piwik no script img

Ukraine-Unterstützung bröckeltDem Hai zum Fraß

Kommentar von Barbara Oertel

Der ukrainische Erfolg in Kursk scheint militärisch nicht zu wirken wie erhofft. Ausgerechnet in dieser Situation bröckelt die westliche Solidarität.

Nach erneut schweren russischen Luftangriffen in der Stadt Charkiw Foto: Vitalii Hnidy/reuters

F rankreich hat die Schlacht verloren, aber nicht den Krieg.“ Mit diesen ­Worten wandte sich Charles de Gaulle, der spätere Präsident Frankreichs, am 18. Juni 1940 an seine Landsleute. Es war ein Appell, um nach einer unerwartet schnellen Niederlage gegen das Deutsche Reich den Kampf gegen die Nazis fortzusetzen.

Vielleicht mag der berühmte Ausspruch auch Kyjiwer Militärstrategen durch den Kopf gegangen sein, bevor ukrainische Truppen am 6. August quasi handstreich­artig und ohne größere Gegenwehr in die russische Region Kursk vordrangen.

Zweifellos: Diese Entwicklung dürfte den Willen vieler Ukrainer*innen, sich auch noch nach zweieinhalb Jahren eines brutalen und ­zermürbenden Angriffskrieges dem russischen Aggressor zu widersetzen, bestärken. Doch abgesehen davon stochern selbst Militär­ex­per­t*in­nen dreieinhalb Wochen später – in dieser Zeit haben ukrainische Truppen in Kursk stetig weitere Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht – immer noch im Nebel.

Was genau soll mit dieser „Operation“ erreicht werden? Sollte es eine Intention gewesen sein, einen teilweisen Rückzug der russischen Truppen von der Frontlinie im Donbass zu erzwingen, so ist diese Rechnung bislang nicht aufgegangen. Stattdessen kämpfen sich russische Truppen dort langsam, aber unaufhaltsam vor. Die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk, die wie Awdijiwka und Bachmut in Schutt und Asche gebombt wird, ist wohl nicht mehr aufzuhalten.

Die Diskussion über eine weitere militärische Unterstützung des Landes mutet fast schon gespenstisch an.

Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstandes, dass Russlands erklärtes Ziel (nachzulesen bei Ex-Präsident Dmitri Medwedjew) immer noch die Auslöschung der Ukraine ist, mutet die Diskussion über eine weitere militärische Unterstützung des angegriffenen Landes fast schon gespenstisch an.

Man stehe an der Seite Kyjiws, heißt es ja immer wieder so schön, so auch beim Treffen der EU-Außenminister in dieser Woche. Gleichzeitig soll die Ukraine, um westliche Waffen gegen militärische Ziele in Russland einsetzen zu dürfen, jeweils um Erlaubnis bitten. Ganz so, als ob das Zeitfenster riesengroß wäre. Ernsthaft?

Wie schön, dass es so aufgeklärte Geister wie Sahra Wagenknecht gibt. Sie hat gerade zwei Wahlkämpfe im Osten Deutschlands bestritten – mit einer Friedensbotschaft, die in Bezug auf die Ukraine so einfach wie klar ist: überhaupt keine Waffen mehr liefern und sich an den Verhandlungstisch setzen.

Das Perfide ist, was dabei unausgesprochen bleibt: Denn in letzter Konsequenz bedeutet das, die ganze Ukraine komplett zum russischen Abschuss freizugeben. Dass dieses Credo bei vielen Wäh­le­r*in­nen ihres neuen Bündnisses am Sonntag einzahlen könnte, ist tragisch.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Deutlich mehr als traurig, wenn solche realitätsabgewandten Parteien tatsächlich von Wählern bestätigt werden.



    Bedeutet für mich, dass die Leute wirklich kein Interesse an freiheitlich demokratischem Lebensraum haben, und auch für die Gegebenheiten und das Notwendige vollkommen blind sind.



    Damit, und dessen sollten sie sich mal langsam bewusst werden, sind sie es, die die Gräben in unserer bürgerlichen Gesellschaft noch tiefer machen, denn Wählen ist Macht!



    Würden extreme Parteien einfach keine Stimmen bekommen, wäre deren Spuk, ganz ohne Verbote von oben, gleich übermorgen beendet!

  • Wagenknecht und AfD, autoritäre Brüder bzw. Schwestern im Geiste. Es ist einfach ekelhaft zu sehen wie diese ohne mit der Wimper zu zucken bereit sind einen europäischen Nachbarn dem russischen Imperialismus zu Opfern und sich dabei noch als Friedenspartei zu inszenieren. Ebenso erschreckend eine ostdeutsche Wählerschaft die, anscheinend unter dem Stockholmsyndrom leidend oder aus schlichter Bewunderung für Autokraten, bereit ist in großer Zahl bis Mehrzahl diesen Volksverderbern ihre Stimme zu geben.

  • Die bisher vorgebrachte Überlegung war ja, dass Putin Truppen von der Front abziehen muss.



    Das ist nicht erfolgt.



    Wie Analysten bemerkten, war der Angriff auf das Gebiet Kursk mit hohen Verlusten, insbesondere an Material, für die Ukraine verbunden.



    Wie im Artikel richtig steht, hat sich die Situation an der Front dadurch nicht verändert, die russische Armee rückt kontinuierlich vor.



    Da dieses Ablenkungsmanöver also nicht erfolgreich war, was sollten Angriffe auf andere russische Gebiete Anderes bewirken?



    Die Ukraine hat mit dem Eindringen auf die Region um Kursk die zu verteidigende Frontline ausgeweitet.



