Drohnen über Atommülllager: Leichtes Ziel für Luftangriffe
Drohnen verletzten seit Wochen die Flugverbotszone in Brunsbüttel. Dort steht viel kritische Infrastruktur – und ein Atommüll-Zwischenlager.
Wie lange es von der ersten Sichtung dauerte, bis einem Spionageverdacht nachgegangen wurde, wie viele Drohnenüberflüge registriert worden sind, ob es sich tatsächlich um russische Drohnen handelt oder ob es andere Hinweise auf Typus und Herkunft der Drohnen gibt? Zu all dem wollte die Staatsanwaltschaft Flensburg, die für Staatsschutzbelange in Schleswig-Holstein zuständig ist, am Montag auf taz-Nachfrage nichts sagen. Aus „ermittlungstaktischen Gründen“, so Oberstaatsanwalt Thorkild Petersen-Thrö. Auch das Innenministerium hält sich mit dem Hinweis auf laufende Ermittlungen bedeckt.
Dabei ist das von den Drohnen überflogene Gebiet ein sensibles: Bei Brunsbüttel mündet der Nord-Ostsee-Kanal in die Elbe, zahlreiche Firmen haben sich angesiedelt, darunter aus der chemischen und Mineralöl-Industrie im Chemcoast-Park. Ein LNG-Terminal entsteht gerade. Ebenfalls in Brunsbüttel liegt ein Atomkraftwerk, das sich im Rückbau befindet. Die Anlagen gelten als Teil der kritischen Infrastruktur.
Zunächst war die Polizei vor Ort nur von nicht angemeldeten Drohnenflügen in der Flugverbotszone ausgegangen. Solche Flugverbote gelten um kerntechnische Anlagen grundsätzlich, so das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. In Brunsbüttel ist es besonders heikel, denn auf dem Gelände lagern Castorbehälter, seit 2015 ohne Genehmigung. Der Grund, aus dem ein Gericht das Zwischenlager verboten hatte, ist die Sorge darüber, dass die Kavernen, also die unterirdischen Lagerstätten, nicht ausreichend gegen Terrorangriffe gesichert sein könnten.
Genehmigung für Atommüll-Zwischenlager enzogen
Im Jahr 2004 hatte ein Anwohner aus Angst vor zufälligen oder geplanten Flugzeugabstürzen geklagt – seit dem Angriff auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 ein denkbares Szenario. Mehr als zehn Jahre lang stritt der Kläger, unterstützt von Naturschutzvereinen, vor Gericht.
In den Verfahren erklärte das Bundesamt für Strahlenschutz, es habe „die potentiellen radiologischen Auswirkungen eines Flugzeugabsturzes“ umfassend geprüft, sogar gegen „den Widerstand der kernkraftwerkbetreibenden Stromversorger“ mehr Szenarien untersucht, als gesetzlich vorgeschrieben gewesen sei. Grundsätzlich seien in Folge des 11. September bei allen Standort-Zwischenlagern gezielte Flugzeugabstürze als Gefahr einbezogen worden, heißt es seitens des Bundesamtes.
Dennoch sahen sowohl das Ober- als auch das Bundesverwaltungsgericht Fehler im Prüfverfahren und entzogen dem Zwischenlager in Brunsbüttel die Genehmigung. Seit 2015 ist das Lager per ministerieller Anordnung also nur noch „geduldet“. Die Castorbehälter stehen bloß deshalb noch dort, weil es keinen anderen Ort gibt, der sie aufnehmen könnte. Im Jahr 2014 kam heraus, dass mehrere Fässer rosten, aus ihnen tritt strahlende Flüssigkeit aus.
Sprecher des Kieler Innenministeriums
Alles gute Gründe für ein besonderes Schutzkonzept für den Himmel über Brunsbüttel. Aber auch Tage nach dem Bekanntwerden der Drohnenüberflüge ist die Informationslage dürftig. Das schleswig-holsteinische Innenministerium erklärte bloß, die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder hätten schon vor Längerem vor Spionage und Sabotage gewarnt und man sei sehr wachsam. Und die Bundeswehr stellt der Polizei laut Verteidigungsministerium Radardaten zur Verfügung, um das Lagebild zu vervollständigen, heißt es.
Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Februar zur Gefahr durch Drohnen in Schleswig-Holstein geht unter anderem hervor, dass die Landesregierung plant, die Landespolizei mit Geräten zur Drohnenabwehr auszustatten. Auf die Frage, ob die angeschafften Geräte Drohnen orten und verfolgen können und warum sie bisher offenbar nicht eingesetzt worden sind, antwortet ein Sprecher des Innenministeriums lediglich, dass es verschiedene Geräte zur Drohnendetektion und -abwehr auf dem Markt gebe. „Ein wesentliches Element beim Einsatz der Mittel bei der Landespolizei ist es, dass wir aus Rücksicht auf schützenswerte taktische Entscheidungen keinerlei Aussage dazu treffen, für welche Technik und Wirkungsweise sich die Landespolizei entschieden hat“. Auf die Frage, wie die Abläufe im Falle von Drohnensichtungen in Brunsbüttel sind, heißt es: Dazu sage man nichts, um die Maßnahmen nicht zu gefährden.
Am kommenden Mittwoch sind Drohnen Thema im Innen- und Rechtsausschuss. Da kommen die Drohnen über Brunsbüttel sicher auf den Tisch.
Hinweis: Wir haben den Text um die Statements der Staatsanwaltschaft und des Kieler Innenministeriums ergänzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr