Anschlag in Solingen: Ein großes Gefühl der Unsicherheit

In Solingen wurden am Freitag drei Menschen bei einem Messerangriff getötet. Nun kämpft die Stadt mit den Folgen.

Mit Blumen, Kerzen, Schildern drücken Menschen in Solingen ihre Trauer und Fassungslosigkeit über den Anschlag aus Foto: Thilo Schmuelgen/rtr

SOLINGEN taz | Von dem geplanten „Festival der Vielfalt“ und der ausgelassenen Stimmung sieht man einen Tag später nichts mehr. Die Gassen der Stadt rund um den Fronhof sind wie leergefegt. Einsatzkräfte der Polizei stehen an jeder Straßenecke, ein Dutzend Kamerateams ist unterwegs. Auf dem Boden vor dem Fronhof liegt ein Blumenmeer auf einer großen Regenbogenflagge.

Vor weniger als 24 Stunden waren hunderte Menschen in der Solinger Innenstadt versammelt, um das 650-jährige Jubiläum ihrer Stadt zu feiern. Unter dem Motto „Festival der Vielfalt“ waren das ganze Wochenende Konzerte und Veranstaltungen geplant.

Während einem Bandauftritt am Fronhof – einem Marktplatz in der Solinger Innenstadt – geht ein unbekannter Mann mit einem Messer auf die Feiernden los und sticht mutmaßlich wahllos auf sie ein. Er tötet drei Menschen und verletzt acht weitere, fünf davon schwer. Sofort nach der Tat ergreift der Täter die Flucht und wirft die Tatwaffe in einen nahegelegenen Mülleiner.

Suzan Köcher ist mit ihrer Band mitten in ihrem Auftritt, als sie bemerkt, wie die Stimmung in der Menge kippt. Der taz und anderen Medien hat sie ein Statement geschickt: „Wir hatten gerade die letzte Note unseres vorletzten Songs gespielt, da ist mir plötzlich aufgefallen, dass die Leute fluchtartig den Platz verlassen.“

„Ich bin unglaublich traurig“

Als sie Menschen schreien hört, sucht sie sich Schutz. „Wir wussten nicht, auf wen es der Angreifer abgesehen hat und ob es sich um ein Messer oder eine Schusswaffe handelt, weshalb ich mich so flach hingelegt habe wie es geht. Von der Tat selbst habe ich nichts gesehen“, schreibt die Sängerin weiter. Für ein Interview steht sie derzeit nicht zur Verfügung, der Schock sitzt zu tief. „Ich bin unglaublich traurig. Wir haben mit unserem Publikum getanzt und uns treiben lassen. Sekunden später haben Menschen ihr Leben verloren und hunderte weitere Leben haben sich schlagartig verändert.“

Die Motive und Identität des Täters sind weiterhin unklar. Auch ob er allein gehandelt hat oder einem Netzwerk angehört, konnte die Polizei bis zum Samstagabend nicht sagen.

Daniela Tobias von der Bürgerinitiative Bündnis „Solingen ist Bunt statt Braun“ beobachtet, wie einige Menschen bereits das Motto der Jubiläumsfeier zum Anlass nehmen, um gehässige Kommentare über den Anschlag zu hinterlassen. „Schon wenige Minuten nach dem Anschlag kamen die ersten E-Mails und Kommentare bei uns an. Auf Begriffen wie Vielfalt oder Klingenstadt wurde sofort rumgeritten“, sagt Tobias der taz.

Der sogenannte „Solinger Widerstand“ – ein Sammelbecken für Impfgegner und Rechtsextreme – hat bereits mit Plakaten in der Stadt zu einer Montagsdemo anlässlich des Anschlags aufgerufen. Auch wenn Tobias die Reichweite dieser Gruppe für klein hält, ein fader Beigeschmack bleibe doch.

„Diese Hetze macht Sorge“, sagt sie. Außerdem herrsche in der Stadt ein großes Unsicherheitsgefühl, weil so viele Fragen noch offen seien. Das hinterlasse ein mulmiges Gefühl, auch für künftige Feiern. „Eigentlich wirkten die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei ja bereits sehr gründlich“, sagt Tobias.

Erinnerungen an die Brandanschläge

Es ist gerade diese Unsicherheit, die Pfarrer Thomas Förster von der Evangelischen Kirche in Solingen bewegt. „Viele Menschen wünschen sich gerade in der Frage des Täters endlich Klarheit. Das würde sicher viel zum Sicherheitsgefühl der Menschen hier beitragen“, sagt Förster der taz.

Die evangelische Kirche hat nach dem Anschlag eine Notfallseelsorge für die Betroffenen des Anschlags einrichtet. „Viele Menschen können noch gar nicht wirklich sortieren, was passiert ist. Je näher dran sie an den Geschehnissen waren, desto schwerer haben sie es.“

Der Anschlag weckt bei vielen Menschen in Solingen Erinnerungen an die Geschichte der Stadt. „Erst vor ein paar Monaten hatten wir einen Brandanschlag in der Stadt, und der Brandanschlag vor 30 Jahren kommt in so einem Moment natürlich auch sehr schnell in den Kopf.“ Förster hofft trotz allem auf den Zusammenhalt seiner Mitbürger. „Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wie schnell man sich über so eine Tragödie spalten kann. Ich würde mir wünschen, dass wir das als Stadt gemeinsam durchstehen“, sagt der Pfarrer.

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