piwik no script img

Möglicher AfD-Erfolg bei LandtagswahlenWas die Rechten anrichten können

In Sachsen und Thüringen droht die AfD stärkste Kraft zu werden. Und selbst wenn sie nicht regieren: Die Rechten werden wohl mehr Einfluss haben.

Höckes Zuhörer am 13. August in Suhl Foto: Markus Schreiber/ap

Björn Höcke kennt sich mit der Landesverfassung Thüringens bestens aus. Er weiß, dass die für ihn unwahrscheinliche Ministerpräsidentenwahl, nicht der einzige Weg zu mehr Macht ist. Davon zeugt diese eigenartig spezifische Vorgabe für seine AfD: „Wir werden mit 33 plus x über die Ziellinie laufen, das muss unser Ziel sein!“

Diese 33 Prozent wären eine kritische Größe. Mit 33 Prozent und mehr wären der rechtsextremen Partei Sperrminoritäten im Landtag sicher. Auch in Sachsen, aber in Thüringen ist die Situation besonders dramatisch. Eine AfD mit 33 Prozent könnte wichtige verfassungsrechtliche Verfahren blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit benötigen.

Gefahr für den Rechtsstaat

Gerade die Sperrminorität bietet zahlreiche Möglichkeiten, um demokratische Prozesse zu sabotieren. Damit könnten die Rechts­ex­tre­men etwa Verfassungsänderungen blockieren sowie die Wahl von Rich­te­r*in­nen für das Landesverfassungsgericht.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

In der nächsten Legislatur läuft die siebenjährige Amtszeit aller Ver­fas­sungs­rich­te­r*in­nen in Thüringen aus. 33 Prozent plus x hätten hier also erhebliches Erpressungspotenzial: Die AfD könnte die Neubesetzung blockieren oder eigene Kan­di­da­t*in­nen hineinpressen, die versuchen könnten, das Gericht von innen heraus mit destruktivem Verhalten zu sprengen oder zu sabotieren. Laut Verfassung werden auch Rich­te­r*in­nen auf Lebenszeit von einem Richterwahlausschuss mit Zweidrittelmehrheit gewählt.

Gefahr für den Verfassungsschutz

Gleiches gilt für die Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag. Dieses Gremium soll den Landesverfassungsschutz überwachen. Wohlgemerkt den Verfassungsschutz, der die AfD in Thüringen als gesichert rechtsextrem einstuft und den die Partei abschaffen will. Ebenso braucht es zur Auflösung des Landtags eine Zweidrittelmehrheit.

Leider reichen für eine Sperr­minorität sowohl in Sachsen als auch in Thüringen möglicherweise bereits um die 30 Prozent der Stimmen. Der Grund dafür: Wenn viele kleinere Parteien an der Fünf­prozenthürde scheitern, bleiben die Stimmen für diese bei der Verteilung der Landtagssitze unberücksichtigt. Die Folge: Die Anzahl der Sitze der AfD steigt. Entsprechend gab es Aufrufe zum taktischen Wählen der ­Grünen, der SPD und der Linken, damit diese nicht aus dem Landesparlament fliegen.

Ein weiteres Risiko sind die komplizierten Mehrheitsverhältnisse in Thüringen: Vor allem der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Torben Braga, der in Thüringen Politikwissenschaft und Öffentliches Recht studierte, ist durchaus versiert darin, Taktiken, Taschenspielertricks und Schlupflöcher aufzutun, um politische Blockaden zu inszenieren und Sand ins Getriebe der demokratischen Prozesse zu streuen. Er ist einer der Strippenzieher der Kemmerich-Wahl 2020 und der damit ausgelösten Verfassungskrise. Damals hatte die AfD in einem dritten Wahlgang zur Ministerpräsidentenwahl einen eigenen Kandidaten ins Leere laufen lassen und überraschend den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Regierungschef gewählt. Der hatte überrumpelt die Wahl angenommen und war überfordert kurz darauf wieder zurückgetreten.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Gefahr für die Demokratie

Die anschließende Freude von AfDlern­ angesichts der durch die Wahl ausgelösten politischen Krise zeigt deutlich das instrumentelle Verhältnis der AfD zum Parlamentarismus: Die Wahl eines Verfassungsorgans – hier die Wahl eines Ministerpräsidenten – ist im Zweifel eine willkommene Gelegenheit, um gegen das verhasste demokratische System zu punkten und es so – mit demokratischen Mitteln – von innen heraus zu bekämpfen.