    Abgesehen bom PR Erfolg, bleibt die Aktion rätselhaft.

  • Leider glauben viele Länder immer noch es ist besser mit Putin gut zu stehen. Allen voran Deutschland mit seinem Bundeskanzler und den „Friedenstauben“ der AfD und des BSW. Ansonsten hätte die Ukraine von Beginn an alles bekommen, um sich wirkungsvoll zu verteidigen.

    So wird es am Ende vielleicht sogar soweit kommen, dass Russland die Ukraine komplett zerstört und auslöscht.

    Wir haben dann ein paar Millionen Flüchtlinge mehr, aber die werden dann bestimmt schnell nach Russland in die Arbeitslager abgeschoben.

    Und dann wird sich Putin das Baltikum holen usw.

    Viele tun das als wirres Zeug ab, ich frage mich, warum sie glauben, Putin würde nicht umsetzen, was er vorhat. Schließlich macht er das schon immer.

    Wenn er dann mit atomaren Angriffen droht und Trump die Europäer links liegen lässt, dann wird das Jammern groß sein.

  • "Doch abgesehen davon stochern selbst Militär­ex­per­t*in­nen dreieinhalb Wochen später – in dieser Zeit haben ukrainische Truppen in Kursk stetig weitere Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht – immer noch im Nebel."



    Wie auch hier !



    Was fällt mir dazu ein: "Unsere Freiheit wird in Kursk verteidigt".

  • Klar sind Verhandlungen der einzige Ausweg. Wer das nicht will, will immer mehr Tote, auf beiden Seiten. Und auch hier ist die Ukraine im Nachteil, denen gehen nicht unbedingt die Waffen aus, sondern das Personal.

  • Ich halte den Ansatz von Wagenknecht einfach keine Waffen mehr liefern wollen für falsch. Auf der anderen Seite tut es der öffentlichen Debatte gut, wenn sie nicht nur durch Bellizisten bestimmt wird.

    Was muss denn noch passieren damit endlich die Einsicht kommt, dass dieser Krieg nicht militärisch zu gewinnen ist und die Verhandlungsposition sich noch weiter verschlechtert für die Ukraine?



    Ich möchte nochmal daran erinnern, dass bei den letzten Verhandlungen keine dauerhaften gebietsabtrennungen zur Debatte standen:

    www.nzz.ch/interna...beenden-ld.1827138

    Das die russischen Förderungen mit Verlauf des Krieges steigen, dürfte doch niemanden ernsthaft überraschen.



    Es gab ja genügend warnende Stimmen.

    Mittelfristig wäre es wünschenswert, wenn nicht von irgendwelchen unrealistischen Zielen geträumt wird, sondern konkret Politik betrieben wird, um den Schaden und die Zugeständnisse für die Ukraine möglichst begrenzen kann. Ein "weiter so" ist unverantwortlich und wird an Ende Russland nur noch mehr in die Karten spielen.

    • @Alexander Schulz:

      Lesen Sie eigentlich auch, was Sie verlinken?

      Die besetzten Gebiete wären natürlich russisch geworden. Oder wie hätte man ohne Kampf die russischen Truppen wieder aus der Ukraine drängen sollen?

      Das ist doch alles Humbug, den Artikel verlinken Sie jedes Mal. Die Verhandlungen waren zu keinem Zeitpunkt positiv für die Ukraine.

      „Die Gespräche klammerten bewusst die Frage von Grenzen und Gebieten aus. Die Idee war, dass Putin und Selenski über diese Fragen an einem geplanten Gipfeltreffen entschieden. Man kann sich leicht vorstellen, dass Putin darauf beharrt hätte, alle Gebiete zu behalten, die seine Truppen bereits besetzt hatten. Die Frage war, ob Selenski hätte überzeugt werden können, diesem Landraub zuzustimmen.“

    • @Alexander Schulz:

      Ob die Ukraine verliert, zeigt sich dann, wenn sie verloren hat.



      Es ist ihre Sache, ob sie weiterkämpft.



      Wenn mich das in den Augen mancher zum Bellizisten macht, wenn ich sie dabei unterstütze, kann ich das nicht ändern. Es tut zwar weh, in eine Ecke gestellt zu werden, aber am Ende muss ich zu meiner Meinung stehen.



      Es wäre schön, wenn Sie ihre Aussage begünden könnten, damit andere Ihre Gedanken nachvollziehen können.

    • @Alexander Schulz:

      Nirgendwo in diesem Text steht irgendetwas davon, dass Russland bereit gewesen wäre auf seine Raubgüter zu verzichten.

      Abgesehen von all den anderen unhaltbaren Forderungen wie das ukrainische Militär auf 85 000 Mann zu beschränken. Zumal nicht davon auszugehen ist, dass die russische Delegation überhaupt in "good faith" verhandelt hat und sich dem ganzen Prozedere nicht nur zu Propagandazwecken nach außen unterzogen hat (das bisherige Verhältnis Russlands zur Einhaltung von internationalen Abkommen ist ja bekannt).

      Dann sind noch die Massaker in Butscha aufgeflogen und haben nochmal klar gemacht mit wem man da überhaupt verhandelt.

      Die Ukraine kontrolliert bis dato übrigens immer noch mehr Gebiet als zum Zeitpunkt dieser Verhandlungen. Wo hat sich bitteschön denn die Verhandlungsposition verschlechtert?

    • @Alexander Schulz:

      Wo siehst du in der Debatte "Kriegsberherrlicher"? Und es gab nie ernsthafte Verhandlungsangebote aus Russland. Nur Maximalforderungen a la demilitarisierung etc.

  • Das wird nach der Wahl wieder anders.