Löhne von Reinigungskräften: Unsichtbar und mies bezahlt
Auch die zweite Runde der Tarifverhandlungen für Gebäudereiniger*innen blieb ohne Einigung. Die meist weiblichen und migrantischen Putzkräfte arbeiten prekär.
Baumgartner ist Gewerkschaftssekretär von Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) in Berlin-Brandenburg. Die Gewerkschaft verhandelte am Mittwoch in Frankfurt am Main in zweiter Runde den Tarifvertrag für Gebäudereiniger*innen – ohne Ergebnis. Laut IG BAU legten die Arbeitgeber erneut kein Angebot vor, weshalb die Tarifverhandlungsrunde am Nachmittag ergebnislos vertagt wurde. Der nächste Termin ist für den 24. Oktober geplant.
„So kann man keine Verhandlungen führen“, sagte IG-BAU Vorständin Ulrike Laux nach den vierstündigen Gesprächen. „Ich zweifle ernsthaft daran, ob die Verhandlungskommission des Bundesinnungsverbandes wirklich an einem Abschluss interessiert ist.“ Der Verband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) sah angesichts des Beharrens der Gewerkschaft auf ihren Forderungen „keinerlei Basis für sinnhafte Gespräche“.
Die IG BAU fordert drei Euro mehr pro Stunde. Der Branchenmindestlohn liegt aktuell bei 13,50 Euro – nur unwesentlich mehr als der gesetzliche Mindestlohn von 12,41 Euro. Die IG BAU fordert außerdem eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen sowie ein 13. Gehalt für die Putzkräfte.
Größtes Handwerk Deutschlands
Das Gebäudereinigungs-Handwerk ist mit über 26 Milliarden Euro Jahresumsatz und bundesweit rund 700.000 Beschäftigten das größte Handwerk in Deutschland. Etwa 500.000, davon ein Großteil Frauen, bekommen lediglich den Branchenmindestlohn.
In keiner anderen Berufsgruppe verdienen Angestellte so wenig wie im Reinigungssektor, gab das Statistische Bundesamt jüngst bekannt. Der durchschnittliche Bruttoverdienst liegt demnach bei 2.493 Euro im Monat. Würde sich die Gewerkschaft durchsetzen, wären es knapp 2.790 Euro brutto – bei Vollzeitbeschäftigung. Die meisten Gebäudereiniger*innen haben laut Gewerkschaft allerdings nur einen Teilzeitjob und kommen damit kaum über die Runden.
Bei den Beschäftigten herrscht entsprechend große Wut. „Kaum einer hat eine Coronaprämie bekommen, kaum eine einen Inflationsausgleich“, sagt Baumgartner. Dabei belasten die gestiegenen Preise für Lebensmittel, Energie und Wohnen vor allem Menschen mit niedrigen Löhnen.
Während die Umsätze und Gewinne innerhalb der Reinigungsbranche in den vergangenen Jahren weiter gestiegen sind, könnten seine Kolleg*innen immer weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben, so der Gewerkschaftssekretär. „Hinzu kommt ein großer Personalmangel, der von den Beschäftigten durch Mehrarbeit aufgefangen wird. Sie machen unbezahlte Überstunden.“ Viele würden die Branche verlassen, weil sie woanders mit weniger Stress mehr Geld verdienen können – ein Teufelskreis.
Branchenverband findet Forderung „unverschämt“
Der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) versuche mit verschiedenen Kampagnen für den Beruf zu werben, um dem Personalmangel entgegenzuwirken, sagt Hauptgeschäftsführer Wolfgang Molitor zur taz. Die Forderung der Putzkräfte nach einem Stundenlohn von 16,50 Euro bezeichnet er als „unverschämt“ und „völlig aus der Zeit gefallen“.
Immerhin blicke die Branche angesichts der prognostizierten Stagnation des Bruttoinlandsprodukts ernüchtert auf die wirtschaftliche Lage. Um eine Lohnerhöhung wird die Gebäudereiniger-Innung jedoch so oder so wohl nicht herumkommen: Anfang der Woche setzte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in einem Schreiben an die Mindestlohnkommission für eine Erhöhung der Lohnuntergrenze ab 2026 auf rund 15 Euro ein – 1,50 Euro mehr, als die Putzkräfte derzeit verdienen.
Das Gremium aus Gewerkschaften und Arbeitgebern ist zwar unabhängig, Heil pochte jedoch auf die Einhaltung der Vorgaben der Europäischen Mindestlohnrichtlinie. Demnach müsste der Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Lohns liegen – nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes wären das 15,27 Euro pro Stunde.
Der BIV sieht darin eine Einmischung der Politik in die Höhe des Mindestlohns, die er entschieden ablehnt. „Solch eine Diskussion greift massiv in die Tarifautonomie ein“, sagt Molitor. Bis Mitte 2025 muss die Mindestlohnkommission über die Anhebung entscheiden.
Verhärtete Fronten
Die Fronten zwischen der IG BAU und dem BIV scheinen indes verhärtet. Der BIV hofft, dass die Arbeitnehmerseite „noch einmal in sich geht“, um eine „wirtschaftlich verträgliche Vereinbarung zu erzielen“, so Molitor. „Dabei dürfen bei den Beschäftigten aber keine Erwartungen geweckt werden, die völlig unerfüllbar sind.“ „Letztlich geht es auch um eine Frage von Anerkennung und Wertschätzung“, hält Baumgärtner dagegen.
Die käme vor allem migrantischen Frauen zugute. Laut einer Hochrechnung der BIV haben 40 Prozent der Gebäudereiniger*innen keine deutsche Staatsbürgerschaft. Baumgartner glaubt, dass der Anteil sogar noch höher ist. „Die Gebäudereinigung bietet aufgrund ihrer geringen Zutrittsbarrieren Geflüchteten einen leichteren Start ins Berufsleben.“ Rund zwei Drittel der Putzkräfte sind Frauen. Dazu kommt, dass ein Drittel der Beschäftigten im fortgeschrittenen Alter ist. Für sie ist die Arbeit nochmal anstrengender.
Dabei fordert der Job auch so schon einiges ab. Etwa wenn es darum geht, Schultoiletten in Berlin sauber zu machen. An Schulen sind die Arbeitsbedingungen besonders prekär. „Die Reinigungskräfte haben viel zu wenig Zeit, entweder sie putzen die Klassenräume oder die Toiletten, für beides reicht es nicht“, sagt Philipp Dehne von der Initiative Schule in Not. „Also machen sie entweder nicht überall sauber oder sie machen Überstunden.“
Im sogenannten Leistungsverzeichnis steht, wie viel Quadratmeter je nach Raumart pro Stunde gereinigt werden sollen. Früher seien es in Neukölln 120 Quadratmeter Sanitärfläche pro Stunde gewesen. „Heute sind es auch wegen unseres Engagements nur noch 70 Quadratmeter. Doch auch das ist kaum machbar“, sagt Dehne.
An Berliner Schulen besonders prekäre Arbeit
Die Initiative berichtet von einer Reinigungskraft, die trotz Krankschreibung von ihrem Arbeitgeber genötigt worden sei, in die Schule zu fahren, um die Vertretung einzuarbeiten. Eine langjährig angestellte Putzkraft an einer Schule habe berichtet, dass sie vor 20 Jahren noch doppelt so viel Zeit für die gleichen Flächen hatte. Eine weitere Putzkraft hat nach eigenen Angaben sechseinhalb Jahre an der gleichen Schule gearbeitet und sei, nachdem sie krankheitsbedingt zwei Wochen ausgefallen ist, fristlos gekündigt worden.
In Neukölln wurden im vergangenen Jahr alle Verträge neu ausgeschrieben. Der Vergabemindestlohn des Landes Berlin liegt zwar bei 13,69 Euro brutto. Aber an den Bedingungen vor Ort ändert das nichts. Im Gegenteil, der Job wird im Zweifelsfall nur noch stressiger. Denn, so Dehne: „Die billigsten Anbieter bekamen den Zuschlag und dementsprechend sieht es an vielen Schulen aus.“
In der Regel läuft es so, dass die Billigdienstleister den sich aus den niedrigen Preisen und dem aus ihrer Sicht hohen Vergabemindestlohn ergebenden Druck einfach an ihre Mitarbeiter*innen weitergeben. Mehrere Gebäude müssen dann umso schneller geputzt werden. Schließlich werden deshalb weder mehr Reinigungskräfte eingestellt, noch bekommen die vorhandenen Mitarbeiter*innen mehr Arbeitszeit zugestanden. Begründung: Die Firmen müssten ja auch vernünftig wirtschaften.
Genau diesen Teufelskreis wollte nicht zuletzt die Linke, nur zeitweise unterstützt von SPD und Grünen, mit der Rekommunalisierung der Schulreinigung durchbrechen. Acht der zwölf Bezirke haben eine Rekommunalisierung beschlossen, das heißt, sie wollen die Reinigungskräfte wie vor Jahrzehnten wieder beim Bezirk oder einem Landesbetrieb anstellen. Doch das bedeutet nicht, dass die Rekommunalisierung auch umgesetzt wird. „Der Senat und die Bezirke spielen Pingpong“, kritisiert Dehne, der für die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln sitzt.
Keine Rekommunalisierung der Schulreinigung
Die Bezirke wollen für die Schulreinigung Geld und Stellen vom Land, das Land sagt, Schulreinigung ist Bezirkssache. Die Arbeitsgemeinschaft bei der Senatsbildungsverwaltung will sich erst mal mit den Bezirken auf stadtweite Qualitätsstandards einigen, bevor über eine Rekommunalisierung gesprochen wird. Zum aktuellen Stand äußerte sich die Senatsverwaltung auf taz-Anfrage nicht. Aus schwarz-roten Koalitionskreisen heißt es: Das Projekt ist tot. Es wird in dieser Legislatur auch nicht mehr wiederbelebt.
Immer wieder werde argumentiert, dass eine Rekommunalisierung zu teuer sei, sagt Dehne. Dabei müsse das nicht sein. Andere Städte machten es vor: In Düsseldorf wurde der Anteil an Reinigungskräften an Schulen, die kommunal angestellt sind, von 20 auf 50 Prozent erhöht. Es habe dort zuvor die gleichen Beschwerden über dreckige Klassenräume, Flure und Toiletten gegeben, so Dehne. Das habe sich mit der Teilrekommunalisierung geändert. „Eine krasse Kostensteigerung hat es nicht gegeben.“
In Berlin gibt es dagegen dreckige Schulen und eine ungemütliche Lernumgebung. Laut einer Studie der German Toilet Organization vermeiden knapp 50 Prozent der Berliner Schüler*innen das Urinieren, weil ihnen die Klos zu dreckig sind. „Räume machen etwas mit Menschen“, sagt Dehne. Wenn eine Schule renovierungsbedürftig und die Flure dreckig seien, dann zeige das den Schüler*innen, dass sie der Schule nicht viel wert seien.
Wie viel die Putzkräfte ihren Arbeitgeber*innen wert sind, wird sich noch zeigen. Sollten die Verhandlungen bis zum Ende der Friedenspflicht, die im Dezember ausläuft, zu keinem Ergebnis führen, kann die Gewerkschaft zu Warnstreiks aufrufen. Für die Sauberkeit der Berliner Schultoiletten dürfte das keinen großen Unterschied machen.
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