Corona-Maßnahmen verboten: Wie weit kann ein Richter gehen?

Der Bundesgerichtshof prüft die Verurteilung des Richters Christian Dettmar. Er hatte die Maskenpflicht an Weimarer Schulen eigenmächtig aufgehoben.

Masken im Unterricht: eigentlich nichts für einen Familienrichter Foto: Fleig/Eibner-Pressefoto/picture alliance

KARLSRUHE taz | Überraschung am BGH: Neben der Verteidigung beantragte auch die Bundesanwaltschaft, das Rechtsbeugungsurteil gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar aufzuheben. Dettmar war verurteilt worden, weil er im Frühjahr 2021 in Weimarer Schulen Coronaschutzmaßnahmen verbot.

Am 8. April 2021 hob Dettmar auf Antrag einer Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern die Maskenpflicht und andere Maßnahmen in zwei Schulen auf. Durch die Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz würden die Kinder „physisch, psychisch und pädagogisch geschädigt“, ohne dass dem ein Nutzen für die Kinder oder Dritte gegenüberstehe. Der Beschluss von Richter Dettmar hatte 192 Seiten und bestand im Wesentlichen aus drei Gutachten, die er in Auftrag gegeben hatte. Allerdings hob das Oberlandesgericht Jena die Anordnung alsbald wieder auf. Familienrichter seien nicht dafür zuständig, staatliche Maßnahmen zu kontrollieren. Dies sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte.

Zwei Jahre später, im Juli 2023, wurde Dettmar vom Landgericht Erfurt wegen Rechtsbeugung zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vorgeworfen wurde ihm nicht, dass er unzuständig handelte, sondern dass er das Verfahren selbst fabriziert hatte und von vornherein auf ein bestimmtes Ergebnis abzielte.

So suchte Dettmar, der regelmäßig an Demos gegen Coronamaßnahmen teilnahm, gezielt nach Eltern, deren Namen mit den Buchstaben begannen, für die er am Gericht zuständig war. Dies hatten Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen bei ihm und in der Weimarer Querdenker-Szene ergeben. So kündigte er bereits an, er werde nach Ostern eine Anordnung erlassen, als es noch gar keinen Antrag gab. Auch die Sachverständigen, die sich zuvor alle bereits maskenkritisch geäußert hatten, suchte er schon aus, bevor ein Fall vorlag. Bei der Formulierung des Antrags an sein Gericht half er dann auch mit. Dettmar sei voreingenommen gewesen, so das Landgericht Erfurt.

Handwerkliche Fehler am Gericht?

Wo verläuft die Grenze zur strafbaren Rechtsbeugung?

Gegen die Verurteilung ging Dettmar in Revision. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Bleibt das Urteil bestehen, verliert er sein Richteramt. Schon seit Januar 2023 ist er suspendiert.

In der Verhandlung am BGH beantragte Dettmars Anwalt, der renommierte Strafverteidiger Gerhard Strate, an diesem Mittwoch einen Freispruch. Dettmar „mag zwar zu weit gegangen sein“, so der Anwalt, aber Dettmar habe sich „nie bewusst von Recht und Gesetz entfernen“ wollen. Laut Gesetz sei es möglich, dass ein Familienrichter zum Kinderschutz nicht nur Anordnungen gegen Eltern, sondern auch gegen „Dritte“ erlasse. Erst seit Kurzem sei geklärt, dass Anordnungen gegen Behörden nicht möglich sind.

Auch die Bundesanwaltschaft beantragte überraschend eine Aufhebung des Urteils und eine neue Verhandlung. Das Erfurter Gericht habe handwerkliche Fehler gemacht, so Staatsanwalt Tobias Handschell. Es habe nicht ausreichend geprüft, ob sich Richter Dettmar subjektiv zuständig fühlte.

Der BGH sieht das Verhalten Dettmars wohl kritischer. Richter Olaf Schmidt fragte, wie weit ein Familienrichter, der nur an das Kindeswohl denkt, denn gehen könne, ohne sich strafbar zu machen. „Kann ein Familienrichter auch die Abschiebung eines Drogenhänders verhindern, weil dieser ein prima Vater ist?“ „Das geht auf keinen Fall“, antwortete Anwalt Strate. Doch er konnte oder wollte nicht sagen, wo dann die Grenze zur strafbaren Rechtsbeugung verläuft.

Richter Dettmar betonte in seinem letzten Wort: „Ich habe niemand einen unberechtigten Vorteil oder Nachteil verschafft.“ Der BGH wird sein Urteil erst am 20. November verkünden.

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