Enormes Missbrauchspotenzial birgt auch die vor allem in Thüringen wahrscheinliche Situation, dass die AfD stärkste Kraft wird. Denn die größte Fraktion stellt in der Regel die Landtagspräsident*in. Die Abgeordneten sind frei, ihre Stimme einem AfD-Kandidaten zu verweigern, aber allein der Wahlvorgang und ein Bruch mit bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten, um zu verhindern, dass ein Rechtsextremist Parlamentspräsident wird, bietet Stoff für die autoritär-populistische Erzählung der AfD.

Gefahr für die Verwaltung

Ein AfD-Parlamentspräsident wäre gleichwohl deutlich schlimmer: Er hätte die personelle Hoheit über die Landtagsverwaltung, kann den Parlamentsdirektor ohne Weiteres feuern und das Personal nach eigenem Gusto nachbesetzen.

Ebenso wären Blockaden bei der Ausfertigung von Gesetzen denkbar, die Verweigerung von Unterschriften gewählter Rich­te­r*in­nen sowie Scharmützel mit dem Verfassungsgerichtshof. Zudem leitet der Landtagspräsident die Ministerpräsidentenwahl und entscheidet im Zweifel über die Auslegung eines verfassungsrechtlich umstrittenen Ergebnisses im dritten Wahlgang (siehe Spalte). Das könnte wiederum zu einer Hängepartie für die gewählte Regierung führen – sprich zu einer Verfassungskrise. In den falschen Händen kann selbst ein formal repräsentatives Amt großen Schaden anrichten. Eine Verfassungsreform scheiterte in Thüringen aber schon vor der Wahl an einer dafür erforderlichen Zweidrittelmehrheit.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Man sollte nicht so auf den Osten schauen sondern sich auch Fragen was haben wir im Westen verkehrt gemacht, das die AfD bei den letzten Landtagswahnlen in Hessen 20 % erreicht hat! Und Hessen war mal eine Rot Grüne Hochburg.

  • Gefahr, Gefahr, Gefahr, … Selbst in Ex-Sowjetunion & Co reicht ein strammer Soldat mit großer Mütze nicht mehr aus, um mit lauter Gefahr die Angst vor der Zeit zu bestechen. Vielleicht sollte argumentativ umgedacht werden. Etwas mehr von dem, was ist, und etwas weniger von dem, was nicht sein dürfte, wenn alles so wäre, wie es leider nicht ist. Auf dem, was ist, lässt sich verantwortungsvolle nachhaltige Politik besser aufbauen als auf dem Unsichtbaren, der Gefahr.

  • Die anderen Parteien sind inzwischen auch ohne AfD so weit nach rechts gerückt, auch in ihrer Missachtung des Parlaments, im Hinblick auf Asyl, Soziales und Krieg, dass es dafür schon gar keine AfD mehr braucht.

    Die Bevölkerung ist jedenfalls im Durchschnitt wesentlich flüchtlingsfreundlicher, demokratischer und friedenspolitisch engagierter als sämtliche Bundestags- und Landtagsparteien in Deutschland.

    • @Uns Uwe:

      Nein das stimmt einfach nicht, sonst würden die Wähler anders wählen, was sie aber nicht machen.



      Sie wählen noch rechtere und restriktivere Parteien als die Ampel (welche als progressivste Regierung bezeichnet wird)

      Am Wahlverhalten zeigt sich die Einstellung der Bevölkerung sehr gut, denn sie repräsentiert den Wählerwillen.

      Ob einem das nun gefällt oder nicht, aber einfach was anderes zu behaupten, was nicht der Wählerrealität entspricht, das spielt der AfD in die Karten.

    • @Uns Uwe:

      Das halte ich für eine eklatante Fehleinschätzung. Politiker wie Brandt und Schmidt haben noch ganz anders geredet über Themen wie z.B. Migration. Unter Merkel ist das Land nach links gerückt. Das erfährt jetzt eine Korrektur, nur dass man die sensiblen Themen den völkischen Verrückten zur Deutung überläßt.

  • Was hierbei oft vergessen wird:



    Falls die AfD irgendwo eine Sperrminorität hat - dann war das offenbar auch der Wählerwille.



    Wenn man das Parlament als legitime Vertretung des Volkes begreift, dann hieße das:



    Vermutlich würden die Thüringer auch nicht die Richter-Kandidaten der anderen Parteien wollen.



    Bei allen Nachteilen des repräsentativen Systems, wenn man es überhaupt akzeptiert, dann muss man auch Parlamentsverhältnisse akzeptieren, die einem nicht passen.



