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G20-Dokumentarfilm „Wir sind so frei“Ein Staat macht sich Feinde

Christian Lehmann-Feddersen und Alf Schreiber dokumentieren mit „Wir sind so frei“ die Folgen des G20-Gipfels. Ihr Ziel: eine Gegenöffentlichkeit.

Alle Gewalt geht aufs Volk drauf: Szenen aus Hamburg, Anfang Juli 2017 Foto: dropoutcinema

Die Wunden des G20-Gipfels in Hamburg sind noch nicht verheilt. Erst am vergangenen Dienstag endete der sogenannte Rondenbarg-Prozess mit einer Verurteilung von Demonstrant*innen: Weil sie bei der Demo schwarze Kleidung trugen, müssen sie Geldbußen und die Gerichtskosten bezahlen, sollte das Urteil rechtskräftig werden.

Für viele Menschen waren die intensiven Erfahrungen vom 7. und 8. Juli 2017 prägend. Dazu zählen auch die Filmemacher Christian Lehmann-Feddersen und Alf Schreiber. Nach dem Gipfel wurden die zwei Hamburger Teil der Gruppe „Solidarisch kämpfen“, die Lehmann-Feddersen als einen „kleinen Teil der ganzen Widerstandsbewegung“ bezeichnet.

Sie verstehen also die Filme, die sie zu dem Thema gemacht haben, als politische Arbeit. Und sie waren unzufrieden darüber, dass sich etwa ihr „Motivationsvideo“ aus dem Jahr 2020 „hauptsächlich an das aktive politische Zentrum richtete“.

Deswegen haben sie nun den 97 Minuten langen Dokumentarfilm „Wir sind so frei“ gemacht. Dessen Horizont ist viel weiter angelegt. Denn hier wird ein Bogen geschlagen von der extremen Härte, mit der die deutsche Justiz politische Ak­ti­vis­t*in­nen von damals verfolgt, bis zu den wilden Streiks von Arbeitsmigrant*innen, die bei den deutschen Niederlassungen von internationalen Konzernen wie Amazon und Gorillas gegen unfaire Bezahlung protestieren.

Der Film

„Wir sind so frei“. Regie: Christian Lehmann-Feddersen, Alf Schreiber, Deutschland 2024, 142 Min.; Vorführungen: 3001, Hamburg, 8. 9., 17 Uhr; Universum-Filmtheater, Braunschweig, 9. 9., 19 Uhr

Der Film folgt Julia, einer jungen alleinerziehenden Mutter, und Loik, einem französischen Aktivisten, der auf dem Land in Lothringen lebt. Beide schildern, warum sie damals nach Hamburg fuhren, um gegen den G20-Gipfel zu demonstrieren.

Sie sprechen davon, wie sie diese Tage erlebten. Und dann erzählen sie ausführlich von der Jagd, die das deutsche Justizsystem auf sie veranstaltete. Bei beiden wurde mit zum Teil perfiden Mitteln versucht, ihre Existenz zu vernichten. Die Filmemacher nutzen viele Stilmittel des Dokumentarfilms, um zu zeigen, wie rücksichtslos hier versucht wurde, politischen Widerstand zu brechen.

Anwälte und Anwältinnen analysieren, wie das deutsche Rechtssystem durch den Justiz­apparat selbst unterminiert wurde. Neben Bildern von den Knüppeleinsätzen der Polizei sieht man Donald Trump und Vladimir Putin, die in der Elbphilharmonie (offenkundig gelangweilt) Beethovens „Ode an die Freude“ anhören. Julias Vater beschreibt eindrücklich, mit welchen Mitteln die Polizisten ihn dazu bringen wollten, den Aufenthaltsort seiner Tochter zu verraten.

Konkret und filmisch konventionell, aber wirkungsvoll erzählt „Wir sind so frei“ hier also zwei Geschichten von sympathischen Menschen. Der Bericht von ihrer Verfolgung soll wütend machen. Und das gelingt auch. Anschließend wird von zwei Anwälten ein Fall von Polizeigewalt im Hamburg des Corona-Lockdowns analysiert. Zu dem gibt es Videoaufnahmen, die alle Aussagen von Po­li­zis­t*in­nen vor Gericht, es hätte Widerstand gegen die Staatsgewalt gegeben, so brutal widerlegen, dass eine Triggerwarnung für diese Filmsequenz angemessen wäre.

