Das Handwerk in der Krise: „Sechs Nacktbild-Kalender“
Zum Tag des Handwerks berichten drei Frauen von ihren Erfahrungen. Fazit: Die Branche muss sich radikal verändern, wenn sie eine Zukunft haben möchte.
Yantin Fleischhauer, 24, Tischlerin in Leipzig
Louisa Kolzau, 28, Bootsbauerin aus Usedom
Ich bin Tischlerin und habe vor einem Jahr meine Ausbildung abgeschlossen. Ich mag es sehr, mit Holz zu arbeiten. Dass ich jetzt den Abschluss habe, war nicht gerade einfach. Denn mir ist schon zu Beginn der zweijährigen Ausbildung aufgefallen, dass hier etwas gewaltig schief läuft.
In meiner Berufsschule herrschte ein autoritärer und respektloser Ton. Besonders schlimm fand ich die sexistischen und rassistischen Vorfälle. Ein Lehrer witzelte, dass es einfacher wäre, mit einem Schlagstock durchzugreifen, und Schüler*innen mit Migrationshintergrund wurden regelmäßig diskriminiert, weil sie etwa die Aufgaben nicht direkt verstanden, auch das N-Wort wurde benutzt. Die Lehrmaterialien sind voller Stereotype, man fühlt sich wie in den 50ern: Männer sind immer die aktiven Handwerker, während Frauen im Hintergrund oder am Herd zu sehen sind.
Als eine von wenigen weiblich gelesenen Personen an meiner Schule fühlte ich mich oft allein. Ich war am Ende meiner Ausbildung die einzige in meiner Klasse von zwanzig Auszubildenden. Ich finde es super frustrierend, dass FLINTA-Personen im Handwerk immer noch eine Seltenheit sind.
Zum Tag des Handwerks am 21. September hat das Azubihilfe Netzwerk Aktionen geplant.
Info unter: https://www.azubihilfe-netzwerk.de/2024/08/29/wir-werden-laut/
Auch in meinem Betrieb war es nicht einfach. Ich musste ständig dafür kämpfen, dass ich überhaupt Arbeiten machen durfte, bei denen ich etwas lernen konnte, anstatt nur zu fegen oder zu streichen. Betriebe werden nicht genügend geprüft, ob sie überhaupt die nötige Voraussetzung erfüllen, Azubis eine anständige Ausbildung zu bieten. Ich hätte fast hingeschmissen, aber bin jetzt froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Auf einem bundesweiten Tischler*innentreffen vor zwei Jahren traf ich auf viele andere FLINTA-Personen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Da ist mir zum ersten Mal richtig klar geworden: Das, was ich erlebe, ist kein Einzelfall. Wir haben uns dann schon auf dem Treffen entschieden, das Azubihilfe Netzwerk zu gründen, um andere Auszubildende zu unterstützen und uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen im Handwerk starkzumachen.
Im Fokus stehen marginalisierte Gruppen, wie etwa FLINTA-Personen oder Menschen mit Behinderung. Wir bieten unabhängige Beratung und rechtlichen Beistand. Dinge, die die Handwerkskammern uns Azubis leider nicht ausreichend bieten. Es ist wichtig, dass wir alle unsere Rechte kennen, denn oft werden wir von den Betrieben als billige Arbeitskräfte ausgebeutet. Viele verdienen in der Ausbildung kaum genug zum Leben und sind in Abhängigkeit von ihren Betrieben gefangen. Ich habe zum Beispiel in meiner Ausbildung nur rund drei Euro die Stunde verdient.
Eine unserer zentralen Forderungen ist, dass Lehrkräfte diskriminierungssensible Schulungen bekommen. Wir brauchen mehr Mitspracherecht in den Betrieben und gerechte Entlohnung. Außerdem fordern wir, dass unser Netzwerk finanziell gefördert wird, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können. Aktuell arbeiten wir alle ehrenamtlich, aber es wird immer deutlicher, dass der Bedarf sehr groß ist.
Louisa Kolzau, 28, Bootsbauerin aus Usedom
Die Ausbildung, die ich gerade mache, ist super vielfältig. Wir bauen Boote neu, oder restaurieren alte. Besonders cool finde ich, dass ich hauptsächlich mit Holz arbeite, aber es gibt auch Metall- und Kunststoffarbeiten, je nach Betrieb. Bei uns in der Werft machen wir oft Workshops, in denen Teilnehmende ihr eigenes Boot bauen können. Das finde ich toll, weil es zeigt, wie handfest und kreativ dieser Beruf ist.
Was ich besonders schätze, ist der angenehme Umgang in unserem Betrieb. Wir sind vier Frauen und drei Männer. Meine Chefin ist großartig – wir reden auf Augenhöhe. Das ist leider in anderen Werften anders, wo es noch typisch männliche Dominanz gibt. In meiner Berufsschulklasse sind überraschend viele Frauen, sieben von 21 – das ist aber die Ausnahme. Auch an meiner Berufsschule tut sich in letzter Zeit ein bisschen was: Zum Beispiel haben die Schüler*innen unter die männliche Form an den Türen einfach noch ein ‚Sternchen-Innen‘ dran geschrieben. Die Lehrer bemühen sich auch, zum Beispiel um moderneres Lehrmaterial.
So toll die Arbeit auch ist, die Bezahlung ist eine Katastrophe. Ich bekomme im ersten Lehrjahr den Mindestlohn, also knapp 490 Euro. Zusätzlich noch Berufsausbildungshilfe (BAB) vom Amt, damit darf ich am Ende des Monats aber null Euro auf dem Konto haben. Viele müssen ihre Heimat verlassen, weil die Bootsbaubetriebe oft in Wassernähe sind, und das heißt, man muss Miete zahlen und für seinen Lebensunterhalt sorgen. Einige müssen sich sogar verschulden, um die Ausbildung überhaupt durchzuhalten. Die BAB hängt vom Einkommen der Eltern ab. Wenn die zu viel verdienen, kriegt man nichts.
Ein riesiges Problem sind die Kosten, die für die Unterbringung bei der Berufsschule entstehen. Die einzige Berufsschule für Bootsbau in Deutschland ist in Lübeck, und wir müssen für unsere Schulblöcke natürlich irgendwo in der Nähe unterkommen. Es gibt ein Internat, aber das kostet 37 Euro pro Nacht. Einige aus meiner Klasse schlafen bei Wind und Wetter draußen im Wald, weil sie sich das nicht leisten können. Meine Eltern haben mir Geld geliehen, damit ich mir ein Wohnmobil kaufen konnte. In dem wohne ich jetzt full time und spare die Miet- und Internatskosten. Die Schulden muss ich nach meiner Ausbildung tilgen. Manche haben Glück, dass der Betrieb die Internatskosten übernimmt, aber das ist keine Pflicht. Von der BAB werden diese Kosten nicht gedeckt und Förderungen für die Berufsschule sind Ländersache. Und das ist ja das Verrückte: Alle wollen, dass wir Fachkräfte werden, aber es gibt so wenig Unterstützung. Da frage ich mich manchmal schon, warum sich die Leute dann wundern, dass immer weniger in solche Berufe gehen.
Anna Malli (Name geändert), 21, Mechatronikerin in Leipzig:
Mich hat Technik schon immer interessiert, deshalb wollte ich die Mechatronikausbildung machen. Das war ein harter Weg, besonders weil ich im ersten Betrieb sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe. Ursprünglich habe ich in einer kleinen Firma auf dem sächsischen Land angefangen, aber dort wurde ich kaum betreut. Meinen Ausbildungsleiter, der Chef des Betriebs, habe ich nur gesehen, wenn ich mal eine Unterschrift brauchte.
Das eigentliche Problem hatte ich jedoch in der überbetrieblichen Lehrwerkstatt, wo ich die meiste Zeit verbrachte. Dort herrschte ein extrem feindliches Umfeld. Eine Gruppe von etwa fünf Azubis, mit denen ich da für Monate Lehrgang hatte, waren bekennende Nazis. Die haben mich als Frau nicht ernst genommen. Es begann mit abfälligen, sexistischen Kommentaren, doch das steigerte sich bis hin zu Morddrohungen. Die Ausbilder haben das entweder nicht bemerkt oder es ignoriert. Ich habe mich entschieden, nichts zu sagen, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Rückblickend war das wohl die einzige Möglichkeit, durchzukommen.
Ich habe dann beschlossen, den Betrieb zu wechseln, aber das ist nicht so einfach. In Deutschland kann man eine Ausbildung nicht einfach so in einen anderen Betrieb verlagern, weil der Vertrag, der über die Handwerkskammer läuft, das nicht vorsieht. Ich musste meinen Betrieb überzeugen, mir einen Aufhebungsvertrag zu geben. Zunächst wollte man mich nicht gehen lassen, und die Sachbearbeiterin im Betrieb gab mir falsche Informationen – sie behauptete, ich könnte einfach kündigen und die Ausbildung fortsetzen. Hätte ich das getan, hätte ich jedoch meine ganze Ausbildung abbrechen müssen.
Am Ende hat der Wechsel funktioniert, aber es war ein zäher Kampf. In meinem neuen Betrieb in Leipzig lief es viel besser. Ich wurde endlich ernst genommen. Dort gibt es auch eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, was in kleineren Betrieben oft fehlt. Diese Vertretung achtet darauf, dass die Rechte von Azubis eingehalten werden – etwa bei der Schutzkleidung oder den Arbeitszeiten. Ich bin mittlerweile selbst Teil dieser Vertretung und setze mich dafür ein, dass die Arbeitsbedingungen besser werden.
Wenn ich zurückblicke, frage ich mich manchmal, warum ich überhaupt so lange in der Ausbildung geblieben bin, vor allem nach den schrecklichen Erfahrungen. Ich wollte aber den Beruf wirklich lernen. Viele Frauen, die mit mir angefangen haben, haben die Ausbildung abgebrochen, weil sie den ständigen Sexismus und das feindliche Umfeld nicht mehr ausgehalten haben. Es gibt viele Arbeitsplätze, die für Frauen einfach nicht ausgelegt sind – oft fehlt es schon an einfachen Dingen wie Frauenumkleiden oder Toiletten. Ich war mal in einer Abteilung, da hingen sechs Nacktbild-Kalender nebeneinander. Viele Betriebe sehen keinen Grund, daran zu rütteln. Doch wenn wir mehr Frauen in Industrie und Handwerk wollen, müssen sich diese Strukturen dringend verändern.
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