um die Welt geschickt" Wo und wie ist das belegt? Natürlich gibt es Fake News (siehe z.B. Relotius), aber in der Masse wage ich das zu bezweifeln. Zumal ich in den letzten Jahren zunehmend in Politik und etablierten Medien beobachtet hab, dass nicht selten unliebsame Fakten als "Fake News" geframet werden (was es wiederum noch schwieriger macht, angebliche Fake News von wirklichen Fake News auseinanderzuhalten)

      • @Alexx:

        Stimmt, Minutentakt trifft die Sache nicht, Sekundentakt wäre zutreffend.

      • @Alexx:

        Vermutlich habe ich mich undeutlich ausgedrückt. Ich meinte mit "Fakenews im Minutentakt" die asozialen Medien, nicht ARD und ZDF.

  • Vielleicht sollten sich mal mehr Zeitungsschreibende fragen, inwiefern das, was sie schreiben, aktivistisches Wunschdenken ist. Je mehr das zugenommen hat, umso mehr haben sich die Lesenden das Medium gesucht, das ihrem Wunschdenken entsprach und den Rest bestenfalls zur Zeitung von Naivlingen und schlimmstenfalls zum Propagandainstrument ernannt. Einmal in der Echokammer kann/will man nicht so einfach wieder raus. Und dann wunderte man sich über die Spaltung der Gesellschaft.

  • "Mit dem Verschwinden der gedruckten Zeitung wandern nicht einfach nur die Nachrichten von einem Medium ins andere, sie verändern ihr Wesen."

    Leider ein verdammt wahrer Satz.

  • Mal davon ab - “BILD - ein Zeitung nennen!



    Schon ein Verbrechen ist“ •



    ©️ Klaus Theweleit



    taz.de/Gaucho-Tanz...WM-Party/!5037365/

    …anschließe mich

    unterm——-reminiszenz aus dem Skat



    Was sie einst wohl - ohne 📰 gemacht hätte?!



    “Sitze im ICE - sie gegenüber & ein klemmi BWLer setzt sich neben sie!



    Du kennst sie - parlierte sofort los und Schnackeldidackel …&!Däh.



    “…tja - bin ja schon fast fünf! Einzelkind ist ja doof. Wir brauchen also noch ein Kind!“



    Und. “Wer könnte wohl der Vater sein!‘“



    Sie ging - ihm wurde schwüler und schwüler - rückte am Schlipsknoten



    - streng alle Vaterkandidaten durch!



    Du bliebst übrig - aber da hatte er rückwärts & nickend - schon reteriert!



    Und ich - konnte endlich wieder hinter meiner ZEIT hervorkommen!“



    (hier endet der Chronist;)) - 🙀🥳🤣 -

  • Schöner Text, vielen Dank dafür an Autor und taz. Hab ihn am Handy gelesen.