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Stationierung von MittelstreckenraketenVersuch einer Erklärung

Olaf Scholz nimmt symbolisch ein Luftverteidigungssystem in Betrieb und verteidigt dabei die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen.

Olaf Scholz und Boris Pistorius nahmen das neue Luftabwehrsystem Iris-T SLM symbolisch in Betrieb Foto: Fabian Bimmer/reuters

Berlin taz | Als Olaf Scholz im Juli beim Nato-Gipfel in Washington en passant verkündete, dass in Deutschland demnächst amerikanische Mittelstreckenraketen stationiert werden, brach eine Welle der Empörung über ihm zusammen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht sprach von einem „wahnsinnigen Kurs der Aufrüstung und Eskalation“ und kapitalisierte das Thema im Wahlkampf. Selbst SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich äußerte Unverständnis. Nun, fast zwei Monate später, versucht der Bundeskanzler die Entscheidung öffentlich einzuordnen.

Am Mittwoch besuchten Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) den Bundeswehrstandort Todendorf in Schleswig-Holstein und nahmen dort das neue Luftabwehrsystem Iris-T SLM symbolisch in Betrieb. Es dient dem Schutz von bewohnten Gebieten, Gebäuden und Anlagen, indem es Drohnen, Flugzeuge, Hubschrauber oder Marschflugkörper in einer Entfernung von bis zu 40 Kilometern und einer Höhe von bis zu 20 Kilometern bekämpft. Ein reines Abwehrsystem also, und zudem Teil eines europäischen Schutzschirms. Ein System wurde am Mittwoch übergeben, sechs weitere sind bestellt. Kosten pro Stück: 140 Millionen Euro.

Die aber gut investiert sind, wenn man dem Kanzler glaubt. Scholz warnte eindringlich vor der russischen Bedrohung. Seit vielen Jahren rüste Russland massiv auf. „Er (Putin) hat Raketen bis nach Kaliningrad verlegt – Luftlinie 530 Kilometer von Berlin.“ Darauf nicht angemessen zu reagieren, sei fahrlässig. „Ja, durch Nichthandeln geriete der Frieden auch bei uns in Gefahr“, so Scholz.

Zwischen den Zeilen heißt das: Um Deutschlands Verteidigungsfähigkeit ist es derzeit nicht gut bestellt. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn (CSU), kritisierte denn auch im Fernsehsender Phoenix: Die Inbetriebnahme von Iris-T käme „zu spät“ und man sei weit weg von einer Vollbefähigung, „die wir eigentlich in diesen Zeiten bräuchten“. Die schließt für Hahn Abschreckung ein. Und auch für den SPD-Kanzler.

Bis zu 2.500 Kilometer

„Neben einer starken Luftverteidigung brauchen wir in Europa abstandsfähige Präzisionswaffen“, begründet Scholz in Todendorf, warum er mit den USA die Stationierung der Mittelstreckenraketen verabredet habe – „damit auf diesem strategisch wichtigen Feld keine gefährliche Lücke gegenüber Russland klafft.“

Abstandsfähige Präzisionswaffen, das meint auch Lang- und Mittelstreckenraketen. Letztere, zu denen auch die für Deutschland bestellten Tomahawk-Marschflugkörper gehören, können Ziele in bis zu 2.500 Kilometer Entfernung treffen. Also theoretisch auch in Moskau.

Solche Befürchtungen allerdings versucht Scholz zu zerstreuen. Es gehe einzig und allein darum, mögliche Angreifer abzuschrecken. „Es geht uns darum, den Frieden hier bei uns zu sichern und Krieg zu verhindern.“

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15 Kommentare

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  • Viele Friedensbewegten unterschlangen einfach, dass seit vielen Jahren in Kaliningrad, in Westrussland und ja, auch in Belarus, Mittelstreckenraketen und MFK stationiert sind, die allesamt auf Deutschland und andere wichtige NATO Stützpunkte gerichtet sind.

  • Was mich am meisten stört, ist die Art und Weise, wie das "eingestielt" wird. Es braucht öffentliche Diskussionen, es braucht parlamentarische Debatten das ganze demokratische "Brimborium". Was gar nicht geht, ist - so wie aktuell - eine Ansage vom Kanzler, und Ruhe ist.

    • @Kaboom:

      Danke!



      Im Zweifelsfalle hätte man sogar Neuwahlen abhalten müssen, um bei solch einer existentiellen Frage den Souverän zu Worte kommen zu lassen.

      Allerdings halten sich auch die Medien viel zu sehr zurück. Eigentlich war es einmal die nobelste Aufgabe der Medien, bei Regierungsentscheidungen die Finger in die Wunde zu legen.



      Bei DIESER Entscheidung müsste dies tagtäglich passieren.

      Mein Eindruck: selbst in der Wilhelminischen Ära (also vor dem Weltkrieg), bekamen die Regierungen mehr Kritisches zu hören als heutzutage.

  • Stationierung von Mittelstreckenraketen, das ist irreführend, den es erinnert an die atomare Pershing II



    Es geht nur um eine Handvoll hyperschall-Raketen.



    Meinen Informationen nach geht es um zwei Batterien mit jeweils neun oder 18 Raketen.



    Wäre mal schön Journalisten würden das recherchieren, ist aber anscheinend zu anstrengend.



    Diese Stationierung ändert gar nichts ist auch keine Abschreckung, dazu sind es viel zu wenige.



    Außerdem hindert es die USA nicht oder Frankreich hunderte solcher Raketen auf Schiffen oder U-Booten in unserer Nähe zu stationieren.



