piwik no script img

Landtagswahl in SachsenCDU und AfD Kopf an Kopf

Die CDU kann nach ersten Hochrechnungen in Sachsen weiterhin den Ministerpräsidenten stellen. Höchstens knapp hinter ihr liegt die AfD.

So sieht ein Sieger aus? Michael Kretschmer (CDU), amtierender Ministerpräsident von Sachsen Foto: Robert Michael/dpa

Berlin/Dresden taz | Zweimal brandete um 18 Uhr zumindest Beifall auf im großen Fraktionssaal der CDU im Sächsischen Landtag. Erwartbar, als die erste Prognose die Union mit rund 32 Prozent in Sachsen knapp vor der AfD sah. Fast noch längeren Applaus gab es dann für die Wahlbeteiligung im Bundesland von rund 74 Prozent. Für rauschhafte Begeisterungsausbrüche ist eine bürgerliche, um nicht zu sagen spießige Union nicht gerade bekannt. Aber selbst gemessen daran blieben die Reaktionen auf ihrer Wahlparty zunächst verhalten.

Dann aber kommt ER mitsamt Entourage in den Saal: Ministerpräsident Michael Kretschmer. Jetzt ist der Beifall intensiv und ausdauernd. „Wir haben allen Grund zu feiern“, jubelt der 49-Jährige.

Wenn man denn so will, gibt es ausweislich der ersten Zahlen sogar drei solcher Gründe: Erstens hat die CDU ihr Niveau von 2019 ungefähr gehalten. Zweitens wird sie voraussichtlich weiterhin den Ministerpräsidenten stellen, so wie durchgehend seit der Wiedervereinigung. Und drittens ist eben für Sachsen möglicherweise der Worst Case verhindert: die AfD als stärkste Kraft.

Kretschmer selbst wird sich dadurch in seinem Kurs bestätigt sehen: Eine Zusammenarbeit mit der AfD auf Landesebene lehnte er zwar strikt ab. Inhaltlich aber hatte er es nicht erst seit diesem Wahlkampf auf eine Klientel rechts der Mitte abgesehen. So forderte er wiederholt eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Die Ukraine-Solidarität ist bei ihm demonstrativ schwächer ausgeprägt als bei der Bundes-CDU; seine Kritik an der Ampelkoalition in Berlin klingt dafür meist noch schärfer als die von Parteichef Friedrich Merz. „Die Menschen sind enttäuscht von dem, was in Berlin passiert!“, sagt er auch jetzt auf seiner Wahlparty. Deswegen hätten sie CDU gewählt.

Auch seine eigenen Koalitionspartner auf Landesebene, SPD und vor allem Grüne, nahm Kretschmer im Wahlkampf von den Attacken nicht aus. Er setzte als Regierungschef auf Proteststimmung – und hatte damit einen gewissen Erfolg.

Kein klarer Sieg

Allerdings ist es höchstens ein Sieg mit starkem Beigeschmack. Erstens: Kleinbekommen hat auch Kretschmer die AfD nicht. Im Vergleich zur Wahl 2019 konnte auch sie noch einmal zulegen, am Wahlabend lag sie nur hauchdünn hinter der CDU. Entsprechend wurde auch auf der Wahlparty der Rechtsextremen gejubelt. Zweitens: Die Regierungsbildung wird für die CDU in den nächsten Wochen nicht ganz einfach.

Die erste rechnerisch mögliche Option, ein Bündnis mit der AfD, scheidet faktisch aus. Noch nicht ganz klar war auf Basis der ersten Prognose, ob eine Koalition allein aus CDU und BSW im Landtag eine Stimmenmehrheit hätte. Die Wagenknecht-Partei kam aus dem Stand auf über 11 Prozent.

Inhaltlich gäbe es Schnittmengen mit der Union, in der Migra­tionspolitik und in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen ticken schließlich beide Parteien rechts. In der Ukraine-Politik liegen zumindest zwischen Kretschmer und Wagenknecht auch keine Welten. Aus Sicht der Bundes-CDU wäre eine solche Koalition zwar schwieriger zu verkaufen, offiziell will man dem Landesverband aber freie Hand lassen. Als großes Hindernis bleibt die Frage, wie regierungsfähig und regierungswillig Wagenknechts Partei wenige Monate nach ihrer Gründung tatsächlich ist.

Auf der Dresdner Wahlparty sorgt der Ausblick auf eine mögliche Koalition mit dem BSW zumindest für Augenrollen: Dort ist von zu vielen auffälligen Schnittpunkten Wagenknechts mit der AfD die Rede. In den Gesprächen darüber wird schon gar nicht mehr gehört, was Generalsekretär Carsten Linnemann im Fernsehen zum Thema zu Sagen hat.

Grüne schielen auf Wahlkreise

Und eine Neuauflage der Kenia-Koalition mit SPD und Grünen? Vor der Wahl galt auch das als Option. Auf der atmosphärischen Ebene müssten die drei Parteien nach dem vergifteten Wahlkampf allerdings erst mal Hürden beseitigen – und am Sonntag war zunächst unklar, ob es rechnerisch überhaupt reicht.

Unsicher war zunächst nämlich, ob die Grünen im neuen Landtag sitzen. Sie lagen knapp über 5 Prozent; schielten deswegen auch noch auf die laufenden Auszählungen in den Wahlkreisen: Auch zwei Direktmandate würden für den Einzug in Fraktionsstärke reichen.

Die Verluste der Grünen (2019 holten sie noch ihr Rekordergebnis von 8,6 Prozent) haben viele Ursachen: unter anderem den negativen Trend im Bund, die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der Ukraine-Hilfe, die Anti-Grünen-Sprüche des Ministerpräsidenten im Freistaat – aber auch dessen Aufrufe zum taktischen Wählen. Obgleich Kretschmer inhaltlich rechte Akzente setzte, wilderte er auch unter progressiven Wähler*innen. Die CDU warb auch bei ihnen damit, dass sie als stärkste Kraft vor der AfD bleiben müsse.

Weniger Schaden als bei den Grünen richtete das offenbar bei der SPD an. Sie lag in den ersten Hochrechnungen mit knapp 8 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie 2019 – obwohl ihr Wiedereinzug als unsicher galt. Nicht, weil die Sachsen-SPD schlecht regiert hätte. Aber auch sie kämpfte so stark wie nie mit Gegenwind aus Berlin. Den schlechten Ruf der Ampel bekamen auch die So­zi­al­­­de­mo­kra­t*in­nen im Wahlkampf zu spüren. Die angekündigte Stationierung neuer US-Raketen in Deutschland und der Einsatz deutscher Waffen auf russischem Gebiet waren zusätzliches Gift.

Komplexe Verhältnisse

Dass das Wahlergebnis trotzdem glimpflich ausfiel, könnte auch an Sozialministerin Petra Köpping liegen. Die bodenständige Sächsin passt so gar nicht zu dem populistischen Feindbild der abgehobenen Politikerkaste. „Ich bin genauso froh wie ihr“, jubelte sie am Abend vor Ge­nos­s*in­nen auf der SPD-Wahlparty. In den Koalitionsgesprächen wird womöglich auch sie wieder eine Rolle spielen.

Auf der CDU-Wahlparty lässt sich der Ministerpräsident noch nicht in die Karte schauen, zu welcher Konstellation er tendiert. Nur eine erste, vage Koalitionsbedingung stellt Kretschmer auf: „Ein Koalitionsvertrag wird zuerst mit dem Land und den Menschen gemacht, dann kommt eine Weile nichts.“ Ein solcher Vertrag werde nicht einfach, aber eine stabile Regierung für das Land könne gelingen.

Im Laufe des Abends könnte sich die Lage aber noch etwas komplexer gestalten: Dann, wenn auch die Linke auf den letzten Metern noch den Wiedereinzug in den Landtag schafft und sich die Mandate zwischen sechs Parteien aufteilen. An der 5-Prozent-Hürde ist die Partei zwar gescheitert. Ein Debakel für die Ex-PDS, die in Sachsen seit der Wende stets zweistellig abgeschnitten hatte. Aus der Abspaltung des Lagers um Sahra Wagenknecht ist die verbliebene Linke eindeutig als Verliererin hervorgegangen. Aber auch sie konnte zunächst noch darauf hoffen, durch zwei Direktmandate doch wieder in Fraktionsstärke einzuziehen.

Nicht mal mehr darauf kann dagegen die FDP spekulieren. Für sie verlief der Abend noch desaströser. Im Landtag saßen die Freidemokraten zwar auch bislang nicht, am Sonntag schmierte sie aber noch weiter auf unter 2 Prozent ab. Das erste, was nach 18 Uhr klar war: Für die Regierungsbildung spielt die FDP weder direkt noch indirekt eine Rolle.

Update um 20.10 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Der absolute Irrsinn, die Leute haben zum Großteil virtuelle Probleme im Kopf. Was auffällt ist, dass in der Migrationsdikussion Zahlen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Wirft man einen Blick auf diese, so ist von einer Krise kaum etwas zu sehen, s. www.bamf.de/Shared...ublicationFile&v=2

    Die Zahlen liegen deutlich niedriger als 2023, die wiederum noch weit unter denen des Jahres 2015 lagen. Die Krise wird herbeigeredet oder es werden reale Krisen auf anderen Gebieten (Wohnung, Bildung) den Flüchtlingen angehängt. Das Gerede von Merz wirkt vor diesem Hintergrund bizarr und hysterisch, wer profitiert auf der Basis einer schlimmen Straftat eines Extremisten? Natürlich die AfD.

    Gleichzeitig macht der Klimawandel offenbar in Sachsen und Thüringen Pause, muss man sich nicht mehr drum kümmern oder gar sorgen. Und dass natürlich der Ukrainekrieg von Kretschmer oder Voigt entscheidend beeinflusst wird muss mir auch noch jemand erklären, spielt ja selbst Scholz nur eine Nebenrolle. Eine völlig verzerrte Realität, ein trumpesker Wahlkampf war das.

  • "Das erste, was nach 18 Uhr klar war: Für die Regierungsbildung spielt die FDP weder direkt noch indirekt eine Rolle."



    Das sorgt dennoch für Zündstoff in Berlin mit Blick auf Brandenburg. (1 % ist Splitterpartei)



    Es wurden ja mehr oder weniger bundespolitische Themen im Wahlkampf weit überwiegend adressiert.

  • es geht um Demokratie an sich - fürchte ich.



    Ist es sinnvoll einfach die Mehrheit entscheiden zu lassen was zielführend ist? Ist Zuwanderung wirklich DAS Problem in Deutschland? Ist es "sinnvoll" weiter Autos mit Dieselmotor zu (ver)kaufen? Müssen wir echt noch diskutieren ob es einen menschengemachten Klimawandel gibt oder nicht (obwohl das seit weit über 50 Jahren wissenschaftlich bewiesen ist)? Oder darüber ob Höcke ein Nazi ist (was wissenschaftlich eher nicht zu beweisen, aber extrem naheliegend sein dürfte)?



    Aufgabe von Politik sollte es sein Lösungen für die drängendsten Probleme eines Landes und/oder der Menschheit zu finden und umzusetzen. Oder? Darin ist die aktuelle Bundesregierung zwar nicht wirklich gut, aber nachweisbar besser als die Letzte. Ohne FDP wäre das wohl noch mehr der Fall).



    Was also kann ein rational denkender Mensch noch anderes tun als verzweifeln? Demokratie abschaffen und ein Diktat der wissenschaftlichen Erkenntnis fordern? Suizid?



    Einmal in einem Bundesland (Thüringen bietet sich dafür leider an) kozertiert AFD wählen wäre vielleicht eine Lösung. Damit die Nazis einmal beweisen können dass Sie eben keine echten Lösungen anzubieten haben.