Die Intensität dieser ersten Hälfte des Films können Lehmann-Feddersen und Schreiber leider nicht durchhalten. Der Versuch, von verschiedenen Inis und Projekten zu erzählen, die sie als Vermächtnis des G20-Gipfels verstehen, gerät ihnen zur Aneinanderreihung von Demo-Reden, Essensverteilaktionen in einem Lager für Geflüchtete und Streik-Aufnahmen. Es wird extrem viel geredet, und mehr erklärt als gezeigt. Das ist im Kino immer ein Manko.

Radikale Berichterstattung

Aber die beiden Filmemacher wollten ja keine Filmkunst produzieren. Ihr Ziel ist es, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. So radikal wird sonst kaum über Themen wie die Macht der internationalen Konzerne und die vermeintliche Ohnmacht der Ar­beits­mi­gran­t*in­nen berichtet. So stopfen sie alles in den Film hinein, was gerade passt: Karikaturen, Archivmaterial aus den 1960ern, einen langen Ausschnitt aus einem Vortrag des politischen Theo­retikers John Holloway oder ein Gedicht der somalisch-britischen Dichterin Warsan Shire mit den Anfangszeilen: „No one leaves home unless home is the mouth of a shark.“

Derartige Fundstücke machen den Film sehenswert. Aber erreichen werden Lehmann-Feddersen und Schreiber doch nur ihre kapitalismuskritische Bubble. In der hätten vermutlich auch vorher viele dem Befund der Aktivistin Mensah aus Kenia zugestimmt, dass „das deutsche System der Freund von niemandem“ sei.

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4 Kommentare

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  • @THOMAS O'CONNOLLY

    Was Sie da machen ist billige, sinnlose Rhetorik die vom Thema ablenkt: nämlich, dass sich die Staatsgewalt bei G20 völlig danebenbenommen hat und sich weigert, das überhaupt anzuerkennen.

    Dass sie sich weiterhin danebenbenimmt und die Gesetze jetzt auch noch verbiegt, um Menschen zu bestrafen, die sich sehr wahrscheinlich nichts zuschulden haben kommen lassen.

    Da einfach "es gab Gewalt von beiden Seiten" und (auch noch!) "die Linke ist nicht mehr, was sie mal war" zu sagen ist... billig.

  • Hamburger Anarchist*innen: "Stop it!!"



    Zugereiste "Aktivist*innen": "Why?! Its Capitalism! The city must burn! Burn it all down!"



    Wir: "Its a Citybike! We need them to get to work you asshole!"

    Der G20 war überaus hässlich - und das auf allen Seiten (Staat und Straße) und ist sicher nichts was sich eignet um eine geeinte "Widerstandsbewegung" oder die Erzählung von ihr zu beschwören.



    Und nachdem was in nur wenigen Jahren aus dem gallischen Dorf der hamburger Linken geworden ist kann ich nur traurig den Kopf schütteln über alle die sich noch nicht in der Selbstkritik befinden was den Stand der Dinge angeht.

    Aber leider sieht man ja besonders an den gewalttätigen "pro-Palästina" "Linken" im ehemaligen gallischen Dorf hier, dass sich mit der jungen Generation und dem ihr Leben beherrschenden Internet, auch das Verhältnis zu Selbstkritik und Gewalt maßgeblich verschoben hat.

    Um eine "Widerstandsbewegung" hier zu sehen muss man wohl ins Kino gehen ...

  • In diesem Zusammenhang möchte ich, ja, ja zum wiederholten Male auf den großartigen Film "Hamburger Gitter" aufmerksam machen.

    Er beschreibt das damalige Geschehen minutiös, zwar auch parteilich, lässt aber dabei alle Seiten ausgiebig zu Wort kommen. Das reicht dann vom Ex-RAFler Karl-Heinz Dellwo, über einen Verbindungsbeamten der Hamburger Cops, den Republikanischen Anwaltsverein, fassungslosen Opfern der maßlosen Polizeigewalt von der Verdi-Jugend bis zum Sprecher der Hamburger Polizei.

    Kann man auf YouTube für lau schauen, sollte man aber nicht, denn die Produzenten von Leftvision wollen auch leben.:

    www.youtube.com/watch?v=YiY8M6ea1kQ

  • So etwas macht Mut. Danke für den Bericht.