Zwischen Postkarten und Autoabgasen: Liebe Grüße aus der Fahrradstraße!
Nicht so schnell, dafür schön und sicher ans Ziel kommen – das versprechen einige Navi-Apps für Radfahrende. Unsere Autorin bringt das auf kreative Ideen.
E in Hoch auf Navigations-Apps! Meinen Alltagsweg zur Arbeit habe ich mir mit so einem Kriterien-Verwerter zusammengestellt: Ampeln und Hauptstraßen vermeiden, möglichst viele Fahrradstraßen und grüne Wege einbauen. Die Strecke ist durch diese Eingaben zehn Prozent länger als auf den direkten Wegen und dreimal so schön. Theoretisch zumindest.
Praktisch bin ich dafür, „Fahrradstraßen“ umzubenennen in „Autostraßen für Abkürzungnehmende, Nur- kurz-was-Besorgende und Parkplatzsuchende“. Zugegeben, der Name wäre etwas lang, würde aber die Realität besser wiedergeben: Auf allen Fahrradstraßen meiner Alltagswege nehmen allein die rechts und links parkenden Autos die Hälfte der vorhandenen Fläche ein. Auf dem Rest werden Autos herumgefahren und blockieren dabei den Radverkehr. Mal, weil zwei Pkws nicht aneinander vorbei passen und ins Rückwärtsrangieren kommen, mal weil aus- oder eingeparkt wird, mal weil auf der Fahrbahn stehend auf bessere Zeiten gewartet wird.
Als ich kürzlich mit meinem Rad hinter so einer Autoblockade darauf wartete, meinen Weg fortsetzen zu können, stiegen mir Grußkarten-Ideen in den Kopf, genau wie die Pkw-Abgase. Ich stellte mir ein Auto mit fröhlichem Gesicht und Abgaswolken in der Form eines Glückskäfers vor, das dem Beschenkten von der Straße aus entgegenruft: „Zum Geburtstag: Hauptsache, Bequemlichkeit!“. Die Dinger würden eine Marktlücke schließen.
Schließlich wissen wir dank Auto, dass Bequemlichkeit für manche viel wertvoller ist als Gesundheit für alle: Jedes Jahr werden rund Hunderttausend Fußgängerinnen und Radfahrer durch Autofahrer verletzt oder getötet, 7.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an den Folgen von Verkehrsemissionen, und Millionen Menschen leiden gesundheitlich unter der Auto-Lärmbelastung.
Tempo 30 nicht in Sicht
Dennoch hat (und das ist der Gruß für Postkarte 2) niemand die Absicht, innerorts flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Das würde zwar Unfallgefahr, Unfallschwere, Lärm und Schadstoffausstoß senken, aber hey, es ginge zulasten der Bequemlichkeit von Autofahrern. Gemein!
Schließlich werden nicht ohne Grund seit Jahren technische Geräte wie Telefone und Computer immer handlicher, während Autos auf Kleinpanzergröße wachsen – so ein fahrender Hochsitz ist halt bequem! Als ich da weiter in der Wolke aus Stick- und Kohlenoxiden sowie Rußpartikeln stand, fiel mir Postkarte 3 ein: Das Bild eines unterm SUV eingeklemmten Kinderrades, darüber der Slogan: „Fahr Auto – damit dein Kind nicht das nächste ist!“ Endlich setzten sich die Abgaswolken wieder in Bewegung, da war ich gerade bei Postkarte 4: „Fahrradstraßen: Die heißen nur so, die tun nichts!“
Für den Arbeitsrückweg ließ ich mir an dem Tag zur Erholung per App einen „Wanderweg“ zusammenstellen. Ich fuhr eine 50 Prozent längere Strecke, trug mein Rad über vier Treppen, sah Wasserbüffel und kam spät, aber tiefenentspannt zu Hause an. Jetzt braucht es nur noch eine Auto-Navi-App, die nie, wirklich niemals Fahrradstraßen oder andere grüne Wege vorschlägt. Sondern stattdessen innerstädtische Alternativen von Bus über Bikesharing bis E-Roller präsentiert. Postkarte: „Kein Stau, kein Parkplatzstress – einfach bequem ankommen.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu
Urteil im Diesel-Skandal
Erstmals ist hierzulande die Natur im Recht
Cem Özdemir will nach Baden-Württemberg
’S kann losgange
Bauhauskritik der AfD
Widersprüchlich und gerade deshalb modern
Lecks in der Gas-Infrastruktur
Jede Menge unkontrolliert entweichendes Methan