piwik no script img

Konstituierung des Thüringer Landtags Eskalation vorprogrammiert

Die AfD Thüringen als stärkste Kraft wird wohl für Tumulte sorgen. Schon die Wahl zur Landtagspräsidentin dürfte ein Drahtseilakt werden.

Der Rechtsextreme Björn Höcke setzt auf maximalen Konfrontationskurs Foto: Frank Hammerschmidt/dpa

LEIPZIG/BERLIN taz | Der Thüringer Landtag ist bekannt für juristische Winkelzüge. Und die beginnen nun schon vor dem ersten Treffen des neu gewählten Thüringer Landtags am kommenden Donnerstag. Eine der Aufgaben der 88 Abgeordneten an diesem Tag: Das Parlament muss ei­ne*n Prä­si­den­t*in wählen. Klingt simpel, dürfte aber höchst umstritten ablaufen. Denn das Vorschlagsrecht für das Amt hat die stärkste Fraktiondie AfD.

Schon vorab kündigten die anderen Parteien an, nicht für deren Kan­di­da­t*in­nen zu stimmen. Sie wollen die Geschäftsordnung ändern, um eine Blockade der AfD zu verhindern. Denn die extrem rechte Landtagsfraktion unter Vorsitz Björn Höckes setzt auf maximalen Konfrontationskurs: Sie will Wiebke Muhsal zur Landtagspräsidentin vorschlagen. Die 38-Jährige ist fester Teil Höckes inneren Zirkels und berüchtigt für ihr Eskalationspotential.

Im Plenarsaal erschien sie zu einer Debatte zu einem Kindergartengesetz mal in Vollverschleierung, um gegen den Islam zu hetzen. Bekannt ist sie außerdem für Antifeminismus, Queer- und Transfeindlichkeit. Zudem ist Muhsal rechtskräftig verurteilt – weil sie den Thüringer Landtag in ihrer letzten Legislatur um 6.500 Euro betrogen hat. Sie musste 8.000 Euro Strafe zahlen.

Muhsal dürfte trotz geheimer Abstimmung selbst für wankelmütige CDU-Abgeordnete oder wackelige BSWler nicht wählbar sein. Mit der Nominierung der verurteilten Betrügerin Muhsal werde deutlich, „wie sehr die AfD das Parlament verachtet“, sagt Christian Schaft, Fraktionsvorsitzender der Linken. Ähnlich äußerte sich auch der Fraktionsvorsitzende der SPD, Lutz Liebscher: Das sie dem Landtag vorstehen wolle, sei „ungeheuerlich“, sagte er der taz.

Das Amt des Landtagspräsidenten ist ein hohes und repräsentatives Amt. Diejenigen Parlamentarier*innen, die es ausüben, verfügen meist über einen guten Ruf auch über Parteigrenzen hinweg. Das ist wichtig, weil sie eine übergeordnete Funktion einnehmen: Sie repräsentieren nicht nur offiziell den Landtag, sondern sollen für den möglichst reibungslosen Ablauf demokratischer Prozesse und die Einhaltung von Regeln auch während der Plenardebatten sorgen.

„Wir haben einen Plan.“

Dass mit parlamentarischen Taschenspielertricks und Winkelzügen der AfD zu rechnen ist, daran erinnert nicht zuletzt die Thüringer Regierungskrise 2020. Damals wählte die AfD überraschend den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten und ließ ihren eigenen Kandidaten vorsätzlich durchfallen.

Was die Partei diesmal tun will, ist noch unklar: Auf Anfrage wollte Stefan Möller, Landessprecher der AfD Thüringen und Fraktionsmitglied, nicht verraten, mit welcher Strategie die extrem rechte Partei in die Sitzung geht: „Da wäre ich ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich das jetzt mit Ihnen debattieren würde“, sagte er der taz am Telefon.

Konfrontativ finde er weder das Beharren auf das alleinige Vorschlagsrecht der AfD noch die Nominierung der AfD-Politikerin Muhsal: „Konfrontativ sind die anderen“, so Möller, „wir müssen jetzt taktisch mit der Situation klarkommen. Und wir haben einen Plan.“

Doch auch die anderen Parteien planen bereits. „Jeder Bestrebung, ein Verfassungsorgan auf offener Bühne vorzuführen, werden wir entschlossen entgegentreten“, sagte Andreas Bühl, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU. Darum wollen CDU und BSW vor der Wahl des*­der Land­tags­prä­si­den­t*in die Geschäftsordnung ändern. Dem Vorschlag nach dürften dann von Anfang an alle Fraktionen Kan­di­da­t*in­nen vorschlagen – nicht nur die AfD.

Damit der Antrag durchgeht, braucht es eine einfache Mehrheit. Wenn Linke und SPD auch dafür stimmen, wird die Geschäftsordnung geändert. Der AfD zufolge aber könne der Landtag die Geschäftsordnung erst angehen, nachdem ein*e Land­tags­prä­si­den­t*in gewählt sei. Die rechtsextreme Partei wird voraussichtlich versuchen, den Antrag zu übergehen.

Unklare Formulierung in der Geschäftsordnung

Zugute kommt der AfD eine Unsicherheit, die sich aus der aktuellen Geschäftsordnung ergibt. Bislang ist dort unklar formuliert, wie lange die AfD allein das Vorschlagsrecht innehat. So steht unter Paragraf 2 der Geschäftsordnung: Sollte die Mehrheit der Abgeordneten in geheimen Wahlen zweimal nicht für den Vorschlag stimmen, „können für weitere Wahlgänge neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden“. Doch wer die weiteren Vorschläge machen darf, das regelt die Verordnung nicht.

