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Grenzkontrollen in DeutschlandBitte einmal den Kofferraum öffnen

Im Schengen-Raum sind eigentlich keine Kontrollen vorgesehen. Deutschland weitet seine Kontrollen nun auf die westliche Grenze aus.

Grenzkontrolle in Frankfurt (Oder). Hier gibt es die Grenzkontrollen schon seit Oktober 2023 Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin dpa | – Deutschland hat seine bereits laufenden Grenzkontrollen im Osten und Süden des Landes wie angekündigt auf die Landgrenze im Westen ausgeweitet. Seit Mitternacht kontrollieren Beamte an den Grenzen zu Belgien, Luxemburg und den Niederlanden. Im Laufe des heutigen Tages sollen auch Kontrollen im Norden an der Grenze zu Dänemark eingerichtet werden.

Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate andauern, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen. Der Pendler- und Reiseverkehr soll möglichst wenig beeinträchtigt werden – die Kontrollen sind stichprobenartig, nicht alle Fahrzeuge werden angehalten.

Grenzkontrollen sind im Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen. Bisher kontrollierte die Bundespolizei nur an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich, der Schweiz und zuletzt wegen der Olympischen Spiele in Paris auch Frankreich. Rechtlich möglich sind die weiteren Kontrollen seit Mitternacht.

Faeser will illegale Migration zurückdrehen

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Sonntagabend: „Diese Maßnahme ist aus meiner Sicht dringend erforderlich, um die irreguläre Migration weiter zurückzudrehen.“ Sie hatte in der vergangenen Woche angeordnet, dass es ab Montag an allen Landgrenzen stationäre Kontrollen geben soll.

Ein Sprecher der Bundespolizei sagte, in Niedersachsen seien wie geplant zusätzliche Beamte im Einsatz. Sie sollen auf niedersächsischer Seite Einreisende aus Richtung Niederlande überprüfen. Feste Kontrollstellen wurden auf der Autobahn 30 bei Bad Bentheim, der A280 bei Bunde und der Bundesstraße 402 bei Schöninghsdorf (Höhe Meppen) eingerichtet. Zudem waren im grenznahen Raum zu den Niederlanden auch auf den Nebenstraßen Fahndungsmaßnahmen angekündigt. In Nordrhein-Westfalen kontrollierten Bundespolizisten etwa auf der Autobahn 44 bei Aachen Einreisende aus Richtung Belgien. Weitere mobile Kontrollen für Einreisende aus Luxemburg gibt es auf der A 64.

Bei den stationären Kontrollen an den Landgrenzen von Deutschland zu den Niederlanden erwischten Bundespolizisten Drogenschmuggler. Die drei Männer seien mit Haschisch im Kofferraum unterwegs gewesen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Sie entzogen sich laut Polizeiangaben der Kontrolle auf der Autobahn A30 bei Bad Bentheim und flüchteten. Erst etwa 30 Kilometer entfernt hätten Beamte sie stoppen können.

Stationäre Grenzkontrollen ermöglichen sogenannte Zurückweisungen. Laut Bundesinnenministerium gab es seit Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Zurückgewiesen werden derzeit Ausländer, die kein Asylgesuch vorbringen, und solche, die mit einer Einreisesperre belegt sind. Eine Forderung der Unionsfraktion nach umfassenderen Zurückweisungen hatte die Ampel-Koalition wegen europarechtlicher Bedenken abgelehnt.

Was die Nachbarländer von den Kontrollen halten

Nachbarländer wie Österreich und Polen hatten – auch im Zuge dieser umfassenderen Diskussion – Bedenken gegen die Ausweitung der Grenzkontrollen angemeldet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat aber „begonnen, mit den Chefs der Nachbarländer sehr sorgfältig zu sprechen, übrigens auch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission“, wie er am Sonntagabend auf seiner Usbekistan-Reise sagte.

„Alle wissen, dass wir uns im Rahmen des europäischen Rechts bewegen, aber da unsere Möglichkeiten maximal ausnutzen“, erklärte Scholz. „Alle verstehen, dass die Zahl derjenigen, die nach Deutschland kommen, zu groß ist und dass es deshalb ein nachvollziehbares Interesse der deutschen Regierung ist, dafür zu sorgen, dass wir diese Dinge durch ein gutes Management irregulärer Migration in den Griff kriegen.“ Dazu gehörten auch solche Kontrollen.

Bei denen Grünen werden sie aber kritisch gesehen. „Es ist fraglich, wie effektiv der Grenzschutz sein kann, auch angesichts der personellen Ausstattung der Bundespolizei“, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur dem Tagesspiegel.

Faeser hatte die Ausweitung der Kontrollen am vergangenen Montag wie vorgeschrieben bei der EU-Kommission angemeldet und mit einer großen Belastung Deutschlands durch irreguläre Migration begründet. Sie sind erst einmal für sechs Monate geplant. Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass solche Kontrollen nach der Einführung so schnell nicht mehr enden. An den Landgrenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz kontrolliert die Bundespolizei seit Mitte Oktober, an der Grenze zu Österreich bereits seit Herbst 2015.

