: Europasrechte Welle
Europa wählt rechts. Im EU-Parlament haben Konservative und Rechtsaußen nun gemeinsam eine Mehrheit. Und auch Ursula von der Leyens Programm für die neue Kommission trägt die entsprechende Handschrift
Aus Brüssel Eric Bonse
Wenn es um Viktor Orbán geht, sind alle gegen rechts. Die Abgeordneten der Linken sangen das Widerstandslied „Bella ciao“, als der ungarische Regierungschef am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg sein Programm vorstellte. Die Grünen zeigten Plakate, die Orbáns korrupte Regierungsführung anprangerten. Sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen griff den Rechtsnationalisten aus Budapest an. Orbán untergrabe mit seinem prorussischen Kurs die Sicherheit Europas, empörte sich die CDU-Politikerin. Wer ihr zuhörte, konnte meinen, von der Leyen würde sich nie mit Nationalisten und Rechtsradikalen gemeinmachen. Doch dieser Eindruck täuscht.
Italiens postfaschistische Regierungschefin Giorgia Meloni gehört zu ihren wichtigsten Verbündeten, wenn es um die Migrationspolitik und den Bau der „Festung Europa“ geht. Kroatiens Premier Andrej Plenković wird hofiert, obwohl er mit der ultrarechten Heimatbewegung (DP) regiert. Keine Berührungsängste hat von der Leyen, wenn es um ihre neue Kommission geht, also um das Team, mit dem sie die EU in den nächsten fünf Jahren in Brüssel regieren will. Von Meloni ließ sie sich deren Vertrauten Raffaele Fitto aufschwatzen. Der Rechtskonservative soll nicht nur milliardenschwere EU-Fonds verwalten, von der Leyen will ihn sogar zum „exekutiven“ Vizepräsidenten machen, also in die engste Führungsriege aufnehmen.
Auch die designierten Kommissare Oliver Varhelyi (Ungarn) und Apostolos Tzitzikostas (Griechenland) „umgeben sich gern mit Rechtsradikalen“, kritisiert Martin Schirdewan, der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament. Die Kommission von der Leyen II. sei „ein Kniefall vor den Megakonzernen und Rechten“, so Schirdewan.
Ganz so hart fällt das Urteil der anderen etablierten Parteien zwar nicht aus. Doch auch Sozialdemokraten, Liberale und Grüne, die die konservative deutsche Kommissionschefin stützen, haben große Vorbehalte gegen Fitto und einige andere rechtslastige Kandidaten.
Bei den Anhörungen im EU-Parlament, die im November geplant sind, könnte es deshalb Ärger geben. Doch selbst wenn der eine oder andere Kommissar durchfallen sollte, wird das den Rechtsruck in der Kommission nicht mehr aufhalten. Von der Leyen hat keinen einzigen Linken oder Grünen für ihr 27-köpfiges Team nominiert – dafür aber 14 Politiker, die der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehören oder ihr nahestehen.
So „schwarz“ und rechtsoffen wie diesmal war die Brüsseler Behörde noch nie. Auch das Programm, das von der Leyen ihrer Behörde vorgibt, trägt eine konservative und rechtsliberale Handschrift. Der European Green Deal geht in einem „grünen Industrieplan“ auf. Der Arbeits- und Sozialkommissar fliegt ersatzlos raus, Wettbewerbsfähigkeit und Aufrüstung heißen die neuen Prioritäten.
Mit dem Ergebnis der Europawahl hat das wenig zu tun, umso mehr mit den Kräfteverhältnissen in den 27 EU-Staaten. Dort geben die Konservativen von der EVP den Ton an – und die Rechten gewinnen an Gewicht. Neben Ungarn und Italien werden die Niederlande und bald wohl Belgien und Österreich von Nationalisten und Rechtspopulisten regiert. Sogar die neue Regierung in Frankreich hängt von Marine Le Pens Nationalisten ab.
Im Europäischen Rat könnten die Rechten schon bald eine Sperrminorität erringen. Damit können sie missliebige Gesetze verhindern und noch stärker Einfluss nehmen. In der Asyl- und Migrationspolitik macht sich der Rechtsruck bereits bemerkbar, andere Politikfelder dürften bald folgen. Im Europaparlament gibt es zwar einen „Cordon sanitaire“, so heißt die europäische Version der deutschen „Brandmauer gegen rechts“, und die Anhänger von Orbán, Le Pen und Co wurden von allen wichtigen Parlamentsposten ausgeschlossen. Doch erstmals haben Konservative und Rechtsaußen gemeinsam eine Mehrheit. Und diese wird genutzt.
Zuletzt warfen am vergangenen Donnerstag laut Informationen des Spiegel mehrere Parlamentsmitglieder EVP-Chef Manfred Weber vor, mit Rechts-außen-Fraktionen dafür gestimmt zu haben, dass Kommissaranwärter Raffaele Fitto den ersten Anhörungstermin im entsprechenden Ausschuss bekommt. „Die EVP macht gemeinsame Sache mit den Ultrarechten, um den Kommissarkandidaten Italiens vor einem vorzeitigen Ausschluss durch proeuropäische Mehrheiten zu bewahren“, sagte der liberale Abgeordnete Moritz Körner.
Mit einzelnen Rechten könne man durchaus zusammengehen, erklärte auch von der Leyen vor der Europawahl im Juni. Sie müssten lediglich für Europa, für die Ukraine und für den Rechtsstaat eintreten, so wie ihre italienische Freundin Meloni. Es ist diese Definition einer rechtsoffenen Politik, die die einst weltoffene und friedliebende EU umkrempelt – auch ohne Orbán.
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