Lyrik trifft Theater: Es gibt nichts gutzumachen
Im Maxim Gorki Theater in Berlin inszeniert Daniel Arkadij Gerzenberg sein Langgedicht „Wiedergutmachungsjude“. Es ist ein berührendes Kammerspiel.
Manchmal ist es ganz einfach. So, wie wenn die Juden Daniel Arkadij Gerzenberg und Dor Aloni ungefähr gegen Mitte ihrer 2-Mann-Show zur Melodie „All The Things She Said“ des russischen Pop-Duos t.A.T.u. anstatt „Running through my head, running through my head“, „Alles wieder gut, alles wieder gut“ singen. Und einem als Deutscher, der für die politische Theatralik der BRD nicht blind ist – vielleicht auch nur als Deutscher – ein Schauer über den Rücken läuft.
„Wiedergutmachungsjude“ ist die Bühnenfassung des gleichnamigen und im letzten Jahr erschienenen Langgedichts Gerzenbergs, dargestellt im Gorki Theater als Zwiegespräch zwischen ihm und seinem „Spiegelbild“ Aloni, israelischer Schauspieler und Regisseur, vor einer zu Brit Mila gedeckten Tafel.
Ein deutscher Arzt, der sich „auffallend für die Shoah interessiert“, misshandelt darin in Jugendjahren das lyrische Ich. „kann ich irgendwas/ wiedergutmachen“, fragt er Daniel später. Der Übergriff steht im Mittelpunkt der autofiktionalen, autoanalytischen Selbsterzählung und lyrischen Selbstwerdung des 33-Jährigen, der auch Pianist ist.
Als Kontingentflüchtling nach Hamburg
Mit seinen Eltern kam er als sogenannter Kontingentflüchtling aus der untergegangenen Sowjetunion, aus Russland, nach Hamburg. Er führte dort wohl eine recht normale Kindheit, wenn man das so sagen kann, bis auf die Tatsache, dass er Jude in Deutschland war.
„Wiedergutmachungsjude“. Maxim Gorki Theater Berlin, wieder am 2. und 18.11.
„erzähl keinem dass/ du jude bist“, sagt ihm seine Mutter. „bist du mit einer nichtjüdin/ wird sie dir vorwerfen/ dass du jude bist“, sagt ihm sein Vater. „ich finde es schön/ dass du jude/ bist“, sagt ihm sein Kinderarzt. Dieser Philosemitismus, die Ästhetisierung Daniels, bloß weil er Jude ist, trägt die Übergriffigkeit bereits in sich.
Theoretische Hintergrundfolie – es klingt im Titel bereits an – ist auch Max Czolleks Wutessay „Versöhnungstheater“ aus dem Jahr 2023. Dessen These: Die deutsche Erinnerungskultur nach 1945 verfolgte ausschließlich den Zweck, das Selbstbild der „wiedergutgewordenen Deutschen“ zu bestätigen.
Obwohl in der Grundaussage richtig, hatte der Text damals – zu Recht – viele Leser erzürnt. Er war selbstgerecht, Czollek wollte nicht nur mit der deutschen Erinnerungskultur, sondern mit dem deutschen Nationalismus insgesamt Schluss machen. Anstelle des falschen „Erinnerungstheaters“ setzte er einfach eine andere Ideologie: „Vielfalt“ und „Pluralität“.
Offen und verletzlich
Vor diesem Hintergrund wirkt Gerzenbergs Stück, der in seinem Langedicht Czollek explizit erwähnt, wie die verletzlichere, offenere Seite Czolleks. Gerzenberg zeigt seine Wunde, der Ton seiner Lyrik ist nicht anklagend, sondern routiniert, klar, reflektiert. Andererseits führt sein allegorisches Kammerspiel nicht bloß deutsche postnazistische Riten vor, sondern nimmt auch jüdisches Brauchtum in die Pflicht.
Zu seiner Brit Mila heißt es: „meine eltern/ dachten nicht/ trauma/ sondern/ jude“. Die Bilder der feiernden Gemeinde flimmern das ganze Spiel hindurch über die Leinwand. Der Kontrast zwischen der Euphorie der patriarchalen Struktur, die ihren männlichen Säuglingen das Mal ihrer Herkunft buchstäblich ins Fleisch schneidet, und der Schmerz dieser Wunde, die ja die des jüdischen Mannes ist, bilden die identitätsstiftende Spannung, die schließlich auch Daniels Verhältnis zum deutschen Kinderarzt bestimmt.
Zwar in seiner Intimität verletzt, gewinnt er über die Auseinandersetzung mit seinem Schmerz an Gefühl dafür, wo seine Grenzen liegen. Daniel sagt: Ich will Dichter sein, kein Pianist. Und sein Piano-Lehrer sagt: „du weißt was du willst ich/ werde dich unterstützten“.
Natürlich hat der „Wiedergutmachungsjude“, wie auch schon Czolleks Essay, etwas Ambivalentes. Denn der Versuch, das deutsch-jüdische Verhältnis zu definieren, bringt ja das jeweils Eigene auf den Plan, auch der Deutschen, und damit die Gefahr, dass sie sich wieder gegen die Juden wenden. Nun zeigt Gerzenberg, dass schon die Angst hiervor, sublimiert als narzisstische Moral, die Situation realisiert. Es gibt nichts gutzumachen, dieser Satz ist auch jüdischer Selbstschutz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!