Nach dem Schengener Abkommen ist das grundsätzlich nicht vorgesehen. Aber auch andere Schengen-Staaten kontrollieren an ihren Landgrenzen und begründen dies teils mit der Begrenzung irregulärer Migration, teils mit der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus beziehungsweise mit Risiken im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.

Was die Union verlangt

Der Union hält die Kontrollen für unzureichend, um der irregulären Zuwanderung Herr zu werden. „Kontrollen alleine reichen nicht aus. Die Verweigerung der Ampel für umfassende Zurückweisung ist eine Kapitulation“, sagte der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, der Bild.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bekräftigte seine prinzipielle Offenheit für ein Spitzengespräch mit Kanzler Scholz. Er habe seine Bereitschaft dazu erklärt, sagte der Unionsfraktionschef in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. „Der Regierungssprecher hat allerdings dann erklärt, der Bundeskanzler würde daran nicht denken, eine solche Einladung auszusprechen. Dazu können wir ihn nicht zwingen. Ich nehme das zur Kenntnis.“

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union einen neuen Anlauf auf höchster Ebene angeregt: mit Merz, Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst.

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9 Kommentare

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  • Leider ist dies nur ein weiterer Belg dafür, dass es den sogenannten Volksvertretern nicht wirklich ums Volk geht. Schengen wurde einst als eines der wichtigsten Vorteile eines vereinten Europas, insbesondere für Otto-Normalverbraucher, geführt. Nun wird es mit fadenscheinigen Gründen wieder einkassiert (was eigentlich früher oder später zu erwarten war).



    Denn diese Kontrollen können nach meiner Erfahrung und Einschätzung die Migration nicht wirklich stoppen oder bremsen.

    • @Walter Egolf:

      Wieso? Der Personen- und Warenverkehr ist weiterhin frei. Die Stichproben behindern den Verkehrsfluss kaum. Lediglich die, die was zu verbergen haben (Sozialbetrug, Drogen, Menschenhandel, Waffenschmuggel, …) haben nun ein leicht erhöhtes Risiko, aufzufliegen. Wo ist das Problem?

  • Welches EU-Land hält sich noch an das Schengenabkommen ? Jeder macht doch schon lange sein eigenes Ding zu seinem Vorteil. Ja, Schengen ist tot.

  • Schengen war einmal DIE grosse Errungenschaft der EU.



    Es wird mehr und mehr zerlegt.



    Es ist eine Schande!



    Dublin nutzt in erster Linie Deutschland ohne EU-Aussengrenzen und wird mehr und mehr ausgeweitet.



    Dazu sach ich lieber nix wegen Netti.

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Dublin ist in der Tat tot. Die anderen Länder mache sich nicht die Mühe Asylanträge zu prüfen, schrauben die eigenen Asylleistungen auf de facto Null herunter und setzen darauf, dass alle freiwillig nach Deutschland "weiterreisen". Dies könnte geändert werden und ist Aufgabe von Regierungen. Sich mit "das Gesetz ist nun mal so" oder "das Abkommen taugt nicht" zurücklehnen ist nicht die Aufgaben einer Legislativen.

  • Dänemark führt seit 2016 (!!!) ununterbrochen temporäre Grenzkontrollen durch.

    Schengen ist hier oben schon lange tot.

    • @Grenzgänger:

      Gibt's dazu Kosten-Nutzen-Zahlen? Bin zuletzt 2023 durch Dänemark. Auf dem Rückweg staute es sich an der Autobahn, dachte mir, nehmen wir doch besser die Bundesstraße demnächst wieder. Am Gendarmstien wurde man von Polizisten gestoppt. Da war das Jungchen mit den Drogen im Rucksack schon an uns vorbei.

      • @Momo33:

        Ich habe die Zahlen nur für unseren eigenen Bezirk hier an der polnisch-deutschen Grenze. Seit Wiederaufnahme der Grenzkontrollen im letzten Herbst haben wir 80% weniger Aslyantragssteller in der Region. Ich wette auch die Anzahl der Straftaten sind zurückgegangen aber da haben wir noch keine konkreten zahlen bis Jahrresende. Das unsere historische Altstadt weil direkt am Grenzübergang gelegen statistisch zu den gefährlichsten Orten Sachsens gehört, kann ja kein Dauerzustand sein.



        An den Übergängen wird aktuell großteils einfach durchgewunken. Staus habe ich noch keine gesehen.

  • Der freie Güter- und Personenverkehr ist eine der ganz großen Errungenschaften der EU und hat uns wirtschaftlich sehr viel gebracht. Wenn das zerstört wird, geht es uns bald wie Großbritannien nach dem Brexit. Dann kann man der AfD gratulieren, dass sie mit ihrer Hetze aus dem gefühlten "es geht allen immer schlechter" ein echtes "es geht allen schlechter" gemacht hat.