    Einzige Alternative: Verfassungsrichter direkt wählen.

  • "Entsprechend gab es Aufrufe zum taktischen Wählen der ­Grünen, der SPD und der Linken, damit diese nicht aus dem Landesparlament fliegen."



    Solche Aufrufe gingen schon oft genug gehörig schief - erinnere mich da an diverse Wahlen wo zur Zweitstimme für die FDP aufgerufen wurde um mit der CDU dann zu regieren. Hinterher war dann die FDP so stark das sie über Gebühr Forderungen stellte oder die CDU ihre sicher geglaubte Spitzenposition verlor und nicht mehr stärkste Kraft wurde...



    Außerdem: viele Kleinstparteien im Landtag mögen die Speerminorität für die AfD außer Reichweite hieven, dafür muss man die dann aber auch ins Boot holen um eine mögliche Koalition zu bilden... - ...und ob eine vier-Parteien-Koalition in Thüringen aus sich eigentlich spinnefeind Parteien (Stichwort CDU / Linke) das Land gegen AfD und BSW aus der Krise führen kann, puh, da braucht man schon viel Gottvertrauen 🛐

    • @Farang:

      Mit einer Vier Parteien Koalition wäre ja auch die Demokratie ausgehebelt, da die einzige Opposition dann aus Populisten besteht.



      Zum anderen würde es Wahlen ad absurdum führen, weil Wahlen dann völlig irrelevant werden, weil alle Parteien in der Regierung wären und durch Wahlen ja dann keine Änderungen mehr passieren, weil sowieso die gleiche Koalition regieren wird.



      Das wird die AFD nur immer weiter stärken.

      Helfen kann nur, wenn man den Volkswillen/Mehrheitswillen wieder vermehrt umsetzt, auch wenn es völlig gegen die eigene Meinung geht. Sonst geht die Demokratie verloren.

  • Jo, 30% bedeutet zumindest von der Größenklasse her, das ist eine „Volkspartei“. Und die kann man halt nicht ganz ausbooten.

    Es wird einen Modus Vivendi brauchen, anders geht es nicht…

  • "Der hatte überrumpelt die Wahl angenommen und war überfordert kurz darauf wieder zurückgetreten." Man kann diese Sternstunde der Demokratie kaum lustiger umschreiben.

    • @Fabian Wetzel:

      Stimmt.

      Da werden viele in Thüringen und anderswo gelernt haben, wie Demokratie funktioniert.

  • Eigentlich sollten sie EIN MAL regieren (Sarkasmus). Dann müssen den Worten Taten folgen. Es wird nicht besser, sondern schlechter für die Bürger dort werden. Ausländische Pflegekräfte, Ärzte und Facharbeiter werden diese Bundesländer verlassen und in tolerantere Bundesländer abwandern. Dann will ich sehen, wie die AfDummheit diese Lücken füllen will. Unternehmen werden dort nicht mehr ansiedeln, weil sie keine Fachkräfte finden. Dnn will ich sehen, wie sie ihre Bürger in Lohn und Brot halten. Dann könnt ihr dort die alten Strophen der Deutschlandhymnen singen und untergehen - selbst schuld, falsch gewählt.

  • Jaja, die Zweidrittelmehrheit nur nutzen tut, wer sie auch haben tut.

    Und einmal mehr zeigt sich, dass jedes Werkzeug, dass unsere freiheitlich- demokratische Grundordnung bewahren soll, auch in das Gegenteil verkehrt werden kann.

    Es gibt zumindest ein Werkzeug, dass uns vor Radikalisierung und Demokratiefeinden schützen kann:



    Transparente, nachvollziehbare und ehrliche Politik.

    Und wenn jetzt jemand sagt:



    "So eine Politik geht doch gar nicht!



    Das Volk ist zu dumm alle politischen Entscheidungen zu verstehen"

    Wäre so eine Grundordnung auch nicht erhaltenswert.

    • @Bolzkopf:

      Genau so.



      Nach Jahrzehnten der neoliberalen Nabelschau der regierenden Parteien ist das Kind nun endlich in den Brunnen gefallen und das große Heulen und Zähneklappern hat begonnen. Und selbst die Linke, die eine Alternative zu diesem Budenzauber darstellen sollte, hat sich in identitätspolitischem Gewurstel verloren, welches schlicht an der Lebensrealität der Mehrheit vorbei geht.

      • @Wurstfinger Joe:

        Sehr treffend zusammengefasst!