Diskussion im Haus der Kulturen der Welt: Die Diversität des Ostens
Max Czollek und Sasha Marianna Salzmann luden ein, um über die „Utopie Osteuropa“ zu reden. Es ging um die Ukraine und um Ostdeutschland.
Eines lässt sich Donnerstagabend im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf den ersten Blick feststellen: „Der“ Osten zieht als Thema. Ausverkauft ist die Veranstaltung mit dem Titel „Gegenwartsbewältigung Osteuropa“, die von den Schriftsteller:innen Sasha Marianna Salzmann und Max Czollek kuratiert und moderiert wird.
Etwa 400 Besucher:innen drängen sich im Seitenflügel des Hauses in Mitte, das einst als Symbol westlicher Freiheit bis in den wenige Hundert Meter weiter beginnenden Ostblock leuchten sollte. Ein Gespräch mit der belarussischen Philosophin Olga Shparaga, der ukrainischen Künstlerin Yevgenia Belorusets und der schwarzen ostdeutschen Autorin und Soziologin Katharina Warda steht auf dem Programm; im Anschluss, so verspricht es Czollek eingangs, soll das ukrainische HipHop-Trio Fo Sho den Laden dann abreißen. Das Ganze ist Teil des Festivalformats „Utopie Osteuropa“.
Osten zu sehr als etwas Einheitliches gesehen
Eine wesentliche Erkenntnis des Abends zeigt sich schon mit Blick auf die Besetzung: Der Osten wird viel zu sehr als etwas Einheitliches gesehen. Das gelte auch für den innerdeutschen Blick auf den Osten, sagt Katharina Warda. Warda, 1985 in Wernigerode geboren, versucht in ihrer soziologischen Arbeit und in Kulturprojekten das Multiperspektivische zu stärken: „Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit ist es, die Vorstellung vom Osten als homogenem Raum zu brechen“, erklärt sie.
Damit meint Warda, zum Beispiel Migrationsgeschichten wie die ihrer Familie – sie hat einen südafrikanischen Vater und eine deutsche Mutter – sichtbar zu machen. Es gebe ein unverrückbares Bild, wie „der“ Ostdeutsche sei, darin kämen viele Stimmen und Erfahrungen gar nicht vor. Zu sehr sei der Blick auf „Dunkeldeutschland“ und auf die – zweifellos vorhandene – rechte Gewalt verengt. Tenor bei Warda: Der Ostdeutsche ist immer der andere (Deutsche).
Vergleichbare Tendenzen sieht Yevgenia Belorusets für die Ukraine. Die Fotografin und Schriftstellerin, Jahrgang 1980, ist in Kyjiw geboren und aufgewachsen, sie lebt nun wieder dort, schreibt heute Bücher und Artikel über den Krieg in ihrem Heimatland. Sehr viele unterschiedliche Erfahrungen seien in der Ukraine nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs gemacht worden, „viele davon unbenannt“. Die Ukraine werde oft in vereinfachten Narrativen abgebildet, sei aber multiethnisch und heterogen. „Seit 2014 ist der innere Dialog, der in der Ukraine geführt wurde, durch eine äußere Intervention unterbrochen worden.“
Bewältigung der Vergangenheit – west-östliche Utopie
Belorusets drängt auf Bewältigung der jüngeren Vergangenheit: „Welche Fehler wir alle gemacht haben, dass dieser Krieg geschehen konnte, sollten wir uns immer wieder fragen.“ Zukunftsgerichteter ist die belarussiche Philosophin Olga Shparaga im Gespräch, sie versucht Begriffe zu finden für eine positive west-östliche Utopie. Eine Infrastruktur der Fürsorge müsse man aufbauen: Fürsorge für die Unterprivilegierten, Schwachen und Ausgeschlossenen, Fürsorge für die Demokratie. Insgesamt fiel die Diskussion fast zu kurz aus – es fing gerade erst an, spannend zu werden.
Das HipHop-Trio Fo Sho – weiblich, schwarz, jüdisch, ukrainisch – ist dann quasi der Band gewordene Beweis für ukrainische Heterogenität. Das Geschwistertrio rappt im Song „100%“ darüber, wie ihnen als Schwarze das Ukrainischsein abgesprochen wurde, trägt die Selbstermächtigungshymne „XTRA“ vor. Den Laden reißen sie nicht gerade ab, ein gelungener Abschluss ist das Konzert dennoch.
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