    Der Taurus kann auch 500 km weit fliegen von einem Flugzeug an die russische Grenze gebracht, kommt der auch ziemlich weit. Davon haben wir 1000 Stück.



    Ist das jetzt besser oder schlechter?



    Vollkommen unsinnige Diskussion genauso wie die Inbetriebnahme eines IRIS-T-Sytems.



    Ich glaube acht sind bestellt, die helfen auch nicht viel, würde mal sagen, wir brauchen vierzig bis fünfzig plus 150 Nahbereichssysteme plus dreißig Patriot plus eventuell zwei Arrowssysteme.



    Haben wir die? Nein! Wir haben noch neun Patriot!



    Das war's. Wir können Deutschland nicht gegen russische Angriffe schützen weder aus der Luft noch am Boden. Vielen Dank

  • Russland hat in Kaliningrad Iskander Raketen stationiert. Damit können Sie Berlin und weitere europäische Hauptstädte mit kurzer Vorwarnzeit zerstören. Weiter sind dort Migs mit Hyperschallraketen stationiert. Praktisch keine Vorwarnzeit. Mit den jetzt kommenden Mittelstreckenwaffen kann im Gegenzug Moskau erreicht werden. Quid pro quo.

  • Mich wundert, dass viele Menschen, die sich als links und kritisch einstufen, so unkritischen geworden sind, wenn ich mich hier in der Kommune umschaue.



    Es besteht ein Unterschied zwischen kritischer Betrachtung und Panik. Ich finde es auf jeden Fall verständlich, dass Nachbarländer wie Belgien kein Interesse an einer Stationierung hatten. Das Hauptproblem sehe ich darin, dass es sich um eine bilaterale Vereinbarung handelt und nicht um eine NATO - Stationierung bei der die USA die alleinige Entscheidungsgewalt haben. Es gibt Situationen in denen es vernünftig ist Souveränität abzugeben, aber in diesem Fall?



    Mich überrascht, dass grenzenlose Vertrauen was viele in zukünftige US-Präsidenten haben.

    • @Alexander Schulz:

      Nun, die Erfahrung der letzten 70 Jahre hat gezeigt dass US-Präsidenten uns keine Panzer schicken wenn wir uns "falsch" entscheiden.



      Selbst ein Spinner wie G.W. Bush hat als wir uns gegen eine Invasion des Irak ausgesprochen keinen zweiten D-Day veranstaltet.

      Warum sollte sich das jetzt ändern?

      • @Waagschale:

        Ich halte es für etwas naiv anzunehmen, dass alle zukünftigen Präsidenten, wie zb ein Trump, zwangsweise vernünftig und verantwortlich reagieren.



        Ich möchte einen Trump nicht mit einem Putin vergleichen, aber Sie wissen ja inzwischen wie mein moralischer Kompass tickt und das ich potentielle überflüssige Abhängigkeiten zb von einem Trump kritisch sehe.

        • @Alexander Schulz:

          Alle? Wie viele werden das noch sein?



          Nein eine Kristallkugel habe ich nicht.



          Das könnten noch dutzende sein.



          Spätestens seit G.W. Bush wissen wir dass es noch Luft nach unten gibt was die Persönlichkeit eines Präsidenten angeht.

          Jedoch selbst bei Trump muss ich sagen, dass er vermutlich bestimmte offensichtlich dumme Aktionen nicht bringen wird.

          Bis wir einen Homer Simpson als US Präsidenten sehen haben wir noch etwas Zeit selbst etwas auf die Beine zu stellen.

          Was Ihren Kompass angeht möchte ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: ich weiß bis heute nicht wie dieser tickt.



          Mehr möchte ich dazu an dieser Stelle nicht sagen. Das ist auch nicht das Thema hier.

  • Man sollte erwähnen das Deutschland im Verbund mit anderen europäischen Ländern solche Raketen gerade entwickelt als Teil des ELSA (European Long-Range Strike Approach) Programms. Es also nur eine temporäre Stationierung ist, bis Deutschland seine Fähigkeitenlücke schließt.

  • Die Wortwahl weckte bei mir sofort Assoziationen zu 1981. Jedes Jahr gedenke ich am 26 September der Heldentat des Stanislav Jevgrafovich Petrow, ohne den wir alle nicht mehr leben würden.



    Hier aber geht es um eine ganz normale konventionelle Bewaffnung und mit wohlgewählten Triggerworten bewußt Panik zu schüren scheint mir extrem unangemessen.

  • In der Ssche völlig richtig, aber: Mal wieder zu spät, zu zaudernd, zu leise. Scholz eben. Der Schaden ist aber angerichtet, Putins Helfer haben die offene Flanke schon dankbar angegriffen und viele Menschen mit falschen Behauptungen verhetzt.

    • @Bussard:

      Es ist unpassend immer die "Putinkeule" rauszuholen.



      Was spricht denn ihrer Meinung dafür, dass Deutschland Souveränität abgibt und lediglich die USA über Einsatz oder Nichteinsatz bestimmen dürfen. Woher nehmen Sie das grenzenlose Vertrauen in zukünftige US-räsidenten?

      • @Alexander Schulz:

        Sie haben einerseits Recht, was das Vertrauen in die USA angeht. Aber ohne diese Stationierung würden wir nackt dastehen. Im übrigen kämen diese Raketen nur im Bündnisfall der Nato zum Einsatz.

        • @Krumbeere:

          Nein, man würde mit Mitsprache nicht nackt dastehen. Übrigens auch nicht ohne Stationierung.



          Vermutlich würden Sie nur im Bündnisfall zum Einsatz kommen, aber letztendlich wäre das eine Entscheidung der USA.