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Frankreichs neuer PremierministerAlles, was rechts ist

Harriet Wolff
Kommentar von Harriet Wolff

Mit dem konservativen Michel Barnier brüskiert Macron Frankreichs Linke. Nicht überraschend, wenn die mit Le Pen votieren, um ihn zu Fall zu bringen.

Machtübergabe an Michel Barnier – damit brüskiert Macron die französische Linke Foto: Julien Mattia/Pictorium/imago

W ie schrieb doch gleich Laurent ­Joffrin, Ex-Chef der linken Pariser Tageszeitung Libération, jetzt süffisant über Michel Barnier als neuen Premier? Frei übersetzt: Barnier sei kein schlechter Tropf, aber eine höchst arme Sau, der er viel Glück wünsche, auf dass er „dieses arme Frankreich“ nicht noch mehr herunterwirtschafte. Bingo!

Dazu kommt, dass der 73-Jährige ein stockkonservatives Mitglied der Partei Les Républicains ist. Ja, Barnier ist ein Organisationstalent, diplomatisch und eloquent. Der ehemalige EU-Kommissar hatte ab 2016 federführend den Brexit mit dem Vereinigten Königreich verhandelt.

Aber Barnier, der 2021 den internen Parteientscheid für eine Präsidentschaftskandidatur verlor, ist keiner, der bis jetzt klare Kante gegen den rechtsextremen Rassemblement National (RN) gezeigt hat, wofür er dieser Tage vergiftetes Lob von dessen Anführerin Marine Le Pen erhalten hat. Er plädiert für eine härtere Sozialpolitik, will keine Menschen mehr ohne Papiere in Frankreich legalisieren, auch wenn sie dort arbeiten und verwurzelt sind.

Und Barnier hat sich immer wieder für ein Moratorium in der französischen Immigrationspolitik ausgesprochen – düstere Aussichten für Flüchtlinge. Seine Ernennung – Monate nach der von Macron verfügten Parlamentsauflösung und den Neuwahlen, die nichts klärten, wie es der qua Verfassung viel zu mächtige Präsident doch angekündigt hatte – bedeutet das Ende der nouveau monde – jener schönen neuen, angeblich alle Menschen mitnehmenden Welt, mit der Macron 2017 den Durchmarsch mit seiner Partei En ­Marche geschafft hatte.

Jetzt ist die vieux monde wieder zu 100 Prozent da in der alten französischen Politik, und gemäß dem Matthäus­evangelium (die Letzten werden die Ersten sein) stellt nun nicht das linke siegreiche Wahl- und Parteienbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) den Premier, sondern die abgeschlagenen Republikaner. Dass es so weit gekommen ist, daran trägt aber auch der NFP eine Mitschuld.

RN schon in den Startlöchern

Große Teile der Linken emanzipieren sich nicht von Jean-Luc Mélenchon, der mit seiner Ultradevise „Nur das Programm des NFP, nichts als das Programm“ kompromissfähige Mitte-links-Kandidat:innen verhindert hat. So hat sich die Linke, die eine Machtoption hatte, selbst hinausgekickt. Und der lachende Dritte? Ist der RN. Marine Le Pen und Parteichef Jordan Bardella sind mit 123 Abgeordneten von 577 die Königsmacher im Parlament.

Sie werden die Regierung Barniers am rechten Gängelband halten, und sie werden sie zusammen mit den Linken, die damit leider kein Problem haben, per Misstrauensvotum stürzen. Das wäre dann vorerst der letzte Akt im Trauerspiel Frankreich. Merci, Macron.

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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13 Kommentare

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  • Das Mélenchon-Bashing nimmt hier schon skurrile Züge an. Mélenchon ist überaus kritikwürdig und man muss wirklich nicht alles toll finden, was er sagt und tut. Fakt ist aber, dass er einer Nominierung von Lucie Castets nicht im Wege stand - Macron hat sie abgelehnt.



    Der Linken auf die o.g. Art und Weise eine Mitverantwortung für die Ernennung von Barnier in die Schuhe zu schieben, ist nicht nur falsch, sondern auch unredlich.



    Zu der Forderung die Linke, die allein durch ihr gemeinsames Verhalten vor der Wahl den Siegeszug des RN verhindert hat, müsse sich von Mélenchon emanzipieren, kann man nur den Kopf schütteln...

    • @waigelghost:

      Was Corbyn in England, ist Mélenchon in Frankreich: die Verkörperung von allem, was links ist, quasi der Leibhaftige in Person.

      Das sieht Macron genau so wie Le Pen.

      Was interessieren da schon die Wahlergebnisse? Es geht um ein "weiter so!" der bisherigen Politik, egal mit welchen (undemokratischen) Mitteln.

  • Damit hat Macron sein politisches Ansehen vollends verspielt.



    Traurig, was der Mann mit Frankreich macht.



    Erst fährt er das Land mit riskanten Neuwahlen fast an die Wand und läßt die FDG dann von einem Linksbündnis retten.



    Um letzteres, das eine demokratische Mehrheit errungen hat, dann zu übergehen und nicht an die Macht zu lassen.



    Abstoßend.

  • Macron isoliert sich und diese Regierung wird auf starken linken Widerstand stoßen.



    Damit ist viel Ärger vorprogrammiert. Davon profitieren die Linken und die extreme Rechte. Das Land spaltet sich und gerade Mitte-Rechts (Barnier) könnte danach regelrecht verschwinden. Und Macron geht irgendwann sowieso, seine Partei könnte dann auch ihren Geist aufgeben.



    Insgesamt Frankreich nicht zur Ruhe kommen, die Spaltung wächst, viele Franzosen sind verunsichert, aggressiv, genervt und frustriert.

  • Ich verstehe dieses System in Frankreich nicht ganz (und es wird auch kaum erklärt in den Artikeln), aber was ich so mitkriege, weckt immer mehr Stirnrunzeln.

    Ist das denn noch eine Demokratie?

    Es fehlt an einem Mechanismus, dass die Anteile der Stimmen je Partei in gleichen Anteilen Abgeordneten im Parlament umgesetzt werden. (Wäre in jedem Wahlkreis die Partei xyz die stärkste, gäbe es nur Abgeordnete der Partei xyz)

    Der Präsident kann das Parlament auflösen.

    Der Präsident ernennt den Regierungs-Chef - und das Parlament kann nicht mitreden.

    Das läuft nun auf etwas raus, was bei uns eine Minderheitsregierung wäre.

    Sehe ich das richtig? Wenn ja, ist das für mich nicht mehr wirklich eine Demokratie. Sorry.

    • @Brombeertee:

      Frankreich ist eben eine Präsidialdemokratie, in der der Premier nur eine Art erster Sekretär des Präsidenten ist und die Abteilungen im Elysée wichtiger sind als die Ministerien. Die 5. Republik ordnet die Assemblée Nationale deutlich schwächer ein als den Präsidenten. Das Ganze war 1958 die Reaktionen auf die Dominanz des Parlaments in der 4. Republik, die keine stabilen Regierungen zustande brachte.

      • @Nordischbynature:

        Danke für die Erläuterung.

        Noch eine naive Frage: wird nun Barnier der Nachfolger von Macron oder wird er unter Macron ein anderes Amt als Macron innehaben?

    • @Brombeertee:

      Sie stellen die richtigen Fragen. Es gibt zwar ein paar Subtilitäten, aber was hier schmerzlich fehlt, sind die in D so gehassten Koalitionsverhandlungen.

  • Warum sollte Le Pen diesen Premier stürzen, der ihre politisches Programm umsetzt? Sie wird stolz verkünden, dass das die Regierung von ihren Gnaden handelt und Macron die Marionette im Elysee Palast. Und Macron kann die reaktionäre Politik fortsetzen

    • @Philippe Ressing:

      Zu glauben, Le Pen hätte ein politisisches Programm, ist naïv. Es handelt sich beim Rassemblement National weniger um eine Partei als um ein mittelständisches Unternehmen, Ziel: Reichtum und Ruhm. Das ist alles. Aber natürlich ist der rechte Premier für das RN kein Geschenk, weil die Linke jede sozialfeindliche Reform mit einem Mistrauensvotum beantworten wird und das RN entscheiden muß, ob es dagegen oder dafür stimmt und beides ist schlecht für das Unternehmensziel.

  • Wundert es jemanden, dass die Menschen die Nase voll haben von dieser Art der Demokratie? Die Wähler in Frankreich haben gewählt, der Präsident brüskiert. Kein Wunder, dass die Populisten gewinnen.

    • @Jens Barth:

      Die Menschen in Frankreich haben gewählt - richtig, aber nur durch die List gegen den RN jeweils fast immer nur einen Kandidaten antreten zu lassen konnte der Sieg für den RN verhindert werden - das scheinen sehr sehr viele schon wieder vergessen oder verdrängt zu haben.



      Die Idee die Demokratie zu übertölpeln spielt den Populisten in Frankreich wie in Deutschland in die Hände - Gemäßigte wollen in beiden Ländern mit Taschenspielertricks oder Brandmauern die Totengräber der Demokratie von der Macht fernhalten, treiben damit ungewollt aber den Populisten peu a peu mehr Menschen zu und werden so selbst zu den Totengräbern der Demokratie.

    • @Jens Barth:

      Die französischen Wähler*innen haben aber gerade auch stark die Populisten gewählt – RN wie Mélenchon et al. gewählt –, aber keiner Gruppe eine hinreichende Mehrheit erteilt. Was passiert nun aber, wenn alle die Nase voll haben, aber zu wenige konstruktiv und demokratisch agieren wollen?