Krieg in Nahost: „Es gibt noch mehr rote Knöpfe“

Der Mossad habe die explodierten Pager selbst produziert, sagt der Geheimdienstexperte Ronen Bergman. Und Israel habe weitere solche Operationen vorbereitet.

Videoausschnitt zeigt ein zerstörtes Walkie-Talkie, das am Mittwoch, 18. September 2024, in einem Haus in Baalbek im Osten des Libanon explodierte.

Nach der Explosion: Die Überreste eines Walkie-Talkies, aufgenommen am Mittwoch im ostlibanesischen Baalbek Foto: ap

taz: Herr Bergman, Tausende Pager explodierten am Dienstag im Libanon, am Tag darauf Walkie-Talkies und andere elektronische Geräte. Davon betroffen waren Anhänger der Terrororganisation Hisbollah. Eine überraschende Aktion oder gar historisch?

Ronen Bergman: Die Mehrheit aller Operationen des israelischen Geheimdienstes findet im Verborgenen statt. Die Welt der Geheimdienste sind geheime Aktionen. Diese Aktionen und die entsprechende Planung kann mit dem Begriff „Buttons“ bezeichnet werden – eine Art roter Knopf, der im Fall des Falles aktiviert wird.

taz: Was heißt das?

Bergman: Die Vorbereitung solcher Operationen benötigt in der Regel viel Zeit und kostet viel Geld. Es liegt in der Natur der Sache, die Infrastruktur des Feindes zu treffen – und zwar großflächig. Sie spielen auf Langfristigkeit – und bleiben im Verborgenen. Und dann, wenn der Tag kommt, wenn ein extremes Szenario eintritt, dann wird der Knopf gedrückt und das System aktiviert, das schwerwiegenden Schaden und äußerste Verwirrung beim Feind verursacht.

taz: Doch warum jetzt?

Bergman: Genau kann man dies nicht sagen. Aber: Israel hat sich vorbereitet. Diese beiden Operationen – denn ich unterscheide zwischen der Pager-Operation und der zweiten am folgenden Tag auf die Walkie-Talkies – sind darauf angelegt, entweder eine größere Offensive zu eröffnen oder eine überraschende Offensive der anderen Seite zu stören.

taz: Es geht also darum, die Kontrolle zu behalten?

Ja, und sie sind die Vorbereitung für extreme Umstände und Bedingungen. Es gleicht einem „last resort“ – einem letzten Ausweg. Und aus meiner Sicht wurde diese spezielle Operation nicht für die ursprüngliche Absicht ausgelöst.

taz: Warum?

Bergman: Bisher gab es keinen weiteren großangelegten Angriff Israels im Nachgang zu den Explosionen der Pager. Und auch eine Attacke seitens der Hisbollah, die es zu stören galt, stand offenbar nicht bevor. Aber das Ganze war geplant und wurde von israelischer Seite freigegeben. Es handelte sich also um eine bewusste Entscheidung.

taz: Der technische und logistische Aufwand war enorm. Wie konnte diese Operation gelingen?

Bergman: Es ist sehr schwer, in die Lieferkette solcher Produkte einzugreifen, und dann die Zeit zu haben, jedes einzelne Gerät zu manipulieren und wie in diesem Fall Sprengstoff zu installieren. Danach muss das Gerät ohne Spuren zu hinterlassen wieder nutzbar gemacht werden. Anstatt in der Lieferkette abzufangen, ist der Mossad also selbst zur Lieferkette geworden – und hat die Geräte selbst produziert. Wenn du die Oberhand über die Produktion hast, kannst du tun und lassen, was du willst. Technisch ist das Ganze eine enorme Herausforderung. Es muss sichergestellt sein, dass weder Experten noch Schnüffler („Sniffers“) den Sprengstoff entdecken. Wir sprechen hier über Milliarden, die in eine solche Operation investiert wurden.

52, ist israelischer Investigativjournalist sowie Sicherheits- und Geheimdienstexperte. Unter anderem schreibt er für die New York Times.

taz: Gibt es vergleichbare Aktionen in der Vergangenheit?

Bergman: Ich kann nur so viel sagen: Dies ist keine ungewöhnliche Aktion für das israelische „Verteidigungsestablishment“. Es gab etliche in der Vergangenheit – und es gibt noch mehr rote Knöpfe, die Operationen auslösen können.

taz: Was bedeuten diese Aktionen?

Bergman: Es geht darum den Feind zu stören. Etliche Hisbollahanhänger sind tot, rund 4.000 sind verletzt – und werden für sehr lange Zeit nicht im Einsatz sein können. Und natürlich ist es auch eine symbolische Machtdemonstration. Diese Geräte sind ja überall explodiert. Die Kommunikationsstruktur der Hisbollah sollte entlarvt werden. Und das könnte nun den Weg ebnen für eine größere Offensive Israels. Nasrallah sollte signalisiert werden, dass Israel nicht vor einer solchen Offensive zurückschreckt – wenn er nicht aufhört.

taz: Aber kommt es jetzt zu einer weiteren Eskalation?

Die Kommunikationsstruktur der Hisbollah sollte entlarvt werden

Bergman: Beide Seiten wollen keinen Krieg beginnen, und für beide Parteien wären die Konsequenzen schrecklich. Im Süden Libanons wird sich vermutlich nichts ändern.

taz: Und für die Zukunft?

Bergman: Ich kann keine Prog­nose abgeben. Israel hat der Hisbollah und der libanesischen Gesellschaft schwerwiegenden Schaden zugefügt. Es gibt viele Familien, die Tote oder Verletzte zu beklagen haben. Es kann sein, dass der Rückhalt für Nasrallah kippt. Sie fragen: Warum sollen wir unsere Leute dafür opfern?

taz: Es sind nicht nur Terroristen getötet oder verletzt worden. Ist diese Operation legitim?

Bergman: Es handelt sich um einen Terrorangriff gegen eine Terrororganisation. Wir sehen seit dem 8. Oktober einen ständigen und dauerhaften Angriff der Hisbollah auf Zivilisten im Norden Israels. Im Verständnis Israels hat die Hisbollah Israel den Krieg erklärt – damit ist Israel berechtigt, mit voller Härte zu reagieren. Diese Operation beinhaltete die geringste Zahl an Kollateralschäden. Das Hauptquartier der Hisbollah befindet sich in einem belebten Viertel. Wäre es eine Alternative gewesen, diesen Stadtteil zu bombardieren? Deutlich mehr Zivilisten wären dabei wohl gestorben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.