Dass es zu dieser Situation kommen könnte, davor hatte den bisherigen Landtag eigentlich schon das Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs gewarnt. Die Ju­ris­t*in­nen rieten in einem Policy Paper dazu, vorsorglich die Geschäftsordnung zu ändern. Ihr Vorschlag: Unmissverständlich festzuschreiben, dass alle Fraktionen Kan­di­da­t*in­nen aufstellen können, wenn der Vorschlag der stärksten Fraktion nicht die erforderliche Mehrheit erhält. Der alte Landtag ist der Empfehlung allerdings nicht nachgekommen.

So bleibt es also Auslegungssache. Der wissenschaftliche Dienst des Thüringer Landtags geht nach Auslegung der geltenden Geschäftsordnung davon aus, dass nach zwei durchgefallenen Kan­di­da­t*in­nen der AfD auch die übrigen Fraktionen Vorschläge machen können. Die AfD hingegen hat bereits mitgeteilt, dass sie, wenig überraschend, anderer Rechtsauffassung ist. Sie sieht das alleinige Vorschlagsrecht bei sich selbst.

Der AfD-Alterspräsident legt die Geschäftsordnung aus

Welche Ansicht sich am Donnerstag durchsetzen wird? Das hängt auch vom Alterspräsidenten ab, der die erste Sitzung leitet und in ihr die Geschäftsordnung auslegt. In Thüringen ist das: der AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler mit seinen 73 Jahren.

Treutler wurde im für die AfD sicheren Wahlkreis Sonneberg I direkt gewählt. Pikant dabei: Ursprünglich hatte die Partei hier einen anderen und deutlich jüngeren Kandidat aufgestellt. Der allerdings zog überraschend zurück. Sein Kreissprecher gab „persönlich-strategische Gründe“ an. Die Kreis-AfD wählte den 73-Jährigen Treutler nach – mit besten Aussichten auf die Alterspräsidentschaft.

Auch ein Alterspräsident ist abwählbar

Was also, wenn sich der AfD-Alterspräsident bei der Änderung der Geschäftsordnung querstellt oder sich weigert, andere Vorschläge für die Wahl zur Land­tags­prä­si­den­t*in als jene aus der AfD zuzulassen?„Der Landtag kann mehrheitlich das Gegenteil feststellen“, sagt die Juristin Juliane Talg vom Thüringen-Projekt. Die Auslegungshoheit über die Geschäftsordnung liege am Ende beim Landtag selbst.

Ebenso hält Talg auch den Alterspräsidenten für abwählbar – auch, wenn das so nicht explizit in der Geschäftsordnung ausformuliert sei, weil eine solche Situation eben noch nie vorgekommen sei. „Es gibt zwar klare Regelungen, was den Wahlvorgang angeht, aber aufgrund kleiner Unsicherheiten kann die AfD darauf herumreiten und den Fall vor das Verfassungsgericht ziehen“, befürchtet sie.Sie hält es für wahrscheinlich, dass die AfD auf ihrer Position beharrt, auch wenn sie rechtlich schwer zu vertreten sei. „Sie werden das Argument vorbringen: Wir sind die stärkste Fraktion, das Volk will das so. Wenn ihr nicht mitmacht, stellen wir uns quer. Dann können sie eskalieren“, sagt Talg. Der Wahlvorgang und der Bruch mit den bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten, um zu verhindern, dass eine Rechtsextremistin Parlamentspräsidentin wird, biete Stoff für die autoritär-populistische Erzählung der AfD.

Das Risiko einer AfD-Landtagspräsidentin

Dass es eine Eskalation geben wird, ist also so gut wie sicher. Noch größer als das Risiko eines öffentlichkeitswirksamen Opfergangs der AfD dürfte indes eine AfD-Landtagspräsidentin sein. Das skizzierte der Staatsrechtler und Chefredakteur des Verfassungsblogs, Maximilian Steinbeis, bereits in seinem Buch Die verwundbare Demokratie“: Eine Landtagspräsidentin nämlich leitet nicht nur Debatten, sondern hat auch die personelle Hoheit über die Landtagsverwaltung. Sie könnte den Parlamentsdirektor feuern und linientreues Personal nachbesetzen.

Ebenso könnte die AfD-Landtagspräsidentin als Repräsentantin nach Moskau, Budapest oder nach Mar-a-Lago reisen – und symbolische Außenpolitik ohne jegliche politische Verantwortlichkeit betreiben. Ebenfalls vorstellbar wäre ein Missbrauch des Parlaments für Tagungen der Neuen Rechten, völkische Kulturförderung oder die Entsorgung vermeintlich „entarteter“ Kunst.

Theoretisch wäre sogar der Aufbau eines Sicherheitsdienstes oder einer Polizeieinheit denkbar, die der AfD-Landtagspräsidentin unterstünde und Ordnungsrufe gegenüber missliebigen Abgeordneten vollstreckt. Ebenso könnte eine AfD-Landtagspräsidentin formalen Blockaden bei der Ausfertigung von Gesetzen Vorschub leisten, gewählten Rich­te­r*in­nen die Unterschrift verweigern oder juristische Scharmützel mit dem Landesverfassungsgerichtshof bemühen.

Und das wichtigste: Der Landtagspräsident leitet die Ministerpräsidentenwahl und entscheidet im Zweifel über die Auslegung eines verfassungsrechtlich umstrittenen Ergebnisses im dritten Wahlgang. Das könnte wiederum zu einer Klage vor dem Verfassungsgerichtshof und einer Hängepartie für die gewählte Regierung führen. Sprich: zu einer Verfassungskrise, welche die AfD wiederum genüsslich ausschlachten würde. Kurzum: In den falschen Händen kann selbst ein formal repräsentatives Amt großen Schaden anrichten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen