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Nachts im InterCityÜble Nachtfahrt ohne Nachtzug

Nachts in der Bahn ohne Schlaf- und Liegewagen – keine gute Idee. Das zeigt dieser Erfahrungsbericht von der Strecke Wien-Rostock.

Wer schläft, nervt seine Mitreisenden nicht Foto: Martin Wagner/imago

In unserer Serie „Nachtzugkritik“ erscheinen eigentlich nur Artikel über Bahnverbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen. Wie sinnvoll die sind, zeigt sich, wenn man wie die Autorin dieses Berichts seinen echten Nachtzug verpasst:

In Saalfeld, halb drei Uhr nachts, steigt endlich ein älteres Paar zu. Sie haben Platzkarten, der junge Mann mit Hoody an unserem Vierersitz mit Tisch steht auf. Nicht, dass er unangenehm gewesen wäre, er machte Platz für mich und das Kind, damit es längs schlafen kann. Aber er hatte auf meine Kommentare hin nur mitleidig gelächelt. Auch die junge Frau davor konnte meine Empörung über diesen Nachtzug nicht teilen. An Schlaf war nicht zu denken. Alle 20 bis 30 Minuten hielt er, um noch mehr Leute einsteigen zu lassen. Doch bestimmt würden die beiden Älteren ebenso leiden unter den Zuständen in diesem überregionalen IC 296 aus Wien, der allnächtlich nach Rostock fährt. Sie könnten mit mir über die randvollen Doppelstockwagen klagen, ohne Schlaf- noch Liegeplätze.

Da höre ich den Herrn, im Anzug, die halb nassen Haare nach hinten gekämmt, zu seiner Frau aufmunternd sagen: „Bald wird’s morgen“ Seine Frau, in Bluse, geblümt und sommerlich leicht, guckt in die Dunkelheit hinter dem Fenster, gähnt und seufzt: „Dann sehen wir den Sonnenaufgang.“

Was sich für mich und meine Familie wie ein Unfall anfühlt, sieht mein Umfeld offenbar anders. Wir waren halb 1 Uhr nachts in Nürnberg zugestiegen. Unser Zug war verspätet angekommen und hatte so alle weiteren Verbindungen nach Berlin ausgehebelt. Die von der Bahn-Information hatten keine bessere Verbindung. Aber meine Mitreisenden fahren sehr wohl freiwillig. Auf der Webseite der Bahn wird dieser Nachtzug auch Wochen später, für dieselbe Nacht Freitag auf Samstag, mit „hohe Auslastung erwartet“ angekündigt.

„Sie kennen diesen Zug?“ Ich frage also vorsichtig, nachdem die Frau sich versichert hatte, dass der Mann den Stall geschlossen hatte. Ihr Mann antwortet gern auf meine Frage. „Ja, gell, ich hab’s diesmal reserviert.“ Der Kopf des Kindes lag auf meinem Schoß, mein Mann hatte irgendwo ein paar Reihen weiter einen Platz ergattert. „Mir fahrn nach Hamburg“, die beiden Thüringer lächeln. Ohne Nachtzug würde für die Reise ein Tag vergehen und die Abwesenheit vom Hof verlängern. Aber sind sie denn nicht völlig fertig, wenn sie am Morgen in Hamburg angekommen sind? Kopfschütteln, Schulternzucken: „S schofft ma schon.“

Auf der Bank hinter mir schlafen die Jugendlichen mittlerweile Arm in Arm. Eigentlich dienen die Arme gegenseitig als Kopfstütze, manche Bänke reichen ja nur bis zu den Schultern. Mir fällt auf, dass ich doch nie zu ihnen musste, um sie zu bitten, leiser zu sein. Die zwei leicht übergewichtigen Jungs und ein Mädchen, alle in knalligen, billigen Klamotten, hatten zwar lange erzählt, aber sich auch immer gegenseitig leise gezischt. Jetzt stehen die bunten Koffeingetränke in Plastikflaschen leer vor ihnen. Und ich erinnere mich aus dem ICE davor an ein paar Mittelschichtsjugendliche, die aus PET-Flaschen Bier tranken. Die waren kontinuierlich lauter geworden.

Erst jetzt prüfe ich den Fahrtpreis für den Zug online: 37,99 Euro von Wien nach Rostock. In etwas mehr als 12 Stunden. Aber vielleicht ist die doppelt so lange Reisezeit, auch die 6 Stunden, statt der 3 Stunden Fahrt, die ein ICE von Nürnberg nach Berlin braucht, nicht nur ein Nachteil …?

Die Frau aus Saalfeld, den Kopf in der Hand, lächelt müde zurück. Auch wenn sie jetzt sehr gut schlafen könnte, sie und ihr Mann sparen so zwei Übernachtungen im teuren Hamburg und haben trotzdem zwei volle Tage, um sich umzusehen. Das Lächeln ist gar nicht mitleidig, wie ich erst dachte. Es zeigt ein Durchhalten angesichts der Strapazen, und auch Disziplin von Reisenden im sprichwörtlich anderen Nachtzug.

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13 Kommentare

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  • Würde spannend sein, die Maulerei von Goethe zu lesen, wenn man ihm zumuten täte, von Weimar nach Wien 2x umsteigen zu müssen.

  • Wir buchen im ICE grundsätzlich nur 1.Klasse. Bei frühzeitiger Reservierung gibt es da fast immer gute Preise. Kürzlich 4 Wochen vorher Sparpreis Baden-Baden nach Berlin 43,50€, was will man mehr. Und bei meinen diesjährigen 4 Bahnreisen innerhalb D hielt sich die Verspätung in Grenzen. Am besten war da der Flixtrain Berlin-Karlsruhe, zwar elend laut und lange Fahrzei, aber sogar noch 5 Minuten zu früh da.

  • Bestimmt könnte man aus dem Drama auch ein Buch machen.

  • Ich habe es mit der Bahn immer wieder versucht. Aber ich brauch das nicht. Überfüllt, laut, ungemütlich, unpünktlich. Dann doch Auto oder Flugzeug. Etwas Anspruch ans Reisen darf man schon haben.

  • Ich kann dem Bericht nur voll zustimmen.

    Auf den ICE-Sitzen kann man kaum schlafen, weil man den Kopf nirgendwo anlehnen kann.

    Das Licht ist immer an und alle halbe Stunde steigen Leute ein und aus.

    Immerhin könnte es sein, dass mit dem platzbezogenen Check-In einen der Schaffner nicht mehr ständig weckt.

  • Ich vermisse die alten D-Zug-Wagen mit den ausziehbaren roten Sitzen in den Abteilen. Die ergaben dann eine breite Liegefläche und man konnte dort prima schlafen. Und wenn es zu stickig wurde, haben wir mal das Fenster etwas aufgemacht.

    • @vom 3. Stern:

      Ja, so bin ich mal von Berlin nach Sizilien gereist.



      Ging gut, weil allerdings die Abteile auch nicht so voll waren und man gut schlafen konnte.

  • „S schofft ma schon.“ So isset. In den 70ern ist unsere Familie (Eltern + 5Kinder) 36 Stunden am Stück per Zug nach Lissabon und das mehrmals. War ganz gut auszuhalten - viel besser, als mit dem Auto, da kriegst du als Kind nach ein paar Stunden den Rappel. Nur einmal war es ziemlich heftig, Ferienende in Frankreich - der Zug war voll bis unters Dach mit zurückkehrenden portugiesischen Gastarbeitern und ihren Mitbringseln, phasenweise musste man sich auf den Sitzplätzen abwechseln, dazu kamen stundenlange Standzeiten bei 35 Grad in der spanischen Pampa. Ab Paris haben wir uns dann den TEE gegönnt. Wirklich schlimm war es aber nicht und man hatte mit netten Leuten zu tun.

    • @guzman:

      Das stimmt, im Stundentakt neue Begegnungen. In Polen und mit dem Hellas-Express immer wieder mit lustiger Landbevölkerung, Menschen, die gerne ihre Mitbringsel teilten und Tiere im Zug mitführen, Federvieh für oder vom Wochenmarkt. Und stressfreie Stunden, in denen Kommunikation mit Mimik bzw Händen und Füßen aufgewertet wurde. Einfach schöne Erinnerungen, weshalb auch Interrail-Nostalgie nicht mit Waggon-Allergie oder Bahn-Aversion in einem Zug genannt werden wird. Unvergesslich eine Episode mit nächtlichem Lok-Schaden am Brenner, ein Beispiel italienischer Gelassenheit in der Abwicklung. Immer wieder wurden die Gepäckablagen zweckentfremdet, für ein Nickerchen, wenn sie das aushielten



      /



      taz.de/50-Jahre-Interrail/!5866170/

      • @Martin Rees:

        „Rein zum dammelich werden.."



        Leseempfehlung: „So zärtlich war Suleyken - Eine Kleinbahn namens Popp" (Siegfried Lenz)

        • @starsheep:

          Danke 🚂🐔❗



          Geruch war auch sehr exotisch, aber weniger erotisch😉

  • Zur Erklärung: Der IC Wien-Rostock wird vorwiegend aus betrieblichen Gründen angeboten. Die DB hat diese IC2 "KISS"-Garnituren des Herstellers Stadler gebraucht von der österreichischen Privatbahn "Westbahn" abgekauft, u.a. da die IC2 von Bombardier Auslieferungsschwierigkeiten hatten.



    Die Stadler-Züge fahren grundsätzlich auf der Relation Rostock-Berlin-Chemnitz. Da die Züge weiterhin nur in Wien gewartet werden können, fährt täglich ein Paar von bzw. nach Wien in die Werkstatt. Statt einer Leerfahrt hat sich die DB dafür entschieden, ob der langen Strecke eine reguläre Passagierfahrt anzubieten. Diese wird erstaunlich gut angenommen, verursacht durch die Notwendigkeit, eh nach Wien zu fahren, aber auch nur geringe Kosten.

    • @sebasS:

      Danke für diese interessante Info. So eine Strecke erinnert mich an die IRs der guten alten Bahn, z.B. von Konstanz nach Stralsund in einem Rutsch.