Raketen zwischen Israel und Libanon: Zerrüttetes Sicherheitsgefühl
Der israelische Geheimdienst Mossad lässt im Libanon Funkgeräte der Hisbollah explodieren. Die Attacken wirken sich auf die ganze Bevölkerung aus.
Die israelische Armee hat eigenen Angaben zufolge am Freitagmittag ein Ziel in Libanons Hauptstadt Beirut angegriffen und weitet damit den Krieg auf den Libanon aus. Laut der libanesischen staatlichen Nachrichtenagentur NNA sollen bei dem Angriff Zivilist*innen getötet worden sein. Zwei Sicherheitsquellen sagten der Nachrichtenagentur Reuters, der Angriff habe führenden Vertretern der Hisbollah gegolten.
Zuvor waren im Libanon Tausende Pager und Walkie-Talkies explodiert, die der israelische Geheimdienst wohl mit Sprengstoff manipuliert hatte. Dabei wurden 37 Menschen getötet, darunter auch zwei Kinder und medizinisches Personal. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete 2.931 Verletzte, davon lagen am Freitag noch 287 auf Intensivstationen.
Die Hisbollah hatte die 5.000 Pager wohl Anfang des Jahres geliefert bekommen. Die schiitische Organisation nutzt die Funkmeldeempfänger für Textnachrichten, damit ihre Kommunikation nicht überwacht werden kann.
Die Pager und Funkgeräte wurden demnach hauptsächlich an Personen verteilt, die mit der Organisation in Verbindung stehen, zu der zivile und militärische Mitglieder gehören. Aber auch viele unbeteiligte Zivilist*innen wurden getroffen.
Das jüngste Opfer ist die neunjährige Fatima Abdullah. Das Mädchen sei in der Küche gewesen, als ein Pager auf dem Tisch zu piepen begann, erzählte ihre Tante der New York Times. „Sie hob das Gerät auf, um es ihrem Vater zu bringen, und hielt es in der Hand, als es explodierte, ihr Gesicht zerfetzte und den Raum blutverschmiert zurückließ.“
In der Bevölkerungen werden Traumata geweckt
Die Funkmeldeempfänger explodierten am Dienstag in Privathäusern, Supermärkten oder auf der Straße. Augenzeug*innen und Ärzt*innen berichteten, die Geräte hätten kurz vor der Explosion gepiept oder eine Nachricht angezeigt, woraufhin viele Opfer die Geräte in die Hand genommen hätten.
In der Bevölkerung ist der Schock groß. Die Menschen haben Angst, weil alltäglich aussehende Geräte zu Sprengkörpern umfunktioniert und in Hosentaschen von Unwissenden im ganzen Land herumgetragen wurden.
Fast jede*r im Libanon hat Videos und Fotos von Explosionen an öffentlichen Orten und von blutenden Verletzen gesehen. Chaos auf den Straßen, Schreie, die Sirenen der Krankenwagen und überfüllte Krankenhäuser, die dringend Blutspenden brauchen – das sind Trigger für akkumulierte Traumata der Beiruter Hafenexplosion, des Bürgerkriegs und der Kriege mit Israel.
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sagte in einer Rede am Donnerstag: „Dieser kriminelle Akt kommt einer Kriegserklärung gleich.“ Israel habe alle roten Linien überschritten. Die Kämpfer der Hisbollah würden zurückschlagen – wo, wann und wie, ließ Nasrallah offen.
USA fürchten eine Bodenoffensive Israels
Derweil verschärft sich der gegenseitige Beschuss an der gemeinsamen Grenze. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen im Libanon wurde am Freitag der Süden der Hauptstadt Beirut Ziel von israelischen Luftangriffen. Israel spricht von gezielten Angriffen gegen Einrichtungen der Hisbollah. Der Libanon soll wiederum nach israelischen Angaben etwa 150 Raketen auf Israel abgeschossen haben.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Am Vortag seien im Libanon vier Menschen bei dem bisher stärksten Bombardement seit dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober verletzt worden. Ob es sich um Hisbollah-Mitglieder handelte, war nicht klar. Die israelische Armee teilte mit, ein Soldat und ein Reservist seien im Norden des Landes getötet worden. Acht weitere Soldaten seien bei einem Angriff verletzt worden.
Durch israelische Angriffe im Libanon wurden bislang 623 Menschen getötet, darunter mindestens 141 Zivilist*innen. Das zählt die Nachrichtenagentur AFP. Auf israelischer Seite einschließlich der annektierten Golanhöhen wurden nach israelischen Behördenangaben bislang 24 Soldaten und 26 Zivilist*innen getötet.
Nun wächst die Sorge vor einer möglichen Bodenoffensive Israels im Süden des Libanon. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte bereits am vergangenen Montag zu hochrangigen Pentagonbeamten, er befürchte diesen